EU-Recht: Erneute Einschränkung für die Relgionsfreiheit
Das betäubungslose Töten von Schlachttieren für religiöse Zwecke ist immer wieder ein Streitpunkt. Jetzt hat ein Gericht ein Grundsatzurteil gesprochen. Orthodoxe europäische Rabbiner sprechen von einem "schwarzen Tag"
Straßburg (KNA) Staaten dürfen laut einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) jüdischen und islamischen Religionsgemeinschaften das Schächten, also das betäubungslose Töten von Schlachttieren durch Ausbluten, verbieten. Die Straßburger Richter wiesen in ihrer am Dienstag veröffentlichten Entscheidung die Sammelklagen von Juden und Muslimen aus Belgien zurück. Diese hatten sich gegen das Verbot gewandt, weil es gegen die Religionsfreiheit verstoße.
Der Präsident der orthodoxen Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER), Pinchas Goldschmidt, sprach von einem "schwarzen Tag für Europa". Der EGMR habe entschieden, dass die Rechte von Tieren wichtiger seien als die Menschenrechte.
Die rituelle Schlachtung ohne Betäubung hat in Islam und Judentum einen hohen Stellenwert. Gläubige dürfen Fleisch nur verzehren, wenn das Tier ausgeblutet ist. In Deutschland ist das Schächten für Muslime und Juden in strengen Ausnahmefällen und nach behördlicher Genehmigung erlaubt.
Der EGMR wies die Klagen aus Belgien ab. Mit Blick auf das Leid der Tiere beim betäubungslosen Schlachten sei die mit dem Verbot des Schächtens verbundene Einschränkung der Religionsfreiheit rechtens. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ein Einspruch ist innerhalb von drei Monaten möglich. Bei Annahme des Einspruchs würde die große Kammer des Menschenrechtsgerichtshofs die Beschwerden noch einmal behandeln.
Konkret ging es im Straßburger Urteil um Gesetze in der Flämischen und Wallonischen Region in Belgien. Dort traten nach langer parlamentarischer Diskussion 2017 beziehungsweise 2018 Verbote des Schächtens in Kraft. Dagegen klagten islamische Verbände sowie jüdische und muslimische Einzelpersonen.Das belgische Verfassungsgericht wies die Klagen ab. Es stützte sich dabei auch auf die Argumentation des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dem die Verfassungsrichter den Fall vorlegten.
Der Menschenrechtsgerichtshof schloss sich nun dem Urteil an. Zwar sei das Schächtverbot ein klarer Eingriff in die Religionsfreiheit. Die in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Religionsfreiheit dürfe aber nicht absolut angeführt werden, ohne das Tierwohl zu betrachten. Entscheidend sei auch, dass die Gesellschaften in Europa dem Tierwohl und Tierschutz eine wachsende Bedeutung zumessen.
Laut Menschenrechtskonvention darf die Religionsfreiheit eingeschränkt werden, wenn dies notwendig ist für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Der EGMR legte den Schutz der öffentlichen Moral nun erstmals auch im Blick auf den Tierschutz aus.Zugleich betonten die Richter, dass das Schächtverbot in den beiden belgischen Regionen keineswegs bedeute, dass religiöse Muslime und Juden keinen Zugang zu nach ihren religiösen Vorschriften geschlachtetem Fleisch hätten. So könne entsprechendes Fleisch aus Ländern importiert werden, wo das Schächten erlaubt ist. Zudem ist das religiöse Schächten auch in der dritten belgischen Hauptstadtregion Brüssel erlaubt. Eine dortige Gesetzesinitiative zum Verbot fand zuletzt keine Mehrheit.Oberrabbiner Goldschmidt nannte die Gerichtsentscheidung enttäuschend, aber nicht unerwartet. "Die CER hat sich stets gegen eine Beteiligung an einer Klage vor dem EGMR ausgesprochen. Was als selbst zugefügte Wunde der belgischen Gemeinschaft hätte belassen werden sollen, hätte niemals nach Straßburg gebracht werden dürfen." Die jüdischen und muslimischen Gemeinschaften in Europa wollten weiterhin für Religionsfreiheit und Gleichheit in Europa kämpfen. "Diese Aufgabe wird nun umso schwieriger."