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Donnerstag, 14.07.2011
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Dürfen Muslime der Politik und den Medien die Deutungshoheit über den Islam überlassen? Von Christian Abdul Hadi HoffmannWie und von wem heute entschieden wird, was „richtiger“ und was „missbrauchter“ Islam istSicherheit ist unteilbar. Terror ist blind. Bombensplitter treffen alle. Die Sicherheitskräfte in der Bundesrepublik Deutschland haben eine klare Aufgabe: Sie müssen alle Menschen in unserem Land - auch Musliminnen und Muslime - schützen. Und sie müssen alle Bürgerinnen und Bürger - auch Musliminnen und Muslime – ansprechen und dafür gewinnen, gemeinsam mit ihnen extremistische Gewalttäter – Linke, Rechte oder auch Muslime - zu bekämpfen und Gewalttaten zu verhindern.Staatstreue und Verfassungsfeindlichkeit: Worte und Taten Was heißt Staatstreue? Wo fängt Verfassungsfeindlichkeit an und was ist verfassungsfeindlich: eine bestimmte Äußerung oder eine bestimmte Handlung? Zum Verhältnis von Staatstreue, verfassungsfeindlichen Texten und verfassungsfeindlichen Handlungen hat das Bundesverfassungsgericht in einem Referenzfall zur Begutachtung der Zeugen Jehovas am 19. Dezember 2000 ein Richtung weisendes Urteil gefällt. Das Land Berlin hatte den Zeugen Jehovas die Anerkennung als Körperschaft des Öffentlichen Rechts verweigert, da sie ein negatives Grundverständnis gegenüber dem Staat hätten, Zweifel hinsichtlich des Toleranzgebotes bestünden und sie das aktive wie das passive Wahlrecht ablehnten. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, das die Zeugen Jehovas die Grenzen der Religionsfreiheit NICHT überschreiten, da es jedem Mitglied freistehe, sein Recht an der politischen Willensbildung dennoch wahrzunehmen. Mit anderen Worten, nicht der Text (die Programmatik) der Zeugen Jehovas ist eine relevante Grundlage für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit, sondern die tatsächlichen Aktivitäten, bzw. Handlungen ihrer Mitglieder. Der Berliner Innensenator, Dr. Ehrhart Körting, vertritt eine ähnliche Position: In einer Sitzung des Berliner IslamForums (20. 10. 2010) sagte er sinngemäß, dass ihn nicht bestimmte Äußerungen interessierten, sondern Menschen, die sich zusammenschließen, um Gewaltakte zu begehen. Diese Feststellung ist zu begrüßen, da sie die Meinungsfreiheit als hohes Gut unserer Demokratie schützt. Ungeachtet dieser Feststellung hat der Berliner Senat eine Broschüre herausgegeben mit dem Titel: „Zerrbilder von Islam und Demokratie – Argumente gegen extremistische Interpretationen von Islam und Demokratie“, Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Januar 2011. Die Broschüre enthält Äußerungen von Muslimen, die die Senatsverwaltung für extremistisch hält und stellt ihnen Zitate von anderen Muslimen entgegen, die sie widerlegen. Insgesamt ein interessanter Beitrag über unterschiedliche Haltungen von Muslimen gefiltert durch die Beurteilung des Berliner Senats. Soweit so gut. Leider belässt es die Senatsbroschüre nicht bei der Dokumentation und Widerlegung von Äußerungen, wie z. B. „Islam und Demokratie sind nicht vereinbar“. In einem Vorwort wird diese Argumentation eingebettet in eine Bewertung dessen, was missbrauchter Islam ist, und was für politische Zwecke umgedeuteter Islam ist. In Zentrum der Argumentation stehen: „...eine missbräuchliche Interpretation des Islam, die man mit dem Begriff Islamismus bezeichnet“ und „Thesen von Ideologen, die den Islam für politische Zwecke umdeuten. Wir nennen sie Islamisten.“ Zu diesem Vorgehen lassen sich mehrere grundsätzliche Fragen stellen: - Wer kann und sollte den Islam bewerten: Musliminnen und Muslime, Nicht-Muslime, Politiker, etc.? - Nach welchen Kriterien kann eine solche Bewertung durchgeführt werden: nach religiösen Kriterien und/oder nach verfassungspolitischen Grundsätzen? Islam bewerten von Muslimen und Nichtmuslimen Musliminnen und Muslime haben unterschiedliche Einstellungen, wenn es darum geht, das Adjektiv „islamisch“ zu verwenden, d. h. Äußerungen und Handlungen als islamisch zu bewerten. Die einen sind davon überzeugt, dass nur Allah dieses Adjektiv anwenden darf, da nur er – am Tag des Jüngsten Gerichts - entscheidet, ob ein Mensch islamisch, d. h. entsprechend Seiner