Artikel Freitag, 18.12.2015 |  Drucken

Der 73. Jahrestag des Auschwitz-Erlasses

Am 16. Dezember 1942 ordnete der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, an, alle im angestammten Reich und den besetzten Gebieten lebenden Sinti und Roma zu deportieren und sie „komplett zu vernichten.“ Die Anordnung des Nazis Himmlers ging in die Geschichtsbücher als „Auschwitz-Erlass“ ein. Aus Anlass dieses grausamen Datums fand im Berliner Abgeordnetenhaus eine Feierstunde statt. Neben Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau (LINKE) nahmen Vertreter aus dem Berliner Abgeordnetenhaus und KZ-Überlebende sowie Repräsentanten des Berlin-Brandenburger Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma daran teil.

Die Vorsitzende des Landesverbandes, Petra Rosenberg, erklärte: „Die Anordnung von Himmler führte direkt in die Gaskammern.“ Heute verzeichnen wir hierzulande „eine Million Flüchtlinge. So mancher Zeitgenosse hat Angst. Wird man sich wieder wegducken? Die Straße und die Macht denen überlassen, die besonders laut schreien?“ Es gibt „rechtspopulistische Kräfte, die scheinbar einfache Lösungen vorrätig haben. Bei Pegida- Veranstaltungen wird schon wieder über Konzentrationslager gesprochen. Die Rechten fühlen sich stark, sie treten immer hemmungsloser auf. Verbale und körperliche Angriffe auf Flüchtlinge gehören schon zum Alltag.“ Sie erinnerte auch daran, dass kürzlich im sächsischen Wurzen sogar kleine Schulkinder nur deshalb attackiert wurden, weil sie Flüchtlinge sind.

„Heute wird wieder gegen Minderheiten gehetzt. Damals wie heute sehen wir eine Spirale der Eskalation. Gerade jetzt erfordert der Erlass von Himmler eine besondere Wachsamkeit.“ Petra Rosenberg sprach das Schicksal ihres Vaters an. Er hatte 11 Geschwister, sie alle wurden von den Faschisten ermordet. Ralf Wieland (SPD), der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, erklärte: „Mindestens 500.000 Sinti und Roma fielen im Dritten Reich dem Rassenwahn zum Opfer. Die genaue Zahl der Getöteten werden wir wohl niemals ermitteln können.“ Dieser Völkermord ging als Porrajmos in die Geschichte ein. Das Romanes-Wort bedeutet „das Verschlingen.“ So wie der Mord an den Juden, der als Shoa bezeichnet wird, steht Porrajmos für die kollektive Vernichtung von Sinti und Roma. Die Nazis richteten sogar bei der Kriminalpolizei Stellen ein, die nur die Aufgabe hatten, das „asoziale, fremdrassige und arbeitsscheue Zigeunertum“ zu kontrollieren. Unter Kontrolle war Drangsalieren gemeint. Schon bald nach Machtergreifung der Nazis wurde es deutschen Bürgern verboten, „sich durch Ehe mit Zigeunern zu mischen.“

Medizinische Lehrstühle zur Rassenforschung wurden geschaffen. Dr. Dr. Robert Ritter war der oberste deutsche Rassentheoretiker. Er leitete die Rassenhygienische Forschungsstelle (RHF), Seine Mitarbeiterin war Eva Justin. Sie trug sowohl per Ideologie als auch durch gutachterliche Äußerungen und Interventionen bei der Polizei zum Tod von zahllosen Sintis und Romas bei. Sie war bei den Nazis sehr beliebt und genoss Privilegien. 1943 promovierte sie und verteidigte ihre Dissertation mündlich in der Privatwohnung von Ritter. Auch das gehört zur deutschen Vergangenheit: Nach 1945 fing Justin als Psychologin bei der Stadt Frankfurt am Main an. Ihr Vorgesetzter dort war der Obermedizinalrat Dr. Dr. Robert Ritter! Der bekannte Chirurg Prof. Ferdinand Sauerbruch genehmigte in der NS-Zeit als verantwortlicher Gutachter Ritters Anträge auf Förderung. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen viele Landespolizeidienststellen die im Dritten Reich gesammelten „Zigeunerdaten“ und die Karteikarten waren bis Mitte der 70 Jahre im Einsatz „gegen das fahrende, nicht sesshafte Volk der Zigeuner.“ Das die Menschheit immer noch nicht bereit ist, aus der Geschichte zu lernen belegte Dr. Michael Parak. Er ist Geschäftsführer der Organisation „Gegen das Vergessen-Für Demokratie.“ Völkermorde sind kein Alleinstellungsmerkmal der Nazis, so Parak. „In Srebrenica kamen 1995 bei dem Völkermord mehr als 8.000 Muslime ums Leben.“ Er betonte auch, man müsse den 74., den 75. und weitere Jahrestage des Auschwitz-Erlasses immer wieder in Erinnerung halten. Das verlange nicht nur der Respekt vor den Opfern, es könne zumindest den ein oder anderen von rechten und braunen Gedanken befallenen Menschen eventuell abbringen. (Volker-Taher Neef, Berlin)



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