Experte kritisiert deutsche Berichterstattung zur WM in Katar
"Wir stehen jetzt als quasi neokoloniale Lehrmeister da, die bei aller berechtigten Kritik eine Chance zur Völkerverständigung verpasst haben."
München (KNA) Der Politologe und Medienwissenschaftler Kai Hafez kritisiert die deutsche Fernsehberichterstattung von der Fußball-WM in Katar als einseitig und selektiv. Man habe sich von Anfang an nicht wirklich auf Land und Leute eingelassen, sondern mit einer neokolonialen Attitüde die negativen Aspekte, die es natürlich gebe, bestätigen wollen, sagte Hafez der "Süddeutschen Zeitung“.
"Es gibt in Katar wirklich viel zu kritisieren, die schlechten Arbeitsbedingungen, das Vormundschaftssystem, aber diese Kritik muss auch eingebettet und kontextualisiert werden", betonte der Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt, der seit 25 Jahren die Berichterstattung über den Nahen Osten beobachtet und bekennender Fußballfan ist.
Unter anderem, so Hafez weiter, habe er einen angemessenen historischen Überblick vermisst: "Katar war vor 50 Jahren ein Dorf. Die grandiose Modernisierungsleistung dort ist in keiner Weise gewürdigt worden. Dabei sind die Golfstaaten heute ein internationaler Motor für Handel, gleichzeitig investieren sie Milliarden in Medien, Kultur und Bildung."
Beim Thema Homosexualität kritisiert der Experte einen eurozentrischen Blick, da dies von der religiösen Grundlage und Anschauung des Islams her verboten ist und daher mit der dortigen Rechtsnorm nicht konform ist. Man hatte aber vor allem den Eindruck vermittelt, so Hafez: "Grundlegende journalistische Tugenden wie vorurteilsfreies Hinschauen und kultureller Brückenbau, immerhin der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten, haben mir weitestgehend gefehlt."
Hafez weist auch auf etliche reißerische Titel hin wie etwa "WM der Lügen", "Geheimsache Katar" oder "Die Skandal-WM ". Mit so einer "geballten Vehemenz" habe man über die WM in Russland nicht gesprochen: "Dabei war Russland schon damals der größere Schurkenstaat."
Aus der Sicht von Hafez wäre es sehr leicht, auch über Deutschland "eine tendenziöse Berichterstattung zu betreiben, die Deutschland als Land von Rassisten und Europa als Heimat einer illegalen Schattenwirtschaft mit schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen für Migranten erscheinen ließe". Insgesamt hätten die Öffentlich-Rechtlichen aus seiner Sicht eine ausgewogenere Berichterstattung über die erste WM in der arabischen Welt gestalten müssen. International habe man sich damit jedenfalls ein Eigentor geschossen. "Wir stehen jetzt als quasi neokoloniale Lehrmeister da, die bei aller berechtigten Kritik eine Chance zur Völkerverständigung verpasst haben."
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