Vorschriften, gehandelt hat. Aus diesem Grunde verwenden sie dieses Adjektiv nur zögerlich, selten oder gar nicht. Andere verwenden es ohne jegliche Bedenken und machen sich zum Richter darüber ob Menschen islamisch handeln oder nicht. Und sie gehen noch einen Schritt weiter: Sie nehmen sich die Freiheit anderen Menschen abzusprechen, dass sie Muslime sind und im schlimmsten Fall schließen sie diese aus der Gemeinschaft der Muslime (takfir) aus und töten sie. Musliminnen und Muslime gemeinsam haben jedoch mehrheitlich ein ungutes Gefühl, wenn Nicht-Muslime entscheiden, was islamisch ist oder nicht, bzw. wenn Nicht-Muslime feststellen, was eine missbräuchliche Interpretation des Islam ist, oder wann Islam als Ideologie missbraucht wird, wie z. B. in der besagten Senatsbroschüre. Islam – bewertet von Nicht-Muslimen Unbehagen oder nicht: Musliminnen und Muslime müssen akzeptieren, dass in Deutschland die Kritik an Religionen erlaubt ist. In unserem Land können alle Menschen ihre Meinung frei äußern, bei uns herrscht Meinungsfreiheit. (Natürlich gibt es auch hier Grenzen, z. B. den Tatbestand der Beleidigung oder der Gotteslästerung.) Auch wenn man davon überzeugt ist, dass muslimische Gelehrte wohl eher geeignet sind, den Islam zu definieren bzw. zu beurteilen, was islamisch ist, kann man in einer Demokratie anderen nicht das Recht absprechen, sich über den Islam zu äußern. Eine Gruppe, nämlich Politikerinnen und Politiker muss jedoch gesondert betrachtet werden. Islam – religiös bewertet von Politikerinnen und Politikern? Die Bundesrepublik Deutschland ist ein säkularer Staat, in dem Kirche und Staat, Religion und Politik getrennt sind. Der Staat hat sich religiöser Bewertungen zu enthalten. Daraus folgend stellt sich die Frage, ob Politikerinnen und Politiker, die Repräsentanten des säkularen, neutralen Staates überhaupt das Recht haben, eine Religion nach Glaubenskriterien zu beurteilen, zu verurteilen und darüber zu entscheiden, was z. B. richtiger oder missbrauchter Islam ist. Mit anderen Worten: 1) können und sollten Politikerinnen und Politiker ein religiöses Urteil über den Islam abgeben? 2) Oder sollten und müssen sie sich darauf beschränken, Äußerungen von Muslimen politisch zu bewerten und auf ihre Übereinstimmung mit der Verfassung zu prüfen. (Ein Beispiel aus dem christlichen Bereich mag helfen: Kein Beamter und kein Politiker würde sich in der heutigen Zeit ein Urteil anmaßen, ob eine bestimmte christliche Interpretation „ketzerisch“ und unchristlich ist oder nicht. Eine Kritik an politischen Positionen der Kirche findet allerdings durchaus statt.) Das Ziel wird nicht erreicht Selbst wenn man die Frage, ob Politikerinnen und Politiker eine religiöse Kompetenz haben, bejaht, muss man fragen, ob das sinnvoll ist und ob dadurch die Musliminnen und Muslime für eine Sicherheitspartnerschaft gewonnen werden können. So könnte man z. B. argumentieren, dass die von Politikerinnen und Politikern vollzogene Unterscheidung von Islam als Religion einerseits und Islamismus als missbräuchliche Interpretation und Ideologisierung andererseits eine staatliche in Schutznahme des Islam ist, sagt sie doch im Umkehrschluss, dass der „richtige Islam“ nicht gefährlich ist. Außerdem gibt diese Unterscheidung den Musliminnen und Muslimen die Chance, sich zu distanzieren und sich auf die Seite der „Guten“ zu stellen. Doch leider ist die tatsächliche Wirkung eine andere: Die breite Bevölkerung unterscheidet nicht zwischen Islam und Islamismus. Weil der „Islamismus“ argwöhnisch vom Verfassungsschutz beobachtet wird, ist es für sie offensichtlich, dass auch der Islam gefährlich ist. Umfrageergebnisse sprechen hier eine klare Sprache, so z. B. in einem Artikel von FAZ.NET am 3. Dezember 2010: „…die Deutschen zeigten bei allen Fragen nach ihrer persönlichen Haltung gegenüber Muslimen und deren Glaubensausübung wesentlich stärkere Vorbehalte als die Dänen, Holländer, Franzosen und Portugiesen. Niederländer denken zu 62 positiv über Muslime, Franzosen zu 56 Prozent, Dänen zu 55 Prozent. Doch in Westdeutschland haben nur 34 Prozent und in Ostdeutschland 26 Prozent eine positive Einstellung zu Muslimen… 42 Prozent der Deutschen möchten die Religionsausübung der Muslime stark einschränken, nur etwa die Hälfte will, dass alle Religionen die gleichen Rechte genießen.“ Musliminnen und Muslime ihrerseits sind emotional unangenehm berührt durch die Tatsache, dass die Politik entscheidet, was richtiger und was falscher Islam ist und es fällt ihnen schwer zu verstehen, warum eine missbräuchliche Interpretation überhaupt noch mit dem Adjektiv islamisch in Verbindung gebracht wird. Durch diese Praxis werden sie nicht zu Verbündeten, weil sie empfinden, dass ihrer Religion etwas Schlechtes und Negatives angehängt wird. Neben dieser emotionalen Hürde gibt es noch weitere Gründe, warum eine Broschüre wie die des Berliner Senats, die Aufklärung und Abkehr von radikalen Positionen schaffen will, ihren Zweck kaum erreichen wird: Es ist nicht davon auszugehen, dass eine solche Broschüre junge Muslime, die sich „auf dem Absprung“ befinden, überhaupt erreicht. Selbst wenn sie zufällig eine derartige Broschüre in die Hände bekommen sollten u n d sie lesen sollten, der Zweck wird höchstwahrscheinlich nicht erreicht, denn sie werden sich nicht von „Ungläubigen“ sagen lassen, was islamisch ist und was nicht. (Eine Veröffentlichung von einem muslimischen Träger würde zumindest eine Hürde weniger bedeuten.) Über die gefühlsmäßige Ablehnung einer staatlichen Religionsbewertung hinaus gibt es jedoch noch eine zweite Frage: Wer definiert Islamismus und wo ist die Grenze zwischen Islam als Religion und Islamismus als Ideologie? Islamismus: Islam als Ideologie? Die deutsche Sprache kennt die Endung …ismus. Im Allgemeinen wird damit die negative Übersteigerung eines positiven Adjektivs bezeichnet: national ist gut, Nationalismus schlecht, sozial ist gut, Sozialismus schlecht. So scheint es logisch auch dem Islam die Silbe …ismus anzuhängen, um eine „Ideologie“ zu kennzeichnen. Doch hier stellt sich die Frage, was ist hier die Ideologie? Die Glaubensgrundlagen des Islam sind der Qur’an, Gottes Offenbarung, und die Sunna, die gesammelten Aussagen des Propheten Muhammad. Für Musliminnen und Muslime gilt darüber hinaus das Leben des Propheten als Vorbild in allen Lebenslagen. Der Qur’an selber gibt keine Auskunft über eine mögliche Staatsform und Regierungsbildung im Islam. Das Wort vom Zusammenhang von Religion und Staat (din wa daula) ist keine qur’anische Prägung sondern wurde zu einem späteren Zeitpunkt geprägt. Allerdings: der Prophet Muhammad war nicht nur religiöser Prophet, er war auch weltlicher Herrscher über Medina und das sich ausdehnende Reich der Muslime. Insofern gilt er auch als politisches Vorbild. Wenn nun Kritiker derjenigen Musliminnen und Muslime, die den Qur’an als Grundlage für staatliches Handeln sehen, dieses Vorgehen als politischen Missbrauch, Ideologisierung des Islam bezeichnen, ergibt sich die Frage, hat der Prophet Muhammad seinerseits den Islam politisch missbraucht? War der Prophet Muhammad ein Islamist? Zweitens: Die Taliban waren / sind ohne Zweifel salatifitisch (vom Beispiel der Urgemeinde geprägt) und wurden von einer breiten Koalition bekämpft. Was ist aber mit dem Königreich Saudi Arabien? Ist das Königreich Saudi Arabien nicht auch salafitisch geprägt und zugleich der beste Verbündete des Westens? Schlussbemerkung Man kann davon ausgehen, dass ein Grund, warum junge Menschen sich von der freiheitlich demokratischen Grundordnung abkehren die Tatsache ist, dass sie enttäuscht sind vom Auseinanderfall von proklamierten Grundwerten einerseits und pragmatischem Handeln, dass sie für opportunistisch und unaufrichtig halten, andererseits. Der Tatbestand der „kognitiven Dissonanz“ bezeichnet dieses Auseinanderklaffen von „soll“ und „ist“. Wer (jung ist und) Sicherheit im Absoluten sucht, hat zwei Möglichkeiten bei einer Enttäuschung durch die relative Realität: Er kann „Realist“ werden und die eingeschränkte Absolutheit akzeptieren. Er kann sich aber auch eine neue absolute Sicherheit verschaffen, wie er sie z. B. in einer radikalen Interpretation seiner Religion findet. Das Vertrauen junger und enttäuschter Menschen können wir nur erwerben, wenn wir uns selbst an unsere eigenen Prinzipien halten, oder im Zweifelsfall Abweichungen überzeugend begründen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Nur Vertrauen schafft Sicherheit. Der Autor Christian Abdul Hadi Hoffmann ist Vorsitzender der Muslimischen Akademie in Deutschland |