Newsnational Donnerstag, 19.05.2011 |  Drucken

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Gespensterjagd mit Bin Laden in der Hauptrolle - Von Hans Leyendecker

Die arabischen Revolutionäre sind die eigentlichen Sieger über die Gangster von Al-Kaida – Was bleibt: Viele hundert Milliarden Dollar kostete bislang der Kampf gegen die islamistischen Gespenster. Zwei Kriege wurden geführt, schätzungsweise 150000 Menschen starben dabei

Ein Gespenst ging um die Welt: das Gespenst des global vernetzten islamistischen Terrorismus. Es trat in unterschiedlichen Verkleidungen und Formen auf und schien allgegenwärtig zu sein. Weil auch Gespenster zur besseren Unterscheidung Namen bekommen, wurde es al-Qaida genannt. Mancher nannte es auch nur Osama bin Laden. Das klang sogar noch gefährlicher.

Zwar hat die Welt schon viele religiöse Fanatiker und politische Schwerkriminelle erlebt, aber kein anderer Träumer des Absoluten löste solche Paranoia aus wie der Massenmörder vom 11. September. Aus berechtigter Sorge über seine angeblichen Pläne wurde nicht selten hysterischer Katastrophismus. Es ist noch gar nicht lange her, dass Bin Ladens Mörderbande von Experten als 'dritte totalitäre Herausforderung' beschworen wurde. Also fast so schlimm wie der Kommunismus und der Nationalsozialismus. Das war eine wahnsinnige Übertreibung und machte Hitler und Stalin sehr klein. Bin Laden mag vieles gewesen sein, ein Wiedergänger Hitlers war er nicht.

Und dann beendeten zwei Kugeln den Spuk. Auch Gespenster sind also sterblich. Jetzt warnt die professionelle Warn-Industrie, zu der Geheimdienste und Politik, aber auch Wissenschaft und Publizistik gehören, wieder mal vor der Entwarnung. Einzeltäter, Rächer, Bewahrer des Mythos al-Qaida könnten unterwegs sein. Ja, immer ist jemand irgendwo unterwegs. Die Sicherheit hat eine fürsorgliche Lobby, die einem auch mal Angst machen kann. Sie braucht den ewigen Dämon, um ihn mit allem, was ein Apparat hergibt, bekämpfen zu können.

Kämpfer für Sicherheit haben die Eigenschaft, niemals sorgenfrei zu sein. Immer fehlt irgendwo ein Stück an Absicherung gegen den imaginären oder den tatsächlichen Feind. Es braucht dann noch härtere Gesetze, mehr Personal, größere Befugnisse, um heute, morgen und übermorgen die Welt retten zu können. Sicherheitsapparate halten sich für den Fels in der Brandung - für die letzte Bastion vor dem Weltuntergang.

Fast zu jeder Zeit entwickeln Gesellschaften das Gefühl, in einer Endzeit zu leben, einer Zeit, in der die Entscheidung über die Zukunft, über das Überleben fällt. Sie braucht das Feindbild einer totalen, absoluten Bedrohung, um sich als die bedrohteste aller Zeiten zu empfinden. Erst die Vorstellung von der Apokalypse macht Rettung und Retter besonders wichtig.

Arabische Revolutionen führten zur eigentlichen Niederlage derTerroristen

Die Retter vor dem Terror?

Der Krieg gegen den Terror brauchte Retter und da boten sich die westlichen Geheimdienste an, allen voran die vielen amerikanischen. Haben sie die Welt wirklich vor dem Schlimmsten bewahrt? Vor allem haben sie sich gerettet. Nach dem Ende des Kalten Krieges dümpelten sie noch ohne klaren Auftrag und Anerkennung dahin. Sie waren oft schlecht informiert, hatten keine Ahnung gehabt, was warum wo schon wieder passiert war. Die schrecklichen Bilder vom Massenmord am 11. September zogen dann eine ganze Gesellschaft in den Bann und ließen sie nicht mehr los.

