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Mittwoch, 21.06.2017 | Drucken |
Wenn Stereotypen die gesellschaftliche Auseinandersetzung ersetzen – von Storchs Forderungskatalog zu Muslimen
Ein Kommentar von Mohammed Khallouk stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD)
Adel verpflichtet! Dieser alte Merksatz gilt in einer egalitären Demokratie längst nicht mehr. Anders als in alten feudalen Zeiten müssen auch Adelige heute einen intellektuellen Reifeprozess durchlaufen, wenn sie sich adäquat an einer demokratischen Debattenkultur beteiligen wollen.
Die AFD-Funktionärin Beatrix von Storch sieht das offensichtlich anders. In Zeiten von alternativen Fakten bei Facebook und Twitter reicht es ihr, mit schlagzeilenträchtigen Forderungen für Aufsehen zu sorgen. Aus der geäußerten Mutmaßung eines ZMD-Funktionärs, dass Muslime, deren Gebetshäuser tätlich angegriffen werden, die Schmierereien an den Wänden hinnehmen müssen und nachhaltig von muslimfeindlichen Parteien drangsaliert werden, sich kaum noch zu „Anti-Terror-Demonstrationen“ motivieren lassen, lässt sich Frau von Storch zu der Schlussfolgerung hinreißen: Für den ZMD stehe Verunglimpfung von Gläubigen mit der Ermordung von Menschen auf einer Stufe.
Ob Frau von Storch auch bei dieser Einschätzung mit „der Maus ausgerutscht“ ist, wie dies schon früher der Fall gewesen sein sollte, ist nicht bekannt. Doch ihre Schlussfolgerung ist sicherlich unzutreffend und ließe sich anhand der ZMD-Aktivität leicht widerlegen. Dass die extremste Form physischer Gewalt, Vorstufen kennt, ist jedoch keine ganz neue Erkenntnis.
Der Hass radikaler Islamisten auf „den Westen“ beginnt auch mit der Verbrennung von Flaggen. Dieser Aktivismus kann durchaus am Anfang eines Radikalisierungsprozesses stehen, der mit Selbstmordanschlägen auf „westliche Ziele“ endet. Eine ähnliche Steigerung hat es bei islamfeindlichen versus muslimfeindlichen Aktionen im Übrigen auch bereits gegeben. Wenn Frau von Storch nur weitergelesen hätte, wäre ihr mit Hinweis auf „muslimische Personen auf Todeslisten“ eine Steigerungsstufe bereits ins Auge gefallen. Verübte Terroranschläge wie im vergangenen Jahr auf die Dresdener Fatih Moschee und sogar brutale Morde wie 2009 auf Marwa el-Sherbini mitten im Gerichtssaal sind in unserem Land längst Realität.
Als geschichtsbewusste Zeitgenossin sollten ihr die Worte Heinrich Heines bekannt sein: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ An Stelle der Bücher könnten auch andere symbolische Gegenstände wie eine Moscheewand, die beschmutzt wird, oder ein Kopftuch, das der Trägerin entrissen wird, stehen. Schließlich wird jene Symbolik nicht nur im Bewusstsein des Opfers, sondern auch des Täters gewöhnlich mit einer verhassten Personengruppe assoziiert.
Die Aussage Heines zielte aber mindestens ebenso auf die Verharmlosung dieser Taten wie auf die Taten selbst hin. Denn sie zeigt auch bei denjenigen, die nicht aktiv zu Tätern werden, eine geringe Wertschätzung der Opfer hin. Nicht selten attestieren diese heute den Muslimen, zweifelhafte Loyalität zum geschriebenen Staatsrecht zu besitzen. Mit der fragwürdigen Gegenüberstellung des Begriffe „Scharia“ und „deutsches Grundgesetz“ taucht diese Stereotypisierung auch bei von Storchs Propaganda immer wieder auf.
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Scharia könnte zwar die Erkenntnis zutage fördern, dass ein Gegensatz zwischen beiden in dieser Pauschalität reinstes Konstrukt ist. Von alten deutschen Adelsabkömmlingen und mehr noch von ihrem ausgewählten Rezipientenkreis derartiges zu verlangen, erscheint allerdings etwas viel verlangt. Ihnen ist auch nicht an intellektuellen Debatten über Symbolik und Begriffsbedeutungen gelegen, sondern an der Bestätigung eines bereits vorhandenen Bildes vom atavistischen, gewaltaffinen Muslimen, anhand einzelner herausgegriffener Zitate - sei es aus Koran und Sunna oder auch von muslimischen Funktionären in diesem Land.
Die Muslime in Deutschland sollten folglich weniger einzelne grausame Taten gegen Mitglieder ihrer Religion beunruhigen, als mehr ein Klima, in dem plakative unhinterfragte Aussagen die politische Debatte ersetzen. Sie zeigen nämlich eine Verachtung für demokratische Auseinandersetzung. Wenngleich dabei vielfach das Grundgesetz verbal hochgehalten wird, lassen sie eine geistige Verwandtschaft zu Zeiten erkennen, in denen demokratisch gewählte Parlamente als „Debattierclubs“ oder „Quatschbuden“ verunglimpft worden sind. Vielleicht empfindet auch von Storch eine gewisse Sehnsucht dahin. Anderenfalls sei ihr eine tiefgehende Lektüre des Grundgesetzes dringend empfohlen, tieferes Wissen über das Wesen von Scharia könnte sie sich hinterher noch zulegen.
Mohammed Khallouk ist stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD). Sein letztes Werk „Islamischer Fundamentalismus vor den Toren Europas“ (2. Auflage) ist 2016 bei Springer VS erschienen.
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