Newsnational Mittwoch, 17.10.2012 |  Drucken

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Aufklärungslawine? - ZMD begrüßt Transparenzinitiative des Thüringer Innenministers

Merkel will weiteres Gremium zu Neonazi-Morden einsetzen – Die Opposition spricht von Aktionismus – Rechtsextremistische Straftaten weiter erschreckend hoch

Offenbar ist nun auch der Bundesregierung klar geworden, dass man handeln muss. Insbesondere was den Bereich der Aufklärung des Rechtsterrors in Deutschland angeht, im Speziellen die NSU-Attentate und Terroranschläge und das jetzt deutlich gewordene Behördenversagen.

Der Anstoß dazu kommt von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich, nachdem sie im September feststellte, die Aufklärung 'läuft an etlichen Stellen nicht so, wie ich das für richtig halte'. Bundesinnen- und Justizministerium bereiten derzeit eine weitere Kommission vor. Vier Untersuchungsausschüsse gibt es bereits, zudem eine Bund-Länder-Kommission und ein paar Sonderermittler. Und nun soll noch ein Gremium dazukommen, das sich mit der deutschen Sicherheitsarchitektur und dem  Behördenversagen rund um den 'Nationalsozialistischen Untergrund' (NSU) befassen soll.

In der Opposition herrscht aber keine Begeisterung über das neue Gremium: 'Frau Merkel geht es offenbar nicht um Aufklärung in der Sache. Sie täuscht Aktionismus vor', sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann.

Es sei völlig unnötig, eine weitere Kommission einzurichten, die denselben Auftrag habe wie die bereits seit Monaten tätige Bund-Länder-Kommission. Die Aufarbeitung der Versäumnisse werde durch Merkels Initiative 'verschleppt, nicht befördert', sagt Oppermann. Wer der Kommission angehören soll, ist noch nicht bekannt.

"Die Opfer des NSU-Terrors erleben derzeit dramatische Vertrauensverluste gegenüber den Behörden. Die Transparenzinitiative des Thüringer Innenministers Jörg Gelbert gehört deshalb ohne Wenn und Aber unterstützt" Aiman Mazyek

Untersuchungsausschuss: Akten sollen ungeschwärzt bleiben

Derzeit ringen die Abgeordneten und die Behörden aber zunächst einmal um den richtigen Umgang mit ungeschwärzten Geheimakten, die das Land Thüringen in einer Transparenz-Offensive an die Ausschüsse in Erfurt und Berlin geleitet hat. Die Obleute im Bundestag verwahrten sich gegenüber Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gegen 'mehr oder minder unterschwellig geäußerte Vorwürfe', sie könnten nun V-Leute enttarnen.

Man sei sich der Verantwortung für die Sicherheit von V-Leuten sehr bewusst, sagt FDP-Obmann Hartfrid Wolff. Bis auf wenige Ausnahmen benötige der Ausschuss ohnehin keine Klarnamen der geheimen Informanten. Wie das Innenministerium Thüringens betont, enthalten die ungeschwärzten Akten solche Informationen auch gar nicht.

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy, nennt das Misstrauen der Behörden 'ungehörig gegenüber dem Parlament'. Die SPD-Obfrau Eva Högl sagte, Merkel müsse endlich dafür sorgen, dass ihre Minister Friedrich und Thomas de Maizière den zentral zuständigen Ausschuss in der notwendigen Form unterstützten. Die Kanzlerin könne sich nicht mit neuen, 'obskuren Kommissionen' aus ihrer Verantwortung stehlen.

ZMD: Deutlich machen, dass nicht gemauschelt wird

Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD) Aiman Mazyek beklagt unterdessen, dass das derzeitige Hick-Hack um die Thüringer Akten symptomatisch ist für die Unbeweglichkeit im Aufklärungsprozess des NSU-Terrors. „Das muss sich jetzt radikal ändern, will man den Rest an Glaubwürdigkeit nicht verlieren“, und weiter sagte Mazyek: „Die Opfer des NSU-Terrors erleben derzeit dramatische Vertrauensverluste gegenüber den Behörden. Die Transparenzinitiative des Thüringer Innenministers Jörg Gelbert gehört deshalb ohne Wenn und Aber unterstützt, weil sie Vertrauen schafft und deutlich macht, dass nicht gemauschelt wird und die Akten eben nicht durch Geheimdienste nachgeschwärzt werden sollen“.

Erschreckend: Alleine im Juli 973 rechtsextreme Straftaten

Unterdessen wurde bekannt, dass unter den im Juli 2012 gemeldeten 973 Straftaten des Phänomenbereichs „politisch motivierte Kriminalität (PMK) – rechts“ 51 Gewalttaten registriert worden sind. Bei 239 Straftaten lag eine sog. „Hasskriminalität“ vor und bei 175 Straftaten konnte ein fremdenfeindlicher Hintergrund festgestellt werden. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor.

Das bedeutet, dass alleine im Juli 2012 973 rechtsextreme Straftaten registriert wurden. Täglich wurden rund sechs fremdenfeindliche Straftaten begangen. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass die aufgeführten Zahlen keine abschließende Statistik darstellen. Aufgrund von Nachmeldungen könnten noch teilweise erhebliche Korrekturen vorgenommen werden. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass die realen Straf- und Gewalttaten um ca. 50 Prozent höher als die vorläufig ausgewiesenen liegen


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