Newsnational Dienstag, 21.09.2010 |  Drucken

„Die Kampagne ist alarmierend“

Nihad Awad, Direktor der größten muslimischen Bürgerrechtsorganisation der USA, spricht im FR-Interview über Islamfeindlichkeit in seinem Land.

Herr Awad, in New York wird über den Bau eines islamischen Gemeindezentrums gestritten. Warum kochen antimuslimische Gefühle neun Jahre später in den USA derart hoch?

Das ist eine fabrizierte Kampagne von Leuten, die den Islam und amerikanische Muslime denunzieren. Sie haben Fox News auf ihrer Seite, ein rechtslastiges TV-Netzwerk. Dazu kommt, dass einige republikanische Politiker vor den Kongresswahlen sich einen Vorteil davon versprechen, Minderheiten wie Muslime zu attackieren. Die Geschichte wiederholt sich leider. Das gab es in der McCarthy-Ära und der Zeit der Rassendiskriminierung schon. Muslime sind aber auch Amerikaner und Teil dieser Gesellschaft. Auch Muslime kamen in den Twin Towers ums Leben, und auch Muslime haben dort als Feuerwehrleute Menschen gerettet.

Wie ernst sollte man Leute wie Pastor Terry Jones nehmen, die den Koran verbrennen wollen? Auch in den USA hat sein Vorhaben breites Entsetzen ausgelöst.

Natürlich müssen wir die Menschen daran erinnern, dass diese Kirche eine kleine Gemeinde am gesellschaftlichen Rand ist. Sie repräsentiert weder das Christentum noch Amerika. Dieser Pastor und seine Kirche sind im Wortsinn bankrott. Ich hoffe, die Leute verstehen, dass er nur Aufmerksamkeit sucht. Aber solche Aktionen sind eben auch ein Nebeneffekt der antimuslimischen Kampagne, die wir in den vergangenen Monaten erlebt haben. Und diese Kampagne ist alarmierend. Ich habe so etwas noch nie erlebt, auch nicht nach dem 11. September 2001.

Was hat sich geändert?

Präsident George W. Bush hat damals unmittelbar nach 9/11 demonstrativ eine Moschee besucht. Ich habe ihn mit anderen Vertretern der muslimischen Gemeinde empfangen. Das war ein Höhepunkt seiner Präsidentschaft. Wir waren oft nicht seiner Meinung, aber wir haben diese Geste nicht vergessen. Leider spüren wir eine solche Unterstützung der politischen Führung heute nicht. Das ist ein Teil des Problems.

Was sollte US-Präsident Barack Obama tun?

Die Unterstützung der Demokraten generell für amerikanische Muslime könnte stärker sein. Sie sollten sich nicht so sehr um politische Kosten sorgen, sondern um die Grundwerte dieses Landes.

Gerade in Europa hat man die Integration von Muslimen in den USA als Erfolgsstory betrachtet. War das voreilig?

Amerikanische Muslime betrachten sich selbst nicht als gesellschaftliche Randgruppe. Es gibt sie, seit die Republik gegründet wurde, die sozialen Indikatoren sind gut. Langfristig werden diese Provokateure keinen Erfolg haben. Es gibt einen Gegenwind gegen diese Art von Intoleranz. Doch leider werden wir wohl noch einiges erdulden müssen.

Laut Umfragen lehnt eine große Mehrheit der US-Bürger das geplante islamische Gemeindezentrum nahe Ground Zero ab. Sind diese Menschen alle islamophob?

Ich bin nicht überrascht. Wenn die Öffentlichkeit 24 Stunden am Tag mit falschen Informationen gefüttert wird und antimuslimische Gefühle angeheizt werden, dann kann man die Leute in die Irre führen, wie man sie 2003 vor dem Irakkrieg in die Irre geführt hat. Dieses Land hat andere Probleme: Wirtschaft, Schulen, Gesundheit, Arbeitslosigkeit. Wenn ein Projekt, das für Koexistenz und Verständigung eintritt, auf diese Weise ins Zentrum der Debatte rückt, stimmt etwas nicht.

Der Initiator des Zentrums, Imam Feisal Abdul Rauf, hat angedeutet, dass er im Rückblick einen anderen Ort gewählt hätte. Wurde die Brisanz der Nähe zu Ground Zero unterschätzt?

Wir haben Sympathien für die Gefühle der 9/11-Familien. Die Organisatoren sollten sich mit ihnen treffen, ihr Vorhaben erklären. Aber wir können nicht legitimen Gefühlen erlauben, Verfassungsrechte umzuschreiben. Den Leuten, die diese Kampagne organisieren, geht es nicht um Ground Zero. Sie sind gegen alle Moscheen, in Kalifornien, Florida, Minnesota, überall. Auf ihren Webseiten erklären sie, wie man den Bau von Moscheen am besten stoppt. Das hat nichts mit 9/11 zu tun.

Erstveröffentlichung in der Frankfurter Rundschau, mit freundlicher Genehmigung von fr-online.de





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