Newsnational Mittwoch, 04.01.2012 |  Drucken

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Werden Muslime gerne an den Pranger gestellt?

Nach der Kritik des Zentralratsvorsitzenden Aiman Mazyek nimmt Kardinal Meisner seine Vorverurteilungen zurück und bedauert sie. Aber der Flurschaden für die Muslime bleibt und eine Verurteilung und Distanzierung der von Christen begangenen Greuel fehlte - Worum geht es eigentlich? Von Oliver Bauer

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland wies die Vorwürfe des Kölner Kardinals Joachim Meisner vor einigen Tagen zurück, wonach angeblich deutsche Islam-Vertreter die neu aufflammende Gewalt in Nigeria nicht verurteilen würden. "Kardinal Meisner ist entweder auf Extremisten-Hetzer hereingefallen, oder er hat mit der Unwissenheit seiner Kirchengemeinde spekuliert", sagte der Zentralratsvorsitzende Aiman Mazyek der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Der Koordinierungsrat der Muslime habe schon am zweiten Weihnachtstag eine eindeutige Erklärung zu den Anschlägen auf Christen in Nigeria veröffentlicht, so Mazyek weiter (islam.de berichtete). "Erst vor Kurzem haben wir gemeinsam erklärt, dass der Koran Angriffe auf Kirchen, Synagogen und Moscheen selbst im Krieg deutlich verbietet", sagte er.

Ständige Distanzierungsforderungen

Leider ist der Fall Meisner ein exemplarisches Beispiel dafür, wie leichtfertig sogar Kirchenvertreter gebetsmühlenartig Distanzierungsforderungen an Muslime stellen. In diesem Zusammenhang erklärte Mazyek: „Das Maß ist langsam voll, sich immer distanzieren zu müssen und hinterher auch noch vorwerfen zu lassen, man habe es nicht getan. Von einem Kirchenführer erwarte ich einen fairen Umgang“.

Zudem vermisse Mazyek bis heute von ihm eine Verurteilung des Terrors in Nigeria – „und zwar der christlichen Organisation Akhwat Akwop", so Mazyek. Dadurch seien zum Ramadangebet 20 Muslime gestorben und alleine im vergangenen Jahr 5 Moscheen und 50 Häuser in Flammen aufgegangen.

Der Fall Nigeria ist lediglich der aktuellste Fall dieser Art; in leider regelmäßigen Abständen nehmen die Muslime in Deutschland und weltweit deutlich Stellung, verurteilen Terror und Gewalt. Dennoch wird den Muslimen jedes Mal aufs Neue vorgeworfen sich zu einem bekanntgewordenen Verbrechen eines vermeintlichen Muslims irgendwo in der Welt nicht distanziert zu haben, ob es nun in Mikronesien, Nigeria bis Alaska passieren würde.

Zweierlei Maß

Gestern entschuldigte sich Kardinal Meisner dann für seine Aussagen mit der Begründung er hätte die Erklärung des KRM, die er nun ausdrücklich lobte, zum Neujahrstag nicht gelesen.

Aber von einer Verurteilung oder gar Distanzierung, die er von den Muslimen ja seinerseits einforderte, war umgekehrt bezüglich Terrors von mutmaßlichen Christen nicht die Rede. Der Verdacht drängt sich auf, dass hier mit zweierlei Maß gerechnet wird.

Zudem haben in der Vergangenheit muslimische Vertreter immerzu Gewalt verurteilt von welcher Seite sie auch kam. Warum ausgerechnet der Kölner Kardinal in dieser Silvesternacht zu solchen Forderungen, ohne sich vorher wenigstens abgesichert zu haben, kommt, bleibt ein Geheimnis.

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn er seine Aussagen bedauert, aber der angerichtete Flurschaden ist ja da und deswegen wäre es redlich, wenn er seine Aussage auch in einer kommenden Predigt im Kölner Dom korrigiert. um einen gesellschaftlichen Schaden abzuwehren.

Vor der eigenen Haustüre kehren

Interessant ist es, dass sich im letzten Jahr der Fraktionschef der CDU Volker Kauder zu einem ähnlichen Fauxpas anschickte und die Verurteilung des KRM zu den Anschlägen auf eine Koptische Kirche in Alexandria überlas und dröhnte: Die Muslime sollen sich endlich von Gewalt distanzieren.

Man wird den Verdacht einfach nicht los, dass dies in Teilen inszeniert ist, um die Muslime an den Pranger zu stellen. Um Aufklärung oder echte Empörung geht es dabei wohl weniger. Und die, die sich gerade laut empören wegen den angeblichen ausbleibenden Erklärungen der Muslime zur Gewalt sind umgekehrt verdächtig still, wenn es um die eigene Distanzierung oder Verurteilung von Greueln, an Muslimen begangen, geht (siehe auch dazu unterer Link).

Es ist nicht so, dass die Muslime per se eine Distanzierung eines Verbrechens eines vermeintlichen Christen irgendwo in der Welt einfordern würden – wie umgekehrt dies bei Muslimen regelmäßig verlangt wird. Mit diesem Ping-Pong-Spiel ist niemandem geholfen. Doch wenn jemand schon lautstark eine Distanzierung von Muslimen einklagt, möge dieser doch bitte nicht mit dem Finger allein auf andere zeigen und zunächst vor der eigenen Haustüre kehren.


Lesen Sie dazu auch:
Tagesspiegel: Muslime: Gewalt nicht immer religiös interpretieren

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