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Freitag, 28.08.2009 | Drucken |
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Trendwende für Muslime bei der Kommunalwahl in NRW
Mehr Muslime als je zuvor werden in die Städteparlamente einziehen – Muslimische Wählerliste in Bonn hat realistische Chance – Islamfeindliche Propaganda rechter Gruppen schaden etablierten Parteien am meisten
In Nordrhein Westfalen (NRW), dem bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland leben die meisten Muslime (über eine Mio) und Menschen mit Migrationshintergrund.
Vor den Kommunalwahlen in NRW an diesem Sonntag deutet sich ein Trend an, der 2004 bei der letzten Wahl so nicht abzusehen war. Menschen mit Migrationshintergrund, oft auch Muslime selber treten an und kandidieren auf Plätze in den Städteparlamenten.
Exemplarisch stehen z.B. in Essen am Sonntag fünf Kandidaten zu Auswahl – allesamt Muslime: Esma May (CDU), Sinan Kumru (SPD), Burak Copur (Grüne), Vural Ekinci (EBB) und Sidiqa Faizy (Die Linke). Nicht bei allen Bewerbern ist der Einzug in den nächsten Stadtrat sicher, aber übereinstimmend berichten sie, dass es auf ihrem Weg zur Kandidatur durchaus Förderung gegeben habe. Solche Entwicklungen sind auch in anderen Städten zu verzeichnen, beispielsweise, Köln, Aachen, Bochum um nur einige zu nennen.
Während vor fünf Jahren beispielsweise der heutige Generalsekretär des Zentralrates der Muslime Aiman Mazyek noch als Exot galt, als er als Bürgermeisterkandidat und FDP-Vorsitzender in Alsdorf antrat (und 10 Prozent holte), wird es sehr wahrscheinlich sein, dass diesen Sonntag bei den NRW-Kommunalwahlen mehr Muslime als je zuvor in die Städteparlamente einziehen werden.
Ein weiterer Trend ist erkennbar, der sich wahrscheinlich in Zukunft noch verstärken wird. Weil die herkömmlichen Parteien trotz dieser positiven Entwicklung für viele dennoch keine erkennbare Alternativen darstellen, bzw. die Muslime sich über sie enttäuscht zeigen, bilden sich insbesondere in Ballungsgebiete, wo es große muslimische Bevölkerungsteile leben, freie und neue muslimische Wählerlisten.
Haluk Yildiz gründet Bonner muslimische Lokalpartei
Unter dem Motto „Gerechtigkeit ist der Weg, Frieden ist das Ziel!“ und mit dem Slogan „Vereinen statt Spalten“ hat sich in Bonn eine solche Liste gebildet, sie nennt sich „Bündnis für Frieden und Fairness“ (BFF) und tritt bei den Bonner Kommunalwahlen am Sonntag an (siehe auch unterer link). Es ist eine von mehreren neu gegründeten Vereinigungen mit muslimischem oder Migrationshintergrund in NRW.
BFF-Vorsitzende Haluk Yildiz erklärte bei einer Pressekonferenz vor einigen Tagen, dass der neuen Lokalpartei rund 50 Mitglieder angehörten mit zehn Nationalitäten - bisher ausschließlich Muslime. Yildiz betonte jedoch ausdrücklich, dass man sich nicht als „muslimische Partei“ verstehe und offen für alle sei.
Haluk Yildiz ist auch Sprecher des vor drei Jahren in Bonn gegründeten „Rates der Muslime“.
Laut Angaben des statistischen Amtes der Stadt Bonn hatten am 1. Januar 2009 etwa 74.500 Menschen in der Stadt eine Zuwanderungsgeschichte, davon seien etwa 44 Prozent mittlerweile eingebürgert, erklärte Yildiz. Mehr als die Hälfte der Mitglieder des BFF habe einen Migrationshintergrund, es seien aber auch Deutschstämmige darunter.
Der Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Bonn, Eckart Wüster, wertete die Gründung der Wählervereinigung von Muslimen als „Ausdruck zunehmender politischer Normalität“
Etablierte Parteien wissen meist keine Antwort auf die islamfeindlichen Parolen rechter Gruppen
Es ist anzunehmen, dass solche und ähnliche Bündnisse in anderen Städten folgen werden, nicht zu letzt weil sich auch immer mehr rechte Gruppierungen bei Kommunalwahlen und Landtagswahlen breit machen, die offen ihre Politik als Interessenspolitik gegen Muslime verstehen und deutlich islamfeindliche Propaganda verbreiten. Die etablierten Parteien haben dazu meist kein Rezept, wie sie sich gegen dieses Schwarze-Peter-Spiel und Ausländer-Raus-Schlachtrufe erwehren wollen oder gehen mangels politischen Mut einmal mehr auf Tauchstation.
Eine schier unbefriedigende Situation auf Dauer für Muslime. Dass die etablierten Parteien damit der Marginalisierung und Zerstückelung des deutschen Parteinsystem insgesamt Vorschub leisten, ist vielen Politikern wahrscheinlich noch nicht ganz klar, vielleicht auch weil sie selber damit zu kämpfen haben, den eigenen Bedeutungsverlust zu verkraften (Bsp.: Ist die SPD noch Volkspartei).
In Städten und Region mit hohen Muslimanteilen werden also Muslime über diesen Weg versuchen in den Stadtrat zu kommen, um die Politik mitzubestimmen. Nur in den Kommunen macht dies übrigens auch Sinn. Auf Bundesebene hätte eine „muslimische Partei“ wegen dem zu geringen muslimischen Wählerpotential nicht den Hauch eine Chance. Also bleiben solche Konstruktionen nur in Städten bedeutsam und sind durchaus beispielgebend für Duisburg- Marxloh, Köln Mühlheim/Ehrenfeld/Nippes.
Da eine 5-Prozent-Hürde nicht mehr besteht, hat beispielsweise die BFF eine realistische Chance in den Bonner Stadtrat gewählt zu werden. Ziel sei die Bildung einer Fraktion mit drei Abgeordneten, so Yildiz. Er könnte es schaffen und damit Vorbild für einen solchen Trendwende werden.
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