Artikel Mittwoch, 26.09.2018 |  Drucken

Deutscher Islam und die Beobachtung der DITIB durch den Verfassungsschutz - Ein Kommentar von Aiman A. Mazyek

Wer zum Prüfverfahren des Verfassungsschutzes, ob die DITIB zum Beobachtungsgegenstand wird, schweigt, der verkennt, dass dieser Vorgang seitens interessierter Kreise dazu missbraucht wird, der Ablehnung von Muslimen im Allgemeinen und ihren Vertretungen im speziellen weiter Vorschub zu leisten.

Dass inzwischen fast jeder Muslim unter Generalverdacht gestellt ist, belegt die vor einigen Tagen getätigte unsägliche Aussage der sächsischen CDU-Abgeordneten Veronika Bellmann, die sich kürzlich mit folgenden Worten gegen die mögliche Nominierung der Juristin Aygül Özkan als Spitzenkandidatin für die CDU bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 2020 aussprach: „Heute geben sie sich säkular und morgen doch wieder strenggläubig.“ Das ist rechtsradikales, identitäres Muslim-Bashing in Reinform.

Annegret Kramp-Karrenbauer verweist in diesem Zusammenhang zu Recht auf das gemeinsame Bekenntnis zum Grundgesetz, das jedem in unserem Land gesellschaftliche Teilhabe zubilligt, selbstverständlich auch einem Muslim oder einer Muslimah.

Das Bekenntnis zum Islam und die Achtung des Grundgesetzes schließen sich nicht aus. Doch dieser hinterlistige Sprechgesang, der sich unter anderem in Frau Bellmanns Äußerungen öffentlich Bahn bricht, wird seit Jahren befördert und von den islamfeindlichen Parolen der Rechtsradikalen, der Pegidisten und ihren Sympathisanten propagiert.

Die überwältigende Mehrheit der Imame aus der Türkei ist keine Gefahr für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat. Und die sieben Imame, gegen die Erstermittlungen eingeleitet und eingestellt wurden, befinden sich längst nicht mehr in Deutschland. Dies bedeutet nicht, dass es keinen Diskussionsbedarf zwischen Deutschland und der Türkei gibt, insbesondere wie ein zukünftiges tragfähiges Imam-Modell in Deutschland aussieht; hierzu liegen z.B. konkrete Vorschläge von uns seit geraumer Zeit auf dem Tisch. Zudem beobachten wir vom ZMD einige politische Entwicklungen in der Türkei mit großer Sorge. Aber wir lassen uns nicht zu unüberlegten Reaktionen in unserem Land im Umgang mit seinen Muslimen hinreißen. Damit ist niemandem gedient.


Vorsitzender des Zentralrat der Muslime - Aiman Mazyek

Der innenpolitische Druck auf die DITIB nahm in den letzten Monaten erheblich zu. Ein Übergang zu einer „deutschen“ DITIB lässt sich aber nicht ausschließlich durch Druck einleiten, und schon gar nicht durch einen nachrichtendienstlichen, der letztendlich auch einem Generalverdacht gleichkommt. Er wird sich, wie schon zu beobachten, destruktiv auf die DITIB auswirken, und schlussendlich auch der Sache schaden, nämlich eine dem Deutschen Religionsverfassungsrecht entsprechende Aufstellung der DITIB zu entwickeln. Man wird allenfalls die Hardliner, die Nationalisten stärken, die ohnehin derzeit Morgenluft wittern; sie fühlen sich so in ihrem Weltbild bestätigt, dass Deutschland den Muslimen (ergo: Türken) nichts Gutes anzubieten hat, und die hiesigen Rechtsextremisten fühlen sich in ihrer Haltung bestärkt, dass Muslime und Islam nicht zu Deutschland gehören.

Es braucht primär seitens der Politik eines Gestaltungswillens, der konzeptionell aufzeigt, wie dies im Interesse aller Beteiligten geschehen könnte. Dann können die Ärmel hochgekrempelt werden und mit Partnern und Betroffenen die Sache angepackt werden. Diesen konstruktiven Ansatz vermisse ich.
Der ZMD hat hierzu in der Vergangenheit einige beherzte Vorschläge gemacht. Bisher haben uns, bis auf sehr wenige Ausnahmen, nur halbherzige Rückmeldungen erreicht, so dass man den Eindruck gewinnen könnte, dass an einer wirklichen Auseinandersetzung kein ernsthaftes Interesse besteht.

Eine Beobachtung der DITIB wird zudem nicht nur die muslimischen Gemeinschaften in den Augen der Mehrheitsgesellschaft weiter kriminalisieren, die Öffentlichkeit spalten und den erklärten Feinden unseres freiheitlichen Rechtsstaats im rechtsradikalen Lager Auftrieb verleihen. Er wird auch den Moscheegemeinschaften, die unter schwierigen Bedingungen auf unterschiedlichsten Ebenen positiv in die Mitte der Gesellschaft hineinwirken – siehe z.B. der jährlich stattfindende Tag der Offenen Moschee - die an einem neuen, zukunftsweisenden WIR mitarbeiten und raus aus der in der Vergangenheit z.T. selbstverschuldeten Schmuddelecke wollen,  die Tür vor der Nase zuschlagen und ihre wertvolle, integrative Arbeit der letzten Jahrzehnte zunichtemachen. Und der Türkei? Der wird es im Zweifel egal sein, ob nun die DITIB beobachtet wird oder nicht. Uns Deutschen aber nicht.



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