Wer die Bedrohung zunächst unterschätzt hatte, wurden fortan kräftig unterstützt, um die ganz große Gefahr bekämpfen zu können. Viele hundert Milliarden Dollar kostete bislang der Kampf gegen die islamistischen Gespenster. Zwei Kriege wurden geführt, schätzungsweise 150000 Menschen starben dabei. War die Bedrohung wirklich so total? Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Mörder haben oft grauenhaft zugeschlagen und in Deutschland ist es dem Glück und der Professionalität der Dienste und der Polizei zu verdanken, dass es keinen größeren Anschlag gegeben hat. Aber wahr ist auch, dass verglichen mit den üblichen Lebensrisiken die Terrorgefahr minimal ist. Es gibt im Leben weit größere Bedrohungen. Überdies waren viele Lagebeurteilungen angeblicher Terror-Experten, auf denen die Angst vor der großen Bedrohung beruhte, ungenau, überzogen, falsch.

Jahrelang wussten die Terror-Jäger ganz genau zu berichten, Bin Laden und seine engere Gefolgschaft hause im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet und sei mit dem eigenen Überleben beschäftigt. Dieser Umstand erkläre, warum er keine Operationen mehr steuern könne. Er lebe abgeschnitten von der Welt und sei schwer krank. Dabei wohnte der Mann mit Frau und Kindern in einer pakistanischen Garnisonsstadt, und krank war er auch nicht. Er hatte Computer, er hatte Fernseher und soll, wie die Dienste jetzt wissen, seinen Leuten Tipps für Anschläge gegeben haben. Die sollen ihm aber nicht immer gefolgt sein, heißt es. Alles ohne Garantie, wie immer.


Das Märchen vom Netzwerk der Terroristen

Dieses angeblich omnipotente Wesen, das auch nur ein Menschlein war, hatte angeblich ein weltweites Franchise-System aufgebaut. Metastasenartig sollen sich diese Filialen des Terrors über den Globus verbreitet haben. Nun stellt sich heraus, dass das Franchise-Unternehmen alles in allem doch ein sehr überschaubarer Laden mit nur ein paar Niederlassungen geblieben ist.

Die Maghreb-Filiale in Nordafrika ist vor allem eine Räuberbande; die im Irak und in Somalia sind mit lokalen Geschichten beschäftigt, und wenn Bin Laden forderte, dass es mal in den USA wieder richtig krachen müsse, sollen die regionalen Führer abgewunken haben. Nicht schon wieder. Die Gruppe im Jemen gilt seit einer Weile als die ganz neue, ganz große, ganz internationale Gefahr. In der Propaganda ist die al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel sicherlich eine ziemlich bedeutende Nummer und sie hat auch versucht, den Terror in andere Länder zu tragen. Mit eher mäßigem Erfolg.

Der tote Bin Laden, hieß es vor seinem Ende, würde noch gefährlicher sein als der lebende. Verbohrte Muslime würden ihn als Märtyrer feiern, am Ende könnten Kalifate errichtet werden. Doch Bin Ladens Ideen und Methoden sind in der islamischen Welt längst nicht mehr populär. Selbst Organisationen, deren Ideologie früher al-Qaida inspiriert hatte, begrüßten sein Ende: 'Mit dem Tod Bin Ladens ist einer der Gründe, warum in der Welt Gewalt ausgeübt wurde, beseitigt worden', erklärte eine Sprecher der ägyptischen Muslimbrüder.

Viele der Einschätzungen, die von den Diensten genährt wurden und als sichere Feststellungen galten, waren übertrieben. Wahnvorstellungen und Omnipotenzphantasien der Gotteskrieger wurden für bare Münze genommen. Über die Gründe kann man spekulieren.

Auffälligerweise haben die vielen Fachleute für islamistische Bedrohungen aller Art zwar die Netzwerke der Terroristen in arabischen Länder bis auf den kleinsten Knoten genau beschreiben können, aber sie haben erstaunlicherweise nichts von den Demokratiebewegungen in diesen Ländern mitbekommen. Die Despoten, die im Westen deshalb Verbündete hießen, weil sie gegen al-Qaida waren, werden jetzt überall Despoten genannt. Einige von ihnen wurden von echten Revolutionären vertrieben oder festgesetzt. Diese Revolutionäre haben die eigentliche Arbeit bei der Gespensterjagd geleistet. Vielleicht sollte man zur Abwechslung sie unterstützen.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors Hans Leyendecker, der SZ-Redakteur ist. Erstveröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 14. Mai 2011



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