Newsnational Mittwoch, 16.06.2010 |  Drucken

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Alternativer Verfassungsschutzbericht: „Die Freiheit schenkt sich nicht"

Gerhart Baum warnt vor weiteren Schritten zum Überwachungsstaat - Eklatante Beispiele des GRUNDRECHTE-REPORT 2010

Der Grundrechte-Report 2010 wurde Ende Mai in Karlsruhe durch Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister, der Öffentlichkeit präsentiert. Dort wurden diverse Schlaglöcher unserer heutigen Rechtswirklichkeit vorgestellt – doch scheint die Aufmerksamkeit dafür sehr gering zu sein. "Auch in einer gefestigten Demokratie sind die Grundrechte nicht vor offener oder schleichender Aushöhlung sicher. Das zeigt der Report am Beispiel zahlreicher Einzelfälle und an einer Reihe von staatlichen Maßnahmen", bilanzierte Gerhart Baum den Zustand der Verfassungswirklichkeit in Deutschland.

Dies sei im Grundrechte-Report anschaulich dokumentiert: "ELENA ist ein weiterer Schritt hin zum Überwachungsstaat, ebenso die Auslieferung der Kontodaten an die USA ohne wirksamen Datenschutz (SWIFT). Gefährdet ist das ohnehin verstümmelte Asylrecht und immer wieder das Demonstrationsrecht." Baum betonte in seinem Vortrag: "Der Kampf um die Grundrechte ist auch ein Kampf gegen die Gleichgültigkeit vieler Bürger. Die Freiheit schenkt sich nicht!".

Mit zahlreichen Beispielen belegt der Grundrechte-Report 2010, dass nach wie vor die meisten Eingriffe in die Grundrechte von Maßnahmen der Exekutive ausgehen: Polizeiliche Videoüberwachung, Vorkommnisse um den NATO-Gipfel in Straßburg und Kehl, Untergrabung der journalistischen Unabhängigkeit durch Absetzung des ZDF-Intendanten. Auch exterritoriale Grundrechtsverletzungen werden thematisiert -- wie die Tötung von Zivilisten bei der Bombardierung der Tanklaster in Kunduz im Sommer 2009 sowie der Kampf gegen Piraterie vor Somalia.

Von Seiten der Herausgeber hob Marei Pelzer, PRO ASYL, als positive Entwicklung hervor, dass die im Grundrechte-Report geforderte Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention am 3. Mai 2010 von der Bundesregierung beschlossen worden sei. "Jetzt steht die Politik in der Pflicht, Flüchtlingskinder nicht länger wie Kinder zweiter Klasse zu behandeln. Sie gehören nicht in Abschiebeknäste." Der Report zeige anhand vieler Beispiele, dass Nichtdeutschen grundlegende Menschenrechte oftmals vorenthalten werden.

Mitherausgeber Till Müller-Heidelberg, ehemaliger Bundesvorsitzender der Humanistischen Union, kritisierte die ungebremste Datensammelwut staatlicher Behörden. Der geplanten Neuverhandlung des SWIFT-Abkommens -- das nur durch das Europäische Parlament vorläufig verhindert worden sei -- sei entschieden entgegenzutreten. "Die Arbeitnehmergroßdatenbank ELENA schafft den gläsernen Arbeitnehmer und ist mit dem Grundsatz der Datensparsamkeit schlicht unvereinbar."

Aus Sicht einer Betroffenen wurde ein Einzelfall staatlicher Kindesentziehung geschildert. Die Herausnahme eines Kindes aus einer Familie -- aufgrund fragwürdiger Atteste -- zeigt, wie schwerwiegend staatliche Stellen in die private Lebensführung eingreifen können und wie sehr eine rechtsstaatliche Kontrolle solcher Prozesse nötig, im vorliegenden Fall jedoch unterblieben ist.

Der jährliche Report zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland zieht auch in seinem 14. Erscheinungsjahr mit 53 Beiträgen kritisch Bilanz zum Zustand der Grundrechte. Der im Fischer Taschenbuch Verlag verlegte, 1997 erstmals erschienene Grundrechte-Report versteht sich als "alternativer Verfassungsschutzbericht". Neun Bürger- und Menschenrechtsorganisationen dokumentieren darin jährlich den Umgang mit dem Grundgesetz.



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