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Montag, 02.02.2004 | Drucken |
Folgen-fuer-muslime
FR 28.01.04 Bald amerikanische Verhältnisse in Deutschland in Sachen Islam? schrieb:
Metropole Chicago (rtr)
"Dieses Land ist voller Hass", sagt Ray Hanania, beide Hände um den Pappbecher mit heißem Kaffee geklammert. "Und ich hasse es auch. Ich werde nirgends respektiert, jeder kann mich angreifen, ich habe keinerlei Schutz. Dabei hat mein Vater im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis gekämpft." Ray Hanania ist eigentlich ein sanfter Mann. Schwarze, lockige Haare mit grauen Sprengseln, große, dunkle Augen, melancholischer Blick. Wir treffen uns bei Starbucks Downtown Chicago, gegenüber dem Redaktionsgebäude der Chicago Tribune. Hanania ist Journalist - der einzige arabischstämmige Kolumnist in USA - und nebenbei Stand-up Comedian, Witzeerzähler.
Es ist allerdings nicht ganz einfach, sich Hanania komisch vorzustellen. Er strahlt eine nachgerade beängstigende Bitterkeit aus. "Chicago ist die rassistischste Stadt von Amerika", sagt Hanania, der immer noch dasitzt, als ob es ihn friert, eingepackt in seinen Parka. "Die Leute hier hassen dich, wenn du eine dunkle Hautfarbe hast, sie hassen dich, wenn du einen Akzent hast. Alles dreht sich um Rasse, um Herkunft. Das ist die Trumpfkarte. Und der Hass ist so schwer zu greifen. In den Südstaaten weiß man wenigstens, wer die Rassisten sind. Aber hier verstecken sie sich."
Chicago ist wie New York, bloß halb so groß und doppelt so brutal, und ohne den falschen Zuckerguss, den tausend romantische Hollywood-Komödien über New York gegossen haben. Die Musicals in Chicago sind die, die im Vorjahr in New York gespielt wurden: Disneys "König der Löwen", Mel Brooks "The Producers". Ein Vortrag von Daniel Libeskind ist angekündigt, dem Architekten des neuen World Trade Centers. Die Zeitungen drucken sogar die Kolumnisten der Ostküste nach: Thomas Friedman, Charles Krauthammer, David Broder. Chicago ist kalt. Sehr kalt. Durch die Straßenschluchten, an den Hochhäusern entlang, bläst der ewige Wind von den großen Seen, Lake Michigan, Lake Wisconsin. Seen, so groß wie die Ostsee.
Bei Chicago fällt einem der Aufstand auf dem Haymarket, dem Heumarkt, ein, als eine Bombe streikende Arbeiter tötete; das Feuer von 1871, das die Stadt niederbrannte, woraufhin es Ausschreitungen gegen Iren gab, die dafür verantwortlich gemacht wurden; Gangsterbosse wie Al Capone, korrupte Politiker wie John "Bathhouse" Loughlin oder Michael "Hinky Dink" Kenna. Und natürlich die Schlachthöfe, wo zehntausende Arbeiter unter schrecklichen Bedingungen Rinderherden zerlegten, beschrieben in Upton Sinclairs "The Jungle". Nichts mehr davon ist übrig. Krawall in Chicago findet heute größtenteils im Fernsehen statt, wo die Jerry-Springer-Show produziert wird. Und die Stadt hat die höchste Mordrate der USA.
Ein Flickenteppich
Wie viele große Städte in Amerika ist Chicago ein Flickenteppich ethnisch geprägter Nachbarschaften: Greektown, Chinatown, Ukrainian Village, Pilsen, Little Italy. "Die USA sind kein Melting Pot, sie sind viel eher wie ein Kessel Gulasch", meint Ray Hanania. "Die Ethnien hier mischen sich nicht wirklich." Seit einiger Zeit ist Chicago - neben Detroit - das Zentrum arabischstämmiger Einwanderer; etwa 180 000 leben hier, meist in den Vororten. Die Hälfte sind Christen, sagt Hanania. Es gibt arabische Lebensmittelläden, Makler, Anwälte und Steuerberater, eine arabische Bank, 165 arabische Restaurants und zwei arabische Geschäftsviertel. Das bessere liegt im Norden an der Devon Avenue mit pakistanischen, indischen, russisch-jüdischen und libanesischen Gaststätten und Geschäften. Das andere im armen Süden, dort, wo die U-Bahn endet.
An der 63sten Street entlang hat sich eine Mischung von Wildwest-Geisterstadt und Dritte-Welt-Slum entwickelt. Flache Betonschachteln, Schilder in den Schaufenstern, die davor warnen, dass die Geschäftsleute mit der Polizei kooperierten. Auslagen mit Auberginen, Zucchini, Datteln, Feigen, Lammfleisch. Eine Moschee, grün mit weißen arabischen Schriftzeichen. Ein paar Schritte weiter, im "Nile Restaurant", serviert der libanesische Wirt Schawarma, Chicken Kebab, eingelegte Oliven und Salbeitee. Nur wenige Männer sitzen im "Nile", sie gucken die Fremde misstrauisch an. Niemand ist sonderlich gesprächsbereit. Im Fernsehