Der gesamte Nahe Osten kann gewinnen
Lob für Annäherung zwischen Iran und USA – Von Reinhard Baumgarten
Dreieinhalb Jahrzehnte haben sich Teheran und Washington gegenseitig verteufelt und dämonisiert. Beide Seiten hatten sehr gute Gründe, dem jeweils anderen zutiefst zu misstrauen. Damit ist noch lange nicht Schluss. Doch die Vereinbarung von Genf könnte der Einstieg in den Ausstieg aus dieser vermaledeiten strategischen Feindschaft sein.
Teheran und Washington haben offenkundig schon einige Monate vor den Genfer Verhandlungen über das iranische Atomprogramm mit geheimen Gesprächen begonnen. Beide Seiten fangen langsam an, gemeinsame Interessen zu entdecken. Unter anderem deswegen gibt es die schrillen Töne der vergangenen Monate aus Jerusalem und Riad. Israel und Saudi-Arabien fürchten um ihre besonderen Beziehungen zu Washington.
Der Iran ist im Bewusstsein vieler ein wesentlicher Teil der großen Probleme im Nahen Osten. Auf die Spitze hat das US-Präsident George Bush getrieben, der den Iran vor zehn Jahren als Teil der Achse des Bösen bezeichnet und für einen aktiv herbeigeführten Regimewechsel in Teheran geworben hat.
Seit 2003 ist in der Region sehr viel passiert. Die USA haben sich in zwei Kriege gestürzt, die ihre Finanzen ruiniert, ihre Glaubwürdigkeit untergraben und ihre Moral mürbe gemacht haben. Teheran war indirekt als Störfaktor beteiligt und hat den USA mehr Kopfzerbrechen bereitet, als Washington bereit war zuzugeben.
Gleichzeitig ist der Iran tiefer denn je in die politische Isolation gedrängt worden - von äußeren Mächten und internen Kräften. Wirtschaftlich befindet sich der Iran auf dem Weg auf die Intensivstation, hält der aufgebaute Druck an, droht der Kollaps.
Die Politik von Präsident Ahmedinedschad hat den Iran in eine Sackgasse geführt. Weitergehen heißt, auf eine feste Mauer oder einen Abgrund treffen. Zurückgehen heißt, sich auf die Bedingungen Washingtons einzulassen. Washington diktiert nicht, aber Washington bestimmt Tempo und Rhythmus. Die Herrscher Irans müssen sich auf einen Tanz im Wechselschritt mit dem "Großen Satan" einlassen.
Beide Seiten können dabei gewinnen. Mehr noch: der gesamte Nahe Osten kann dabei gewinnen. Wenn sich Teheran - wie von Präsident Rohani im Falle Syriens angeboten - konstruktiv an der Suche nach Lösungen beteiligt, wenn der Iran international ernst genommen und in die Pflicht genommen wird, bieten sich gänzlich neue Chancen für Länder wie Syrien, Afghanistan, Irak und Libanon.
Hinzu kommt: Die Vereinbarung von Genf sieht nicht nur das Einfrieren des iranischen Atomprogramms vor, sondern auch ein strenges Kontrollsystem zu dessen Überwachung. Lässt sich Teheran wirklich darauf ein, kann die mutmaßliche Gefahr iranischer Atomwaffen nachhaltig gebannt werden. Es gibt noch viel zu viele Wenns, die alle guten Ansätze zunichtemachen können. Aber die Einigung in Genf war definitiv ein wichtiger Versuch, wenn nicht gar der richtige Anfang.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors Reinhard Baumgarten (ARD-Studio Teheran) und Erstveröffentlichung vom 25.11.2013 in tagesschau.de
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