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Montag, 14.06.2010 | Drucken |
Hilal Sezgin: "Mihriban pfeift auf Gott - Buchbesprechung"
Letztlich ist das Buch als Aufforderung an die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu werten, ihr Islam- und Immigrantenbild nicht von der Außenwelt bestimmen zu lassen. Es gelte selbst herauszufinden, wo ein der Gesellschaft und ihrem Facettenreichtum dienlicher Islam zum Ausdruck gelangt und wo die Religion für die Rechtfertigung einer bereits vorhandenen, gegen den freiheitlichen Pluralismus gerichteten Einstellung instrumentalisiert wird.
Eine solche Herangehensweise an ein gesellschaftlich derartig signifikantes Thema, wie sich an der seit dem 11. September 2001 in ganz Westeuropa grassierenden Islamophobie eindeutig ablesen lässt, negiert allerdings auf allzu leichtfertige Art und Weise die überlegenen künstlerischen Möglichkeiten tief greifender kreativer Reflexion, die ein begabter Autor diesem komplexen Thema in einem Werk der literarischen Fiktion abzuringen in der Lage ist. Salman Rushdie hat sich nicht erst mit seinen «Satanischen Versen» gegen jede Art von religiös motiviertem Fanatismus gewandt, sondern hatte sich dieses Thema schon in seinem der klassischen Fantasy nahestehenden Debütroman «Grimus» zu eigen gemacht.
Wie jedoch der Mord an dem sogenannten «islamkritischen» niederländischen Filmemacher Theo van Gogh im Jahr 2004 oder zuletzt der dänische Karikaturenstreit unzweideutig bewiesen haben, kann allzu großer künstlerischer Wagemut für die betreffenden Personen drastische Folgen zeitigen, was erschreckender Weise in aller Regel am wenigsten mit der Qualität ihrer geistigen Schöpfungen zu tun hat, sondern vor allem auf die gemeinhin eher irrationalen, kaum vorauszuahnenden Reaktionen derjenigen fanatisierten Gläubigen zurückzuführen ist, die sich von den jeweiligen Kunstobjekten in ihren religiösen Vorstellungen verletzt und verhöhnt fühlen.
Umso mehr muss man den Mut der türkischstämmigen freien Journalistin und Publizistin Hilal Sezgin (geboren 1970 in Frankfurt am Main) bewundern, die mit ihrem literarischen Debüt «Mihriban pfeift auf Gott» einen ausgesprochen unterhaltsamen, gleichwohl aber höchst vielschichtigen Roman über politische Denkverbote in Deutschland, Terrorangst, Islamophobie, staatliche Willkür und radikalen Islamismus geschrieben hat, der sich auf durchgängig hohem sprachlichen und humoristischen Niveau an der delikaten, schwer zu gestaltenden Schnittstelle von leichtfüßig-heiterer Satire und ambitioniert-entlarvender Farce bewegt und uns zahlreiche überaus treffend formulierte wunderbar-entwaffnende Einsichten aus der Parallelwelt säkularer in Deutschland geborener Türken bietet, deren Integration in unser Gesellschaftssystem kaum weiter fortgeschritten sein könnte - was dieses Buch zur Pflichtlektüre für jeden macht, der an einer unerklärlichen affektiven Furcht vor Minaretten in deutschen Großstädten und schwarzen Schnurrbärten leidet.
Die 32-jährige Erzieherin Mihriban Erol verbringt gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder und dessen kleiner Tochter einen unbeschwerten Urlaub am Roten Meer. Am Silvesterabend wird eine denkwürdige «ZDF»-Silverstergala ins vornehmlich von Deutschen frequentierte Hotel übertragen, in deren Verlauf eine B-Prominente auf der Bühne kollabiert: Islamisten haben in großem Maßstab Sekt vergiftet - acht Menschen sterben, Hunderte werden mit massiven Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus eingeliefert.
Und ausgerechnet in dem Besitz von Mihribans Bruder Mesut, der neuerdings zum großen Unverständnis seiner Schwester zu Allah gefunden hat, befindet sich ein Video, auf dem die Besichtigung einer Sektfabrik zu sehen ist. «Mihriban pfeift auf Gott» ist ein Buch, das nicht nur glänzend unterhält, sondern auch viele Schranken, die selbst in unserer scheinbar so aufgeklärten Gesellschaft vorhanden sind, einfach einreißt.
Sezgins Roman bringt plastisch zum Ausdruck, wie sehr ein von Ressentiments und subjektiven Wertkategorien bestimmtes Bewusstsein unsere Einstellung gegenüber dem Anderen leiten kann. Zugleich stellt er sich als Plädoyer für ein permanentes Hinterfragen des von der Öffentlichkeit vorgesetzten Bildes und ein ständiges Überprüfen anhand der Realität heraus. In dieser Hinsicht kann die Romanprotagonistin Mihriban trotz ihrer unverkennbaren Voreingenommenheit gegenüber ihrem Bruder, dem Islam und Religion an sich als Vorbild gelten. Sie bemüht sich eigenständig um die Aufklärung des Anschlags und nimmt die Angaben der Polizeiberichte ebenso wie der darüber berichtenden Zeitungsartikel nicht unreflektiert als gegeben hin.
Hilal Sezgin: Mihriban pfeift auf Gott
DuMont Buchverlag, Köln 2010
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