Anzeige:
Der unheimlich Nahe (Osten) - Von Reinhard Baumgarten
Gewaltige geostrategische Veränderungen bahnen sich an: Die USA wenden sich nach Westen und müssen sich im pazifischen Raum der chinesischen Herausforderung stellen - Die Rüstungs-und Ölindustrie laufen dieser Entwicklung hinter her
Der Nahen Osten ist uns Europäern näher als vielen lieb ist. Er ist uns auch unheimlicher, unbekannter und suspekter als vielen lieb ist. Mittelbar kriegen die Deutschen mit, welchen Einfluss diese wetterwendische Weltregion auf sie hat. Alle Jahre wieder steigen kurz vor Ostern die Spritpreise. Von der Gier der Ölmultis sprechen Kommentatoren dann gerne; über die Willkür des Ölkartells Opec und den marktbeherrschenden Einfluss der nahöstlichen Ölpotentaten wird gejammert. In diesem Jahr kam noch die iranische Komponente hinzu: Teheran, so entnehmen wir dem medialen Trommelwirbel seit Anfang des Jahres, droht die Straße von Hormuz zu schließen. Knapp sechs Meilen ist diese Wasserstraße breit, durch die rund 20 Prozent des täglichen weltweiten Ölbedarfs transportiert werden.
Der Iran hat nicht die militärischen Mittel, um diese Lebensader der Weltwirtschaft zu schließen. Die USA und ihre Verbündeten wissen das. Mit einer beeindruckenden Armada schieben sie in der Region Wache. Dennoch schlagen die Spannungen im Persischen Golf auf die Ölpreise durch. Zum einen deswegen, weil Analysten an den Börsen und Zocker an den Rohstoffmärkten wenig über die militärischen Möglichkeiten Irans wissen. Und zum anderen, weil sich mit Angst und Verunsicherung gut Handel treiben und mithin auch satte Gewinne machen lässt. Das wissen auch die Rüstungsfirmen in den USA und Europa, die noch nie für so viel Geld in so kurzer Zeit Waffen in den Nahen Osten verkauft haben wie seit dem offenen Ausbruch der Spannungen im Herbst vergangenen Jahres.
Am Umbau nach dem Ende der Diktatoren von Washingtons Gnaden nimmt Europa vor allem als Zuschauer teil. Versuche, sich am Aufbau der Zivilgesellschaft in arabischen Ländern zu beteiligen, zeitigen kaum Erfolge
Der unheimlich nahe Nahe Osten wird uns in Zukunft noch näher sein. Nicht nur wegen unserer notorischen Abhängigkeit vom Öl. Nicht nur, weil die Diskussion um mögliche iranische Atomwaffen andauern wird. Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Nahen Osten werden zu einer großen Herausforderung für die Stabilität Europas. Das liegt zunächst an der geographischen Nähe. Das liegt auch daran, dass sich gewaltige geostrategische Veränderungen anbahnen.
Die USA wenden sich nach Westen. Sie müssen sich im pazifischen Raum der chinesischen Herausforderung stellen. Peking rüstet gewaltig auf. Bei anhaltend steigendem Militärbudget wird China die USA in knapp 20 Jahren den Rang als größte Militärmacht ablaufen. Großmächte können es sich nicht leisten, in Jahren zu denken. Großmächte müssen in Generationen denken. Die USA werden im Nahen Osten zwar wegen der gewaltigen Ölreserven präsent bleiben. Aber langfristig werden sie nicht mehr die alles beherrschende Rolle spielen können. Der verlustreiche Waffengang in Afghanistan und mehr noch der irrwitzige Krieg im Irak haben die Weltmacht geschwächt und gigantische drei Billionen Dollar verschlungen, die im Konkurrenzkampf mit China schmerzlich fehlen werden. Die Umbrüche in einst eng an Washington gebundenen Ländern sind ein deutliches Zeichen dafür, dass die Jahrzehnte lang angewandten amerikanischen Rezepte zur Ordnung und Kontrolle des Nahen Ostens ausgedient haben. Das beste Beispiel ist Ägypten. Dort war der demokratisch niemals legitimierte Autokrat Husni Mubarak dank amerikanischer und europäischer Unterstützung drei Jahrzehnte lang an der Macht und konnte sein Volk in politischer Unmündigkeit halten.
Der so genannte Arabische Frühling, dank dessen er „abgedankt“ wurde, wird die Erwartungen der arabischen Bevölkerungen nicht erfüllen können – das lässt sich jetzt schon sagen. Ebenso wenig werden die Hoffnungen der Europäer auf demokratische Regierungs- und Gesellschaftssysteme an den südlichen Gestaden des Mittelmeeres erfüllt.
Die EU – und vor allem die Euro-Länder – sind in dieser enorm wichtigen Übergangsphase viel zu sehr mit ihren eigenen Krisen beschäftigt. Sie haben den Ländern Nordafrikas bislang kaum nennenswert geholfen. Am Umbau nach dem Ende der Diktatoren von Washingtons Gnaden nimmt Europa vor allem als Zuschauer teil. Versuche, sich am Aufbau der Zivilgesellschaft in arabischen Ländern zu beteiligen, zeitigen kaum Erfolge.
Aus Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten mussten u.a. Mitarbeiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung abgezogen werden. In Ländern wie Ägypten, Tunesien und Libyen werden auf unabsehbare Zeit islamisch-konservative Gruppierungen die politische und gesellschaftliche Entwicklung vorgeben. In der Türkei tut das seit knapp zehn Jahren die islamisch-konservative AK Partei von Recep Tayyip Erdoğan. Sie ist relativ erfolgreich – zumindest wirtschaftlich gesehen. Doch die AK Partei in der Türkei ist auf dem Boden einer säkularen Grundordnung entstanden, an der sie nach derzeitigem Bekunden auch mit der neu zu schreibenden Verfassung festhalten will. In Ägypten bestimmen nach den Wahlen moderate bis radikale Islamisten zunehmend die Politik. Sie werden es schwer haben, wirtschaftliche Erfolge und soziale Verbesserungen vorzuweisen. Sie dürften ihr Heil in religiös-restriktiven Gesellschaftsordnungen suchen, die mit der Werteordnung Europas nur bedingt einhergehen werden.
Der Autor Reinhard Baumgarten ist Hörfunkchef des ARD Studio Istanbul. Vorher hat er beim SWR u.a. das Islamische Wort geleitet und davor arbeitete er als Hörfunkchef des ARD-Studio in Kairo
|