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Mittwoch, 17.12.2003
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„Der Politik fehlt es an einer Islampolitik“ - Es geht gar nicht um das Kopftuch – ein kritischer Ansatz von Klaus LefringhausenFür eine „patriotischere Politik“, die gegen die kulturelle Ausgrenzung oder gar Polarisierung istDas Kopftuch ist nur ein Symptom. Eine Debatte, die sich darauf konzentriert, verharmlost die tiefer liegenden Probleme, die mit einem Kopftuchverbot nicht vom Tisch sind.Zu den Problemen gehört, dass die Politik noch keine ganzheitliche Islampolitik entwickelt hat, sondern selektiv vorgeht: Der eine macht Islampolitik über den schmalen Ansatz des Religionsunterrichtes, der andere macht Islampolitik auf dem Umweg über Schächterlasse, wiederum andere entwickeln eine Islampolitik aus einem feministischen Ansatz und oft wird die Islampolitik zum Unterthema der Rechtspolitik, der Sicherheitspolitik oder anderer Politikbereiche. Das Fehlen einer Gesamtpolitik führt nicht nur zu inkompatiblen Intentionen, sondern auch zu einer überwiegend reaktiven Islampolitik, bei der der Durchsetzungsglaube, den vor allem islamische Verbände vertreten, Themenniveau und -anlässe vorgibt und in die Defensive treibt. Dieses Gefühl des Getriebenwerdens ist, so die Erfahrung in unserem Dialogprogramm, die eigentliche Quelle für vagabundierende kulturelle Überfremdungsängste, die sich am sichtbaren Symbol des Kopftuchs festmachen. Diese Überfremdungsängste lassen sich nicht mit dieser und jener Sofortmaßnahme beruhigen, wohl aber mit der Gewissheit, dass es eine landespolitische Islampolitik mit dem Anspruch eigener Themensetzungskompetenz gibt. Eine Islampolitik wird davon ausgehen, dass alle Religionen im Exil auch der kulturellen Selbstbehauptung dienen, denn die enge Verknüpfung von Religion und Kultur wird zur mitwandernden Ersatzheimat. Sie stabilisiert die von Orientierungskrisen Verunsicherten, bietet den sozial Isolierten Räume der Geborgenheit, hilft, soziale und ökonomische Unterlegenheit durch den Anspruch moralischer Überlegenheit zu kompensieren und der Glaubensdruck mindert die Angst der Eltern vor einem Traditionsabbruch. Die Gleichsetzung von Glauben und Mittelmeer-Kultur schafft einen Sprach- und Denkraum für eine Gegenkultur, die umso deutlicher ausfällt, je mehr die gesellschaftlich Akzeptanz durch die dominierende Mehrheit fehlt. Zudem relativiert Arbeitslosigkeit die traditionelle Männerrolle, die umso mehr auf die Tradition besinnen, die Sexualität der Frau als ihren Besitz zu verstehen. Religiöser Fundamentalismus ist überwiegend Aufstand aus verletztem Stolz. Dieser wird zusätzlich verwundet, wenn das Kopftuch mit Pauschalverdacht belegt wird, so dass Mechanismen entstehen, bei denen harte Reaktionen das verursachen, was sie befürchten, nämlich eine zum Fundamentalismus neigende Grundstimmung. Hingegen erlebt die Mehrheitsgesellschaft den fremden Glauben weitgehend als Durchsetzungsglauben, dem spirituelle Weite und Tiefe fehlt, solange er in kämpferischer Absicht Nebenthemen des Glaubens mit Unbedingtheitsansprüchen versieht, sie in das Zentrum des Glaubens rückt und der Gesellschaft ein Themenniveau zumutet, dass mit ihren großen Zukunftsaufgaben wenig zu tun hat. Fremde Religion wird also weniger als Integrationsbrücke wahrgenommen, sondern als ein Versuch, Integrationsverweigerungen religiös zu legitimieren. Diese Ängste wollen bedient sein, bauen aber an den Mauern, die sie befürchten. Das Kopftuch ist ein besonders wahrnehmbarer Teil eines allgemeinen Unbehagens, zu dem auch Themen gehören wie die König Fahd Akademie, die VIKZ-Internate, das betäubungslose Schächten, Moscheebauten, der Lautsprecher-verstärkte Gebetsruf und andere, mit denen islamische Verbände das Integrationsklima zunächst gefährden, um dann mit dem gefährdeten Klima ihr Mandat als Anwälte des Islam zu legitimieren. Für eine Islampolitik gibt es nur den engen Korridor zwischen einer Sozialpädagogisierung, die als Schwäche gedeutet wird, und einer demonstrativen Härte, die zu falschen Solidarisierungen bis hin zu gegenseitig sich aufschaukelnden Polarisierungen führt. Vor allem reagieren Gesinnungstäter auf Härte, wie die Weltpolitik zeigt, mit weiteren Verhärtungen und mit der Trotzidentität einer Gegenkultur. Solche Mechanismen wurden beim Prozess um den Religionsunterricht sichtbar: Für die klagende Verbände galt eine Niederlage vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster als Sieg, denn die Nicht-Anerkennung der Verbände als Religionsgemeinschaften zeigt, wie antiislamisch die Gesellschaft und wie wichtig ein starker Verbände-Islam ist. Die Niederlage vor Gericht eröffnet nun die Chance, auf dem Instanzenweg weiter zu klagen und dabei auch religiöse Symbole wie schulische Adventsfeiern zu thematisieren. Wenn sich die Debatte polarisiert, dann provoziert sie auch Klagen gegen schulische Adventsfeiern und dann könnte eine verheerende Kulturkampfatmosphäre entstehen. Es ist nicht auszuschließen, dass solche Polarisierungsschübe von denen in Kauf genommen werden, denen es vor allem um kleinere Vorteile im Wettbewerb islamischer Verbände um die Sprecherrolle geht, auch wenn es dem Gesamtislam schadet. Je uferloser die Abgrenzungsprobleme zu Symbolen religiöser oder anderer Gesinnung sind, desto günstiger wird das für die geschilderte Interessenlage. Ähnlich würde nicht nur das Kopftuch, sondern auch ein Kopftuchverbot instrumentalisiert. Verbote geben Chancen für besondere Glaubenstreue, führen zu unerwünschten Solidarisierungen, schaffen uferlose Abgrenzungsprobleme, stärken den fundamentalistischen Trend, geben der Trotzidentität ein Thema, schaffen das, was sie vermeiden wollen, nämlich die Politisierung des Kopftuches und treffen in ihrer pauschalen Wirkung auch feministische Motive für das Kopftuch. Zu einer konzeptionellen Islampolitik gehört die Einladung, ein eigenes Profil in die Lösung zentraler Zukunftsaufgaben einzubringen. Dazu gehören die mentale Stadtsanierung, die Sicherung der Standortqualität, der Versuch, den Konflikt der Erziehungsstile von Elternhäusern, Moscheegemeinden und öffentlichen Schulen zu mindern, zumal er auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird, der Versuch, den Wertebezug säkularisierter Gesellschaften neu zu formulieren, der Übergang von einer Politik für die Bürger zu einer Politik mit ihnen und eine glaubhafte, europäische Alternative zum Kampf der Kulturen. der Versuch, mit Muslimen gemeinsam einen Integrationsbegriff zu entwickeln, der nicht zu verordnen ist und der die Integration nicht herbeiverwaltet, sondern mit dem sich Muslime identifizieren können, weil sie an seinem Zustandekommen beteiligt waren. Auch diese Aufgabe gehört zu den weißen Flecken auf unserer religionspolitischen Landkarte. Bei diesen Aufgaben wird der Islam mit seiner eigenen Situation konfrontiert, nämlich mit der Tatsache, dass er eine Theologie der Integration zu entwickeln hat. Seit Medina nämlich diskutiert der Islam die Frage, wie islamische Mehrheiten mit ‚anders-gläubigen’ Minderheiten umzugehen haben. Heute aber ist anders zu fragen, nämlich, wie sich Muslime in eine säkularisierte Gesellschaft integrieren können. Doch diese Fragen müssen von innen aufbrechen, werden sie von außen aufgedrängt, dann lösen sie nur defensive Reaktionen aus. Eine solche Islampolitik wäre eine wirkungsvollere und nachhaltigere Antwort auf die Kopftuchfrage, die die Türe zu einer gemeinsamen Zukunft öffnet und deshalb den Interessen der islamischen Mitbürger entspricht. Das wäre zugleich eine patriotischere Politik als die der kulturellen Ausgrenzung oder gar der Polarisierungen. (Dr. Klaus Lefringhausen ist Integrationsbeauftragter der Landesregierung in NRW; die Meinung gibt nicht unbedingt die Haltung der Redaktion wieder) |