Newsnational Mittwoch, 30.05.2012 |  Drucken

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Der unheimlich Nahe (Osten) - Von Reinhard Baumgarten

Gewaltige ge­o­strategische Veränderungen bahnen sich an: Die USA wenden sich nach Westen und müs­sen sich im pazifischen Raum der chine­sischen He­raus­for­derung stellen - Die Rüstungs-und Ölindustrie laufen dieser Entwicklung hinter her

Der Nahen Osten ist uns Europäern näher als vielen lieb ist. Er ist uns auch unheimli­cher, unbekannter und suspekter als vielen lieb ist. Mittelbar kriegen die Deutschen mit, welchen Einfluss diese wetterwendische Weltregion auf sie hat. Alle Jahre wieder steigen kurz vor Ostern die Spritpreise. Von der Gier der Ölmultis sprechen Kom­­men­tatoren dann ger­ne; über die Willkür des Ölkartells Opec und den markt­be­herr­schen­den Einfluss der nah­östlichen Ölpotentaten wird gejammert. In diesem Jahr kam noch die iranische Komponente hinzu: Teheran, so ent­neh­men wir dem me­dialen Trom­­mel­wirbel seit Anfang des Jahres, droht die Straße von Hor­muz zu schlie­ßen. Knapp sechs Meilen ist diese Wasserstraße breit, durch die rund 20 Pro­zent des täg­li­chen weltwei­ten Ölbedarfs transportiert werden.

Der Iran hat nicht die militärischen Mittel, um die­se Lebensader der Weltwirtschaft zu schlie­ßen. Die USA und ihre Ver­bün­de­ten wissen das. Mit einer beeindruckenden Armada schieben sie in der Region Wache. Dennoch schlagen die Spannungen im Per­sischen Golf auf die Ölprei­se durch. Zum einen des­we­gen, weil Ana­lysten an den Börsen und Zocker an den Roh­stoff­märkten wenig über die mi­litärischen Mög­lich­kei­ten Irans wissen. Und zum an­deren, weil sich mit Angst und Verunsicherung gut Handel treiben und mithin auch sat­te Ge­winne machen lässt. Das wissen auch die Rüstungsfirmen in den USA und Europa, die noch nie für so viel Geld in so kurzer Zeit Waffen in den Nahen Osten verkauft haben wie seit dem offe­nen Ausbruch der Spannungen im Herbst vergangenen Jahres.

Am Umbau nach dem Ende der Dikta­to­ren von Wa­shing­tons Gnaden nimmt Europa vor allem als Zuschauer teil. Versuche, sich am Aufbau der Zivilgesellschaft in arabischen Ländern zu beteili­gen, zeitigen kaum Erfolge

Der unheimlich nahe Nahe Osten wird uns in Zukunft noch näher sein. Nicht nur we­gen unserer notorischen Abhängigkeit vom Öl. Nicht nur, weil die Diskussion um mög­­­liche iranische Atomwaffen andauern wird. Die politischen und gesellschaft­lichen Entwicklungen im Nahen Osten werden zu einer großen Herausforderung für die Sta­bi­lität Euro­pas. Das liegt zunächst an der geographischen Nähe. Das liegt auch da­ran, dass sich gewaltige ge­o­strategische Veränderungen anbahnen.

Die USA wenden sich nach Westen. Sie müs­sen sich im pazifischen Raum der chine­sischen He­raus­for­derung stellen. Peking rüstet gewaltig auf. Bei anhaltend steigendem Militär­bud­get wird China die USA in knapp 20 Jahren den Rang als größte Militärmacht ablaufen. Großmächte können es sich nicht leisten, in Jahren zu denken. Großmächte müssen in Generationen denken. Die USA werden im Na­hen Osten zwar wegen der gewaltigen Ölreserven präsent bleiben. Aber langfristig werden sie nicht mehr die alles be­herr­schende Rolle spielen können. Der verlustreiche Waffengang in Afghanistan und mehr noch der irr­witzige Krieg im Irak haben die Weltmacht geschwächt und gi­gantische drei Billionen Dollar verschlungen, die im Konkurrenzkampf mit China schmerz­lich fehlen werden. Die Umbrüche in einst eng an Washington ge­bun­denen Ländern sind ein deutliches Zeichen dafür, dass die Jahrzehnte lang ange­wand­ten amerikanischen Rezepte zur Ordnung und Kontrolle des Nahen Ostens ausgedient haben. Das beste Beispiel ist Ägypten. Dort war der demokra­tisch nie­mals legitimierte Autokrat Husni Mubarak dank amerikanischer und europäi­scher Unterstützung drei Jahrzehnte lang an der Macht und konnte sein Volk in politischer Unmündigkeit halten.  

Der so genannte Ara­bi­­sche Frühling, dank dessen er „abgedankt“ wurde, wird die Erwartungen der ara­bi­schen Bevölkerungen nicht erfüllen können – das lässt sich jetzt schon sagen. Ebenso wenig werden die Hoff­nun­gen der Europäer auf demokratische Regierungs- und Ge­sellschaftssysteme an den südlichen Gestaden des Mittelmeeres erfüllt.

Die EU – und vor allem die Euro-Länder – sind in dieser enorm wichtigen Übergangs­phase viel zu sehr mit ihren eigenen Krisen be­schäftigt. Sie haben den Ländern Nord­afri­kas bislang kaum nennenswert geholfen. Am Umbau nach dem Ende der Dikta­to­ren von Wa­shing­tons Gnaden nimmt Europa vor allem als Zuschauer teil. Versuche, sich am Aufbau der Zivilgesellschaft in arabischen Ländern zu beteili­gen, zeitigen kaum Erfolge.

Aus Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten muss­ten u.a. Mitarbeiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung abgezo­gen wer­den. In Ländern wie Ägyp­ten, Tu­ne­sien und Libyen werden auf unabsehbare Zeit is­la­misch-konser­vati­ve Gruppierungen die politische und gesell­schaftliche Ent­wick­­lung vorgeben. In der Türkei tut das seit knapp zehn Jahren die islamisch-kon­ser­vative AK Partei von Recep Tayyip Erdoğan. Sie ist relativ erfolgreich – zumindest wirtschaftlich gesehen. Doch die AK Partei in der Türkei ist auf dem Boden einer sä­kularen Grundordnung ent­stan­den, an der sie nach derzeitigem Bekunden auch mit der neu zu schreibenden Verfas­sung festhalten will. In Ägypten bestimmen nach den Wahlen mode­ra­te bis ra­di­kale Islamisten zu­neh­mend die Politik. Sie werden es schwer haben, wirtschaftliche Erfolge und soziale Ver­besserungen vorzuweisen. Sie dürften ihr Heil in religiös-restriktiven Gesell­schaftsord­nun­gen suchen, die mit der Werteordnung Europas nur bedingt ein­her­gehen werden.


Der Autor Reinhard Baumgarten ist Hörfunkchef des ARD Studio Istanbul. Vorher hat er beim SWR u.a. das Islamische Wort geleitet und davor arbeitete er als Hörfunkchef des ARD-Studio in Kairo



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