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Mittwoch, 27.04.2011 | Drucken |
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Werte einer demokratischen und weltoffenen Gesellschaft "mit Füßen getreten"
Muslime und Juden in Deutschland haben den Zickzack-Kurs der SPD im Fall Thilo Sarrazin scharf kritisiert
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, sagte heute der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ): „Die SPD drückt sich um eine klare, schonungslose Auseinandersetzung mit Thilo Sarrazin und seinen destruktiven Thesen.“ Das sei für die Muslime in Deutschland kein ermutigendes Signal, erklärte Mazyek, der gegenwärtig Sprecher des Koordinationsrats der vier großen Dachverbände der Muslime ist.
Wenn einer – und eine wachsende Schar mit ihm – auf Teufel komm raus auf Minderheiten draufhaue und sie pauschal als minderwertig und Sündenböcke beschreibe, „dann muss es doch möglich sein zu sagen, dass so was nicht mit den Werten einer demokratischen und weltoffenen Gesellschaft zusammengeht“. Dann gehöre es zum elementaren menschlichen Charakter, „solchen Leuten buchstäblich und im Sinne ureigener Werte der Sozialdemokratie die Rote Karte zu zeigen“, forderte Mazyek.
Er fürchtet, dass der „Leidensweg der Genossen“ noch nicht zu Ende sei, da die SPD nun versuche, Sarrazins populistischem Stammtisch aus dem Weg zu gehen, anstatt ihm offen die Stirn zu bieten. „Wir brauchen mehr Politiker, die für ihre Werte stehen und kämpfen, auch wenn ihnen der raue Wind mal entgegenschlägt“, mahnte der ZMD-Vorsitzende.
Den Parteiaustritt des Gründers des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokraten, Sergey Lagodinsky, wegen Sarrazin nannte Mazyek „bedauerlich, aber verständlich“. Er habe sich für den Ausgleich und die Versöhnung der Kulturen und Religionen eingesetzt. „Werte, die Herr Sarrazin mit Füßen tritt.“ Siehe dazu auch Interview im "DTN" (unterer Link)
Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, sagte der NOZ, der Verzicht auf einen Ausschluss Sarrazins „war kein glorreicher Tag in der Geschichte der SPD“. Aufzugeben, bevor man begonnen habe, für eine Sache zu kämpfen, gehöre nicht zur Tradition der Partei. „Es wäre richtig und besser gewesen, für einen Ausschluss Sarrazins zu kämpfen, auch auf das Risiko einer Niederlage hin“, kritisierte Kramer, der SPD-Mitglied ist. Er wolle in der Partei bleiben, allein um sie nicht den Sarrazins und deren Sympathisanten zu überlassen, betonte er. „Die SPD war historisch auch immer die Partei von Juden in Deutschland, und sie sollen auch zukünftig hier eine politische Heimat haben.“ Sarrazin habe mit seinen rassistischen Thesen keinen Platz in der SPD. „Das gilt es durch die politische Auseinandersetzung in der Partei klarzumachen“, forderte Kramer.
Die Verfasser der „Berliner Erklärung“, die allein in Berlin von mehr als 100 Sozialdemokraten unterschrieben wurde, entschuldigten sich bei allen von der SPD Enttäuschten. Sie appellierten an unzufriedene SPD-Mitglieder, die Partei nicht zu verlassen. Aus Protest gegen das Ende des Verfahrens haben bisher unter anderen der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland, Mehmet Tanriverdi, und der Gründer des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokraten, Sergey Lagodinsky, ihren Parteiaustritt erklärt.
Dagegen verteidigte Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz die Entscheidung für Sarrazin. „Er hat eine weitreichende Erklärung abgegeben. Diese durften die antragstellenden Parteigliederungen nicht ignorieren.“ Der Berliner SPD-Landesvorstand beriet gestern Abend in einer Sondersitzung über die Lage. Bundes- und Landespartei sowie der Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf hatten ihre Ausschlussanträge gegen Sarrazin zuvor zurückgezogen.
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