Newsnational Dienstag, 09.12.2008 |  Drucken

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"Legitimationsfalle" Menschenrechte – Bericht zum 60. Jahrestag der Deklaration

Kommen uns die Menschenrechte teuer zu stehen und ist Rassismus auch eine Menschenrechtsverletzung?

"Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren." So lautet Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Erstmals wurden am 10. Dezember 1948 für alle Menschen gültige Rechte festgeschrieben. Die 30 Artikel umfassten nicht nur Freiheitsrechte, sondern auch wirtschaftliche und soziale Rechte. Alle Mitgliedstaaten verpflichteten sich mit der Erklärung, Menschenrechte als Angelegenheit der Völkergemeinschaft wahrzunehmen. Was steht heute für die Menschenrechte, wer steht für sie ein? Ist die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte eigentlich in der realen Welt angekommen, oder gehört dieser Satz eher zum Sing-Sang einschlägig bekannter Sonntagsreden und prüft zum wiederholten Mal die bekannte Geduld beschriebenen Papiers?


Anti-Terror-Gesetze schränken Menschenrechte ein – Diskriminierung auch eine Menschenrechtsverletzung

Als Folge der Terror-Angriffe in den vergangenen Jahren haben Menschenrechtsverletzungen vielen Experten zufolge in vielen Ländern der Welt zugenommen. "Das absolute Folterverbot ist seit dem 11. September 2001 in einer ganzen Reihe von Staaten infrage gestellt worden", sagte der Leiter des Nürnberger Menschenrechtsbüros, Hans Hesselmann, der Deutschen Presse-Agentur vor einigen Tagen. "Auf der einen Seite wird in den letzten Jahren das Wort 'Menschenrechte' häufiger in den Mund genommen, auf der anderen Seite sind in vielen Staaten - auch der EU - Menschenrechte durch Anti- Terror-Gesetze eingeschränkt worden in dem Glauben, dadurch mehr Sicherheit schaffen zu können."

Als Beispiel nannte der Chef der bundesweit einzigen kommunalen Einrichtung für Menschenrechtsaktivitäten das geplante BKA-Gesetz, das Online-Durchsuchungen privater Computer vorsehe. Dies sei jedoch nicht die einzige Verletzung grundlegender Rechte in Deutschland: "Rassismus und Diskriminierung nehmen zu, etwa auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt." Hesselmann erläuterte: "Der wesentliche Kern der Menschenrechte ist das Prinzip der Nichtdiskriminierung."


Diktaturen treten die Menschenrechte mit Füßen – Mancher Rechtsstaat auch

60 Jahre nach der Verständigung auf diesen Katalog wird laut Hesselmann am häufigsten das Recht auf Meinungsfreiheit verletzt. "Gerade in Diktaturen und autoritären Staaten werden Gedanken-, Meinungs- und Gewissensfreiheit nicht gewährt".

Aber was ist wenn sich auch die demokratische Staaten selber nicht mehr an die Konventionen halten? Wo findet dann die Kontrolle statt, wo die Zäsur?

Nicht selten nimmt die westliche Welt mit ihren staatlichen Institutionen die Menschenrechte nicht immer sehr ernst. Z.B. griff die Nato ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates in Serbien und Montenegro 1999 militärisch ein, der Irak-Krieg fand und findet ohne UN-Mandat statt. 1991 und 1994 verweigerten die westlichen Staaten der Bevölkerung in Ruanda und in Bosnien ihre Hilfe, als dort grässlicher Völkermord verübt wurde. Dies sind nur einige Beispiele. Besetzungen wie etwa die von Israel in Gaza und Westbank seit über 40 Jahren trotz mehrfacher UN-Resolutionen seien hier nur exemplarisch genannt.

Was nützt also das Bekenntnis der Staatengemeinschaft zur Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte, wenn die Opfer des Völkermords in Ruanda sagen, die UN habe nicht geholfen, obwohl sie es hätten tun können. Seit 1948 gibt es die Genozid-Konvention. Immer noch erinnern jeden Tag die Zeitungen des Landes an den Völkermord, in dem 1994 in wenigen Monaten etwa 800 000 Menschen umgebracht wurden, über zehn Prozent der damaligen Bevölkerung Ruandas. Am 9. Dezember 1948 wurde die einstimmige Annahme der Genozidkonvention durch die Weltregierungen – welche insbesondere die bitteren Erfahrungen der Nazi-Vertreibungen noch vor Augen hatten - durch die UN-Generalversammlung begrüßt. Nun gab es eine rechtliche Handhabe, um diesem Verbrechen Einhalt zu gebieten. Dennoch passierte Jahrzehnte später der schreckliche Völkermord an den Bosniern durch die serbische Soldateska und dann jener in Ruanda.

Was nützt das Bekenntnis der Staatengemeinschaft zur Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte, wenn in Deutschland heute wieder bekannt wird, dass es seine Stellung als drittgrößter Rüstungsexporteur behauptet und sogar gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um eine Milliarde Euro oder 13 Prozent zu verzeichnen hat?
Der katholische Vorsitzende der GKKE, Prälat Karl Jüsten, nannte es besorgniserregend, dass Lieferungen in knapp 30 Länder genehmigt worden seien, die in schwere interne oder grenzüberschreitende Gewaltkonflikte verwickelt seien. Dazu zählten etwa Afghanistan, Indien, Israel, Nigeria, Pakistan und Thailand.

Für die beiden großen Kirchen in Deutschland, die diese erschreckenden Zahlen vorlegen und nicht die Bundesregierung (obgleich sie sich dazu selber verpflichtete) ist der erneute deutliche Anstieg des deutschen Rüstungsexportes nicht hinnehmbar. Dies widerspreche dem EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte und dem Ziel der Bundesregierung, die zivile Krisenprävention an erste Stelle zu setzen.

Streubomben zählen zu den gefährlichsten Waffenarten der Welt: Sie enthalten eine Vielzahl kleinerer Sprengsätze, die sich in der Luft über einer riesigen Fläche ausbreiten. Auf diese Art werden ganze Landstriche praktisch für Jahre vermint, besonders Kinder sind die großen Opfer dieser heimtückischen Bomben. Was nützt das Bekenntnis der Staatengemeinschaft zur Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte wenn Streubomben, die statistisch über 98 Prozent der Zivilbevölkerung trifft und von Menschenrechtler geächtet werden, immer noch nicht völkerrechtlich verboten worden sind? Gut, 100 Staaten – darunter auch Deutschland - haben nun das Abkommen zur Ächtung unterzeichnet. Die Militärriesen wie die USA, Russland, Indien, China und Israel sind weiterhin nicht dabei.

Fazit
Wenn Deutschland und Europa auch weiterhin bei der Verwirklichung der Menschenrechte eine führende Rolle spielen wollen, müssen diese o.g. Missstände behoben werden. Die Glaubwürdigkeit und die Achtung vor den Menschenrechten gebieten es, die eigenen Versäumnisse aufzuarbeiten und nicht zu vertuschen.

Niemand auf der Welt stellt ernsthaft die großartige Errungenschaft der Menschenrechtskonventionen in Frage, wohl aber die Glaubwürdigkeit des Westens für das aufrichtige Eintreten für diese Menschenrechte. Angesichts mannigfaltiger Kriege im Nahen Osten, im Irak und Afghanistan und angesichts Abu Ghraib und Guantanamo kommt dies wohl nicht überraschend. Deswegen sollte jede weitere Selbstgerechtigkeit beim Einklagen der Menschenrechte vermieden werden, um nicht noch tiefer in die Legitimationsfalle zu rutschen.

Stattdessen sollten endlich die Menschenrechte tatsächlich universal betrachtet werden. Indem man das Bekenntnis beispielsweise zum Folterverbot, sein Eintreten dafür gegenüber diktatorischen Drittstaaten nicht mit dem leisesten Verdacht verknüpft es im eigenen Land damit nicht so ernst zu meinen oder gar unter Umständen Folter zu dulden.

Man sollte auch das Anprangern von Menschenrechtsverletzungen nicht populistisch betreiben. Beispiel: Menschenrechtsverletzungen finden leider auch überproportional in den Ländern statt, wo mehrheitlich Muslime leben. Mit dem Islam als Religion hat dies nicht viel zu tun, wohl aber mit den in den Ländern gewachsenen Machtverhältnissen. Wer dies ideologisch übersehen will oder in der Religion krampfhaft den Sündenbock zu suchen trachtet, dem geht es im Kern eben nicht um Menschenrechte.

Und es hat auch keinen Sinn drumherum zu reden. Ein rechtsstaatlicher, demokratisch legitimierter Staat steht moralisch in einer wesentlich größeren Verantwortung gegenüber den Menschenrechten als ein Land mit korruptem, das eigene Volk unterdrückenden Diktator. Aus der Sicht des Diktators macht es sogar zynischerweise Sinn, die Menschenrechte permanent einzuschränken. Bedeutet doch das Zulassen der Menschenrechte automatisch die Einschränkung eigener unrechtmäßiger Machtstrukturen.

Nicht so bei einem demokratischen Staat. Dort ist es genau umgekehrt. Wenn er die Menschenrechte – beispielsweise die Religionsfreiheit - in Frage stellt oder gar nur geringfügig einschränken will, dann läuft er Gefahr, auf kurz oder lang sich seiner eigenen Legitimation zu entziehen. Stützt er hingegen die Menschenrechte, dann festigt er die bestehende Ordnung, die von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten entscheidend geprägt ist.(HANY JUNG)




Lesen Sie dazu auch:
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