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Dienstag, 08.07.2025

Islamischer Religionsunterricht in Deutschland – Ein verfassungsrechtlicher Bruch

Ein Vierteljahrhundert nach den ersten Modellversuchen zeigt sich: Es gibt nicht mal im Ansatz einen flächendeckenden islamischen Religionsunterricht, wie ihn das Grundgesetz vorsieht

Seit über 20 Jahren gibt es in Deutschland Bemühungen, islamischen Religionsunterricht als ordentliches Schulfach gemäß Artikel 7, Absatz 3 des Grundgesetzes zu etablieren. Dieser garantiert Religionsgemeinschaften das Recht, bekenntnisorientierten Religionsunterricht in staatlichen Schulen anzubieten, sofern sie als Religionsgemeinschaft anerkannt sind und die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Trotzdem erhalten im Jahr 2025 nur etwa 2 % der mehr als eine Million muslimischen Schülerinnen und Schüler in Deutschland tatsächlich islamischen Religionsunterricht im verfassungsrechtlichen Sinne. Das entspricht rund 81.000 Teilnehmerinnen – während laut der Deutschen Islam Konferenz mindestens 580.000 Kinder und Jugendliche bereit wären, an einem solchen Unterricht teilzunehmen.

Ein Vierteljahrhundert nach den ersten Modellversuchen zeigt sich: Es gibt nicht mal im Ansatz einen flächendeckenden islamischen Religionsunterricht, wie ihn das Grundgesetz vorsieht

Status quo: Flickenteppich statt flächendeckendes Angebot

Nach einer aktuellen Erhebung des Mediendienstes Integration gibt es islamischen Religionsunterricht oder vergleichbare Angebote lediglich in elf von sechzehn Bundesländern, und das oft nur als Modellprojekt, Islamkunde oder allgemein-religiöse Formate wie in Hamburg oder Bremen: In NRW, dem Bundesland mit den meisten muslimischen Schülerinnen, läuft der Unterricht seit über einem Jahrzehnt nur als Modellversuch – eine Übergangsregelung, die sich nun schon ein Vierteljahrhundert hinzieht. In Bayern, Schleswig-Holstein und Hessen wird lediglich Islamkunde als staatlich kontrolliertes Fach unterrichtet – ohne Mitwirkung islamischer Religionsgemeinschaften, was gegen den Geist von Artikel 7.3 verstößt. In fünf ostdeutschen Ländern gibt es gar kein Angebot – nicht einmal modellhafte Versuche.

Der zentrale Skandal ist zweifach: Verfassungsbruch durch Unterlassung: Artikel 7 Absatz 3 GG garantiert bekenntnisgebundenen Religionsunterricht – nicht nur für Christen oder Juden, sondern auch für Muslime. Dass trotz jahrelanger Debatten, Pilotprojekte und wachsender muslimischer Bevölkerungsanteile immer noch über 97 % der muslimischen Kinder in Deutschland keinen Zugang zu diesem Recht haben, ist ein strukturelles Versagen. Politischer Unwille und schwache muslimische Lobby.Es fehlt es in der Politik an konsequentem Willen, dieses strukturelle Defizit zu beheben – auch aus Angst vor integrationspolitischen Debatten und islamfeindlichem Populismus. Was bedeutet das gesellschaftlich? Ungleichbehandlung und Bildungsungerechtigkeit: Muslimische Schülerinnen werden vom verfassungsmäßigen Bildungsauftrag ausgeschlossen. Integrationshemmnis: Der Unterricht könnte Raum bieten für die Vermittlung pluralismusfähiger islamischer Identitäten – stattdessen überlässt man dieses Feld teils unkontrollierten außerschulischen Angeboten. Vertrauensverlust in Rechtsstaatlichkeit: Wenn muslimische Eltern über Jahrzehnte erleben, dass ihre Kinder nicht dieselben Rechte wie christliche Kinder erhalten, schwächt das das Vertrauen in staatliche Neutralität und Gerechtigkeit.

Fazit

Ein Vierteljahrhundert nach den ersten Modellversuchen zeigt sich: Es gibt nicht mal im Ansatz einen flächendeckenden islamischen Religionsunterricht, wie ihn das Grundgesetz vorsieht. Das ist nicht nur integrationspolitisch problematisch, sondern ein klarer Bruch des Verfassungsgebots. Es braucht jetzt eine echte politische Entscheidung – entweder durch konsequente Einführung bekenntnisorientierten Islamunterrichts in Zusammenarbeit mit muslimischen Religionsgemeinschaften oder durch die grundsätzliche Reform des Religionsunterrichts für alle.


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