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Dienstag, 09.03.2021 | Drucken |
Mit freundlicher Genehmigung des Fotographen: Moritz Siebert
Mit freundlicher Genehmigung des Fotographen: Moritz Siebert
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Die 71. Berlinale- Zahlvaterschaft - Niemand hierzulande muss sich nun ängstliche Gedanken machen, dass aus ehemaligen deutschen Kolonien tausende Kinder aus „Mischehen“ und deren Nachfahren bald Deutschland überfluten werden
Vom 1. bis zum 5. März fand die 71. Berlinale statt. Corona-bedingt konnten die Medienvertreter das international bedeutende Filmfestival nur digital erleben. Im Juni ist geplant, die Filme der 71. Berlinale in Kinosälen dem Publikum zu zeigen. Bei der diesjährigen Berlinale zeigte man in der Sparte Forum Expanded u. a. den 22 Minuten langen schwarz-weiß Film Zahlvaterschaft aus dem Jahre 2021. Regie führt der 1973 geborene Moritz Siebert. Er ist auch für die Kamera und Montage verantwortlich. Das Buch stammt ebenfalls von Moritz Siebert, Hanna Keller hat am Buch mitgewirkt. Zusammen sind Siebert und Keller auch ausführende Produzenten. Moritz Siebert und das Filmteam machen uns mit Gerson Liebl aus dem westafrikanischen Togo bekannt. Er spielt sich selbst. Man sieht Gerson Liebl während seines Hungerstreiks in Berlin vor dem Roten Rathaus, wie er auf der Straße in einem Schlafsack schläft und um sein Recht kämpft. Sein Großvater war kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges als Arzt in der deutschen westafrikanischen Kolonie Togo tätig. Er verliebte sich in die Häuptlingstochter Kokoe und heiratete sie 1908 nach Stammesrecht. 1910 kam ihr gemeinsames Kind, der Opa von Gerson Liebl, zur Welt. Der Arzt in Diensten von Kaiser Wilhelm II. hinterlegte bei einem deutschen Kolonialbeamten damals 1.000 Mark. Amtlich korrekt hatte der Kolonialbeamte die Geldübergabe vermerkt und bestätigt. Kokoe sollte zur Geburt eine einmalige Auszahlung erhalten plus zwei Jahre lang eine monatliche Auszahlung dieser hinterlegten Summe. Allerdings nur, wenn es sich bei dem Kind um „ein Mulattenkind“ handeln werde. Sollte das Neugeborene gänzlich schwarz zur Welt kommen, werde es eine einmalige Geburtsprämie von 200 Mark geben. Die restlichen 800 Mark werde dann der Herr Bezirksbeamte im Kolonialdienst dem Arzt nach Deutschland überweisen. All diese Abmachungen hat man auch preußisch korrekt protokolliert. Der Kindsvater kehrte vor der Geburt seines Sohnes nach Deutschland zurück und hat in Bayern später eine deutsche Frau geheiratet. Eine standesamtliche Heirat wäre 1908 gar nicht möglich gewesen zwischen einem deutschen Staatsbürger und einer Frau aus Togo. Dieses Gesetz bestand bis zum Ende der deutschen Kolonialzeit 1918. So hielt beispielsweise 1912 Wilhelm Heinrich Solf, Staatssekretär im Reichskolonialamt, im Reichstag eine Rede, in der er mitteilte: „Wir sind Deutsche. Wir sind Weiße. Wir wollen Weiße bleiben.“ Also, selbst wenn der Großvater von Gerson Liebl neben seiner Heirat 1908 nach Stammesrecht eine deutsche, standesamtliche Ehe gewollt hätte: Das war damals gesetzlich verboten! Seit nunmehr über 30 Jahren kämpft der Enkel des „Arztes im kaiserlichen Dienst in der Kolonie Togo“ darum, als deutscher Staatsbürger anerkannt zu werden. Welche Wege die deutsche Verwaltung und mit ihr die Politik einschlagen, um jeden Antrag von Gerson Liebl abzulehnen, macht Moritz Siebert eindringlich deutlich. Gerson Liebl tritt nie aggressiv auf, er weist mit Aushängen an einer Straßenlaterne und Flugblättern auf sein Schicksal hin. Er sagt in einwandfreiem Deutsch: „Der HERR gibt mir die Kraft bei meinem Hungerstreik.“ Die deutsche Verwaltung macht seinem Vater zum Vorwurf beispielsweise, 1910 unehelich geboren zu sein! Die beglaubigte Hinterlegung von 1.000 Mark seinerzeit müssen ja nicht darauf hindeuten, der kaiserliche Mediziner ist der Kindsvater. Er ist Zahlvater! Das macht einen großen Unterschied aus! Vielleicht tat ihm die Frau menschlich leid und deshalb gab er ihr eine Unterstützung? Vielleicht hatte sie ihn auch betrogen? Dann ist der Vater des 1910 geborenen Kindes eventuell ja gar kein deutscher Staatsbürger gewesen. Eine amtliche Urkunde, dass Gersons Großvater der leibliche Vater des Kindes der Kokoe ist, hatte er nie unterzeichnet. Moritz Siebert zeigt die schönen Reden auf, die deutsche politisch Verantwortliche gerne halten. So sprach 2001 der damalige Vizekanzler und Bundesaußenminister Joschka Fischer (GRÜNE) auf einer internationalen Konferenz im südafrikanischen Durban zum Thema Kolonialismus davon: „Kolonialismus muss als Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeprangert werden.
Im Namen der Bundesrepublik Deutschland hatte sich der damalige Vizekanzler für das deutsche Fehlverhalten entschuldigt. Geht es aber dann konkret zur Sache, sieht sich keine Behörde in der Lage, Gerson Liebl zu helfen. Er kam in Togo zur Welt. Also hat er die Staatsbürgerschaft von Togo! So einfach ist das doch. Nach der Logik: Kommt das Huhn im Kuhstall zur Welt, ist es kein Küken, sondern ein Kalb. Eine amtliche Heiratsurkunde kann er auch nie und nimmer vorzeigen, da ja, wie von Staatssekretär Solf gefordert, Weiße unter sich bleiben sollten. Bereits 2003 erhielt Gerson Liebl einen Brief des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages. Man sah natürlich die Problematik dieses Falles, aber es sprächen halt zu viele Gesetze gegen die Erteilung der deutschen Staatsbürgerschaft. Behörden wollen den Petenten mit netten Kleinigkeiten überzeugen, sein Ansinnen nach einem deutschen Pass doch aufzugeben. Man könne gerne über eine befristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Duldung sich einmal Gedanken machen. Für Liebl sind das alles Ablenkungsmanöver! „Mein Opa ist Deutscher!“ Ein Verbot von Mischehen, dass es damals ja nachweislich gab, könne man ihm doch nicht zum Vorwurf machen. Also setzt er seinen Kampf fort und weiß ja: „Der HERR unterstützt mich dabei schon.“ Unterstützung aus den Reihen der Politik darf er -vorerst-nicht erwarten. Man hat sich schließlich schon 2001 entschuldigt! Kann man da noch mehr verlangen? Wenn das alles nicht Realität wäre, könnte man Moritz Siebert zu einer gelungenen Satire beglückwünschen mit seinem Hauptdarsteller Gerson Liebl. Bedauerlicherweise sieht der Zuschauer ein Stück aus der Vergangenheit mit dem Namen deutsche Kolonialgeschichte. Sie ist auch heute noch zu spüren und lebt fort. Nicht mehr, nicht weniger beweist dieser Kurzfilm, der noch immer auf sein Happy End wartet. Gerson Liebl sagte, er könne ja zu Hause im Bett eines Tages sterben. Bevor das Eintreten werde, setze er lieber auf Berlins Straßen seinen friedlichen Kampf fort. Man kann als Betrachter das gesamte Filmteam nur bitten: „Bleibt am Ball! Sorgt auch dafür, dass Volksvertreter diesen Kurzfilm sehen! Schluss mit Ausreden aus dem Reich der Bürokratie!“ Niemand hierzulande muss sich nun ängstliche Gedanken machen, dass aus ehemaligen deutschen Kolonien tausende Kinder aus „Mischehen“ und deren Nachfahren bald Deutschland überfluten werden. Die Zahl der Betroffenen ist sehr, sehr überschaubar. Gerson Liebl ist einer der ganz wenigen davon Betroffenen. (Volker -Taher Neef, Berlin)
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