Newsnational |
Mittwoch, 12.08.2015 | Drucken |
"Es tut mir Leid... "
Abschiedsbrief eines ertrunkenen Flüchtlings an seine Mutter
Liebe Mutter,
es tut mir Leid, dass das Schiff gesunken ist. Ich konnte mein Ziel nicht erreichen, damit ich dir das Geld schicken kann, dass du mir für meine Reise geliehen hast. Bitte sei nicht traurig, dass mein Leichnam nicht gefunden wird. Es ist gut so. Ansonsten wird es dir noch zusätzliche Kosten für Transport und Beerdigung verursachen.
Liebe Mutter, bitte entschuldige mich, dass ich diesen Schritt tun musste, da ich wegen des Krieges keine andere Wahl hatte. Meine Träume waren nicht so groß wie die Träume der Anderen. Sie waren so groß wie eine Medikamentenpackung gegen deine Schmerzen und die Behandlungskosten für deine Zähne. Im Übrigen, meine Zähne haben jetzt durch die Algen im Meer eine grüne Farbe bekommen, aber trotzdem sind sie immer noch schöner als die Zähne des Diktators.
Es tut mir sehr Leid, dass ich dir das Holzhaus, das ich in meiner Fantasie hatte, nicht bauen konnte. Das Haus sollte weit weg sein, wo Gerüchte von den Nachbarn verbreitet und keine Bomben oder Raketen auf uns geworfen werden. Es soll dort sein, wo keine religiösen oder rassistischen Vorurteile existieren. Das Haus sollte so schön sein wie die Häuser, die wir im Kino sahen.
Bitte entschuldige mich bei meinem Bruder, dem ich jeden Monat fünfzig Euro schicken wollte, damit er sein Studium fortsetzen kann. Auch bei meiner Schwester möchte ich mich entschuldigen, weil ich ihr kein modernes Telefon schicken konnte, das „Wi-Fi“ hat, damit sie vor ihrer reichen Freundin angeben kann.
Ich möchte mich bei allen Tauchern und allen Menschen, die nach mir suchen werden, entschuldigen, weil ich nicht weiß, wie das Meer heißt, in dem ich ertrinken werde.
Das Amt für Asylangelegenheit möchte ich beruhigen, dass ich ihm nicht zur Last fallen werde.
Ich danke dir, liebes Meer, dass du mich ohne Pass und ohne Visum angenommen hast!
Vielen Dank liebe Fische! Ihr werdet mich verspeisen, ohne mich nach meiner Herkunft, Religion oder politischen Überzeugung zu fragen!
Mein Dank gilt allen Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehkanälen, die meine Todesnachricht für einen Tag lang jede Stunde senden werden!
Es tut mir sehr Leid, dass ihr wegen meines Todes traurig sein werdet.
Es tut mir Leid, dass ich ertrunken bin.
Über Jamal Karsli (frei übersetzt)
|
|
Hintergrund/Debatte
Extreme bis extremistische Einstellungen in Deutschland auf dem Vormarsch mit Spiegelung in der Politik und Medien ...mehr
Langes KNA-Interview: Der neue Vorsitzende des Zentralrats der Muslime über sein Amt ...mehr
Bochum ehrt Ahmed Aweimer zum 70. Geburtstag ...mehr
Aiman Mazyek kommentiert das Verbot der Imam Ali Moschee: "Blaue Moschee - Islamisches Zentrum in Hamburg ...mehr
Medienanalyse: Rassismus in Medien, Recht und Beratung ...mehr
Der Koran – 1400 Jahre, aktuell und mitten im Leben
Marwa El-Sherbini: 1977 bis 2009
|