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Sonntag, 12.07.2009 | Drucken |
Im Zeichen der Solidarität mit allen Muslimen
Der Mord an Marwa al-Sherbini ist das Ergebnis der beinahe ungehinderten Hasspropaganda gegen Muslime von den extremistischen Rändern der Gesellschaft bis hin in deren Mitte, meint Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Am Montag dieser Woche besuchte ich, zusammen mit dem Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, dem Ägyptischen Botschafter Ramzi Ezzeldin Ramzi, dem Polizeipräsidenten Bernd Merbitz und dem sächsischen Justizminister Geert Mackenroth, Elwi Ali Okaz im Krankenhaus in Dresden.
Seine Ehefrau, Marwa al-Sherbini, war von einem fanatischen Moslemhasser erstochen worden – wohlgemerkt in einem deutschen Gerichtssaal. Dabei starb auch ihr ungeborenes Kind. Der drei Jahre alte Sohn musste die Tat im Gerichtssaal mit ansehen. Ihren Mann, der sie zu schützen versuchte, hat der Mörder lebensgefährlich verletzt.
Durch den Krankenbesuch wollten wir Elwi Ali Okaz nach seinem schrecklichen Verlust und seiner schweren Verwundung – er wurde als vermeintlicher Angreifer auch noch aufgrund einer schrecklichen Verwechslung versehentlich von einem Polizisten angeschossen –, Mut zusprechen und nach Außen ein Zeichen der Solidarität nicht nur mit den Opfern, sondern mit allen Muslimen in Deutschland setzen.
Unser Besuch löste ein unerwartet breites Medienecho aus. Irritierend dabei: Manch einer Redaktion schien die Dresden-Reise zweier Generalsekretäre unterschiedlicher Konfessionen erwähnenswerter als der rassistische Mord selbst. Offensichtlich fanden manche Redakteure die Ermordung einer Muslima weit weniger bemerkenswert als das gemeinsame Auftreten von zwei Generalsekretären, Moslem der eine, Jude der andere.
In manchen Stellungnahmen klang auch eine geradezu süffisante, gutmenschliche Genugtuung über ein "Bündnis der Minderheiten" durch, die sich nun endlich als lernfähig erwiesen – und gemeinsames Handeln gelernt hätten.
Angesichts dieser Situation tut ein klärendes Wort Not. Ich bin nicht nach Dresden gefahren, weil ich als Jude Angehöriger einer Minderheit bin. Ich unternahm die Reise, weil ich als Jude weiß: Wer einen Menschen wegen dessen Rassen-, Volks- oder Religionszugehörigkeit angreift, greift nicht nur die Minderheit, sondern die demokratische Gesellschaft als Ganzes an.
Deshalb ist nicht die Frage relevant, warum ein Vertreter der jüdischen Gemeinschaft Elwi Ali Okaz seine Trauer und Solidarität bekundete, sondern die, warum es nicht auch einen massiven Besucherstrom oder Solidaritätsadressen von Vertretern der deutschen Mehrheitsgesellschaft gab?
Warum kamen die Reaktionen der Medienlandschaft wie der Politik auf den Mord so spät? Jetzt wird, nicht zuletzt unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit, nachgebessert. Allerdings überzeugt erzwungene Betroffenheit nicht.
Es scheint, dass die deutsche Gesellschaft die Tragweite des Dresdner Anschlags nicht erkannt hat. Es fehlt die Erkenntnis, dass der Mord an Marwa al-Sherbini ganz offensichtlich das Ergebnis der beinahe ungehinderten Hasspropaganda gegen Muslime von den extremistischen Rändern der Gesellschaft bis hin in deren Mitte ist.
Vor allem die rechtsextremistische Szene sorgt seit Jahren für ein Klima der Ausgrenzung, Dämonisierung und Angst gegenüber Andersgläubigen, Ausländern und Angehörigen von Minderheiten.
Es mangelt aber auch an der Einsicht, dass mangelnder gesellschaftlicher Widerstand gegen den Rassismus weitere Terrorakte – das Wort ist durchaus angebracht – wie diesen feigen Mord in Dresden zu ermutigen droht.
Daher muss Deutschland spätestens jetzt hart mit sich selbst ins Gericht gehen. Es gilt nicht nur, die Hetzer zu isolieren und zu bestrafen, sondern auch nachhaltige Aufklärungsarbeit zu leisten sowie das Wissen über die moslemische Bevölkerung, ihre Kultur, ihre Religion und ihre Bräuche zu verbreiten.
Nicht Toleranz, sondern Respekt im Umgang miteinander ist unser Ziel. Es gibt keinen Ersatz für einen breit angelegten Dialog, an dem nicht nur Theologen und Amtsträger, sondern möglichst viele Bürger teilnehmen müssen – Basisarbeit im besten Sinne des Wortes.
Ich weiß, dass die Empörung und die Verunsicherung unter Muslimen derzeit besonders groß sind. Das ist verständlich.
Dennoch dürfen sie in ihren Bemühungen, ihren rechtmäßigen Platz in der deutschen Gesellschaft einzunehmen, nicht nachlassen. Für manche - das lehrt auch die Erfahrung anderer Minderheiten, einschließlich der Juden – bedeutet dies einen Balanceakt zwischen der Wahrung der eigenen Identität und dem Aufgehen in der sozialen Umwelt. Auch bei der Lösung dieses Dilemmas ist ein offener Dialog zwischen der Minderheit und der Mehrheit unerlässlich.
Integration heißt nicht Assimilation. Bei gegenseitigem Respekt steht das Anderssein dem Miteinander nicht im Wege. (Quelle: qantara.de)
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