Artikel Mittwoch, 23.11.2022 |  Drucken


Daniel Höltgen, Leiter der Kommunikationsabteilung des Europarates und Sonderbeauftragter zur Bekämpfung von Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus
Daniel Höltgen, Leiter der Kommunikationsabteilung des Europarates und Sonderbeauftragter zur Bekämpfung von Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus

Rede von Daniel Höltgen anlässlich der Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung zwischen dem ZMD und der Internationalen Islamischen Fiqh-Akademie (IIFA) der Organisation Islamischer Länder (OIC)

Daniel Höltgen ist Leiter der Kommunikationsabteilung des Europarates und Sonderbeauftragter zur Bekämpfung von Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus.

Im Folgenden veröffentlicht islam.de die Rede von Herrn Daniel Höltgen anlässlich des Festakts zur Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung zwischen dem ZMD und der Internationalen Islamischen Fiqh-Akademie (IIFA) der Organisation Islamischer Länder (OIC) vom 14. November 2022

„Sehr geehrte Damen und Herren,

Zunächst möchte ich dem Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. für die Einladung danken bei dieser wichtigen Unterzeichnung heute zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Als erste europäische Nachkriegsorganisation wurde der Europarat nach dem Holocaust gegründet, um gemeinsame Werte wie Frieden, Gerechtigkeit, internationale Zusammenarbeit und Menschenrechte zu fördern.

Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit ist durch Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt. Niemand darf wegen seines Glaubens oder Nichtglaubens diskriminiert werden. Der Schutz vor Diskriminierung, der in Artikel 14 der Konvention verankert ist, einschließlich der Diskriminierung aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung, war von Anfang an ein zentrales Anliegen des Europarates. Diese beiden Grundrechte bilden die Grundlage für meine Arbeit als Sonderbeauftragter für Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus.

Das Mandat ist insbesondere vor dem Hintergrund der Zunahme antimuslimischer, als auch antisemitischer Angriffe, in mehreren unserer Mitgliedsstaaten außerordentlich wichtig.

Antimuslimscher Rassismus

Bereits zu Beginn meines Mandates habe ich mich gegen antimuslimischen Rassismus eingesetzt. Dabei hat sich besonders die Wichtigkeit der Bekämpfung illegaler Hassreden im Internet und die Prävention von antimuslimischen Ressentiments durch Aufklärung herauskristallisiert.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist eines der wichtigsten Grundrechte und wird durch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt. Dieses Recht ist jedoch nicht unbegrenzt, insbesondere was Holocaust-Leugnung, Rassismus und Aufstachelung zur Gewalt betrifft. Todesdrohungen sind besonders gefährlich, da sie sich exponentiell verbreiten und schließlich zu Gewalt und Mord führen können.

Um das Ausmaß, die Art und die Bedrohung durch antimuslimische Hassreden im Internet einzuschätzen, hat mein Büro eine Befragung von muslimischen Organisationen in acht Mitgliedstaaten durchgeführt. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass Angriffe im Internet für muslimische Gemeinschaften genauso bedrohlich - oder sogar noch bedrohlicher - geworden sind wie Angriffe offline. Dieser Umstand verdient eine weitere Analyse und politische Aufmerksamkeit.

Im Bereich der Aufklärung ist mir besonders der interreligiöse Dialog wichtig, durch welchen zum einen Stereotype ausgeräumt und zum anderen vor allem Gemeinsamkeiten gefunden werden können, welche einen stärken Zusammenhalt der religiösen Gemeinschaften ermöglichen. Beispielsweise haben wir letztes Jahr zu einem interreligiösen Dialog verschiedene Jugendvertreter*innen mit unterschiedlichem kulturellem und religiösem Hintergrund eingeladen, wobei die Wichtigkeit von frühkindlicher Erziehung und Bildung betont wurde.

ECRI Empfehlung

Darüber hinaus gibt es die neue Empfehlung Nr. 5 zur Prävention und Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus und Diskriminierung von der Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, ECRI, welche ein unabhängiges Gremium des Europarates ist. Die ECRI Empfehlung weist auf darauf hin, dass antimuslimischer Hass und der Vorurteile vielschichtig sind und sich in gesellschaftlichen Bereichen weit erstrecken. Dementsprechend empfiehlt ECRI Regierungen eine umfassende Anleitung für den Umgang mit antimuslimischem Rassismus und Diskriminierung in vier spezifischen Bereichen: Politik und institutionelle Koordination, Prävention, Schutz, Strafverfolgung und Strafvollzug.

In diesem Zusammenhang haben wir vergangenen Juni ein Expertenseminar zu dem Thema „Rassismus und Diskriminierung gegen Muslime“ im Europarat organisiert. Dabei wurde vor allem das Erfordernis der besseren statistischen Erfassung von antimuslimischen Vorfällen, als auch die Wichtigkeit öffentlich antimuslimische Vorfälle konkret zu benennen, ausgedrückt.

Bedrohung religiöser Freiheiten

Gleichwohl denke ich, dass wir uns mit den Bedrohungen für das religiöse Leben und die religiösen Praktiken im Allgemeinen befassen müssen.

Es gibt einen Trend in mehreren europäischen Ländern das religiöse Schlachten nach muslimischen und jüdischen religiösen Vorgaben zu vermeintlichen Gunsten des Tierwohls zu verbieten. Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit es noch um eine abstrakte juristische Einschätzung bzw. Abwägung von der Religionsfreiheit gegenüber dem Tierschutz geht. Vielmehr ist es ein Zeichen dafür, dass der Raum für religiöse Äußerungen und für Minderheiten im Allgemeinen immer mehr eingeschränkt wird.

Es drängt sich die Vermutung auf, dass die Bewertung religiöser Praktiken lediglich in einem rechtlichen Kontext erfolgt, aber ein viel weitergehendes Ziel beinhaltet. Die Debatten um ein Verbot des religiösen Schlachtens führen häufig zu einer Stigmatisierung von Moslems und Juden nach, welcher es sich um ein barbarisches Abschlachten im Namen der Religion geht. Der eigentliche Hintergrund von religiösem Schlachten im Islam, als auch im Judentum, wonach es gerade um die Vermeidung von Qualen für die Tiere geht, wird so gut wie nie benannt. 

In diesem Sinne ist die Zukunft der muslimischen und jüdischen Religionsausübung in erster Linie ein politisches - gesellschaftliches - Thema. Dabei ist es an der Politik, sich für die Minderheiten in der Gesellschaft auszusprechen und diese und deren Räume aktiv zu schützen.

Letztendlich geht es bei der Zunahme von antimuslimischem Rassismus nicht nur um Moslems, sondern es ist Ausdruck eines größeren Problems in unserer Gesellschaft, in der Diskriminierung und Hass gegen Minderheiten die Demokratie bedrohen. Wir sind entschlossen dem entgegenzuwirken und alles dafür zu tun, um gegenseitigen Respekt und Toleranz in Europa zu fördern.

Der Zentralrat und die Organisation für islamische Zusammenarbeit unterstützen unsere Arbeit und dafür möchte ich beiden Organisationen von ganzem Herzen danken.

Ich wünsche Ihnen für die künftige Zusammenarbeit zwischen dem Zentralrat der Muslime in Deutschland und der Internationalen Islamischen Fiqh-Akademie alles Gute und viel Erfolg.“


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