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Mittwoch, 29.08.2012 | Drucken |
Die fünf verpassten Gelegenheiten Assad´s, um sich an die Spitze der Reform-Bewegung zu stellen
Ein Buch über Syrien, wie wir es jetzt brauchen - Von Rupert Neudeck
Syriens Präsident Bashar al Assad – Sohn des legendären „Löwen von Damaskus“, Hafiz al Assad, der seit 50 Jahren an der Macht war, hatte fünf Gelegenheiten, um sich an die Spitze der Reform-Bewegung zu stellen. Einmal beim Damaszener Frühling 2001, da hatte die Jugend die Hoffnung auf den jungen Bashar und seine weltoffene Frau Asma gesetzt. Die zweite Chance 2004: Assad schränkt die Macht der 15 Geheimdienste ein, aber die Reformprojekte verlaufen im Sand. 2007 war Syrien geeint mit seinem Präsidenten, es hatte den Rückzug der syrischen Armee aus dem Libanon gegeben. Das war der perfekte Moment für Assad, sich durch demokratische Wahlen legitimieren zu lassen. Aber beim Referendum ohne Gegenkandidaten erhielt Assad totalitäre Ergebnisse: 97 Prozent der Stimmen. Die vierte Chance bot Frankreichs Präsident Sarkozy, der Assad im Juli 2008 zur Konferenz der Mittelmeerunion nach Paris einlud. Assad wurde zum gefragten Partner der EU. Aber Assad machte nichts daraus. Die letzte Chance: März 2011. Hätte Assad beherzt Reformen gemacht, wie der König in Marokko, dann hätte er gewonnen. Die Autorin beschreibt ihn als einen, der sich „nicht für die erste Reihe eignet. Im Vergleich zu anderen Ex-Potentaten der arabischen Welt wirkt sein Auftreten zurückhaltend, fast schüchtern und unsicher!
An wenigen Stellen äußert sich die Autorin persönlich. „Ich muss gestehen, dass ich Bashar einen solch blutigen Machtkampf nicht zugetraut hätte“. Weiß der 47jährige al Assad, was in seinem Land geschieht?
Die Autorin hat die Fähigkeit, uns Rituale der syrischen Gesellschaft zu übersetzen. Der „Islam ist für Syrien selbstverständlicher Bestandteil des täglichen Lebens“. Für westliche Ohren mag jenes „Allahu Akbar“ bedrohlich klingen. Sie wisse, dass „Allahu akbar – Gott ist größer’ alles Möglicher ausdrücken kann: Angesichts von Zerstörung lässt es sich mit ‚Oh mein Gott’ (Bayern) oder ‚Ach du Schreck’ (Berlin) übersetzen. Bei Demos und im Kampf bedeutet es: “Wir schaffen das schon!“ In den allermeisten Fällen bedeutet es jedenfalls nicht, dass hier jemand einen Gottesstaat errichten und Andersgläubige verfolgen will.
Für westliche Ohren mag jenes „Allahu Akbar“ bedrohlich klingen. „Allahu akbar drückt: Gott ist größer’ alles Möglicher aus. Angesichts von Zerstörung lässt es sich mit ‚Oh mein Gott’ (Bayern) z.B. übertragen.
Angst herrscht in Syrien und unter Syrern überall, bis ins deutsche Exil: Überall werden Assads Geheimagenten vermutet. Das Regime ist unglaublich brutal mit den Oppositionellen umgesprungen. Sie porträtiert den Kommunisten Fariz Murad, der 29 Jahre in syrischen Gefängnissen verlor, zwei Jahre mehr als Nelson Mandela. 16 Jahre davon im Gefängnis von Tadmur (Palmyra), einem berüchtigten Foltergefängnis in der syrischen Wüste. Über Jahre war Murad dort in einer dunklen Kammer eingesperrt. Er wird den Sieg der Revolution nicht mehr erleben., er starb am 9. März 2009 an den Folterfolgen.
Es gibt drei oppositionelle Strömungen. Die jungen Facebook Aktivisten. Dann (am 18. September 2011 gegründet) das links-säkulare „Koordinierungskomitee für Demokratischen Wandel“. Das Komitee lehnt jede Intervention aus dem Ausland ab. Sie sind auch für Verhandlungen mit Assad. Sie verlangen ein Ende der irrsinnigen Gewalt der Armee gegen die Bevölkerung. Darunter auch der Alawit und Wirtschaftsexperte Aref Dalila. Doch macht Bashar al Assad diese Opposition unmöglich: Die Brutalität, mit der das Regime verhaftet, verfolgt und tötet, lässt das Koordinierungskomitee zum Papiertiger werden.
Drittens die Exil-Opposition, die sich ab Anfang Juni 2011 in Antalya, am Urlaubsort deutscher Touristen trifft. „Kommunisten diskutieren mit Muslimbrüdern, Kurden mit arabischen Nationalisten, junge 20jährige mit 70-jährigen Politikern“. Das Buch vermittelt einen Einblick in die Strukturen eines Landes, das nur noch ohne Bashar al Assad eine Zukunft haben wird.
Ein besonderes Kapitel ist der Besuch auf den Golan Höhen auf syrischer Seite, den die Journalistin gegenüber den syrischen Geheimdiensten durchsetzen kann. Sie erlebt dort das, was wir bei dem schwärenden Problem Palästina auch immer wieder mit Bewunderung feststellen. Eigentlich, bei rational-ökonomischem Kalkül, müssten die Palästinenser und die Syrer schon längst aufgegeben haben, dort leben zu wollen. Dass Menschen in den besetzten Gebieten noch leben, überleben, verdankt sich ihrem Patriotismus, den wir als Deutsche auch mal anerkennen sollten. Sie erlebt, dass Israel aus den besetzten Gebieten Syrer nach Damaskus zum Studium ausreisen lässt, aber nur einmal und dann auf ewig zurückreisen lässt. Dabei erlebt die Autorin erschütternde Szenen, wenn sie dann diesen endgültigen Schritt tun. Aber so sind sie die Palästinenser und die Araber, da bringen sie dann einen unbändigen Heimat-Willen auf. Es gibt im Golan seit 1967 eine nichtsnutzige UNO-Kontrollbehörde, die UNDOR, die sich selbst als Militär-Ohnmacht mit den beiden Worten “looking and cooking“ beschreibt. Sie kann nichts tun, sie darf einen festbetonierten Status nicht in Frage stellen.
Israel hat, wie uns die Memoiren von Madeleine Albright belehren, nichts von der Ehre und Würde arabischer Ländern und Narrative verstanden. Man gibt etwas ganz zurück, was einem nicht gehört und feilscht nicht daran herum. Das war es, was in en Verhandlungen mit dem Vater Hafiz al Assad geschah, woraufhin der den Bettel hinschmiss, und sich nach Damaskus zurückzog.
Kristin Helberg: Brennpunkt Syrien. Einblicke in ein verschlossenes Land. Herder Verlag Freiburg 2012
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Hintergrund/Debatte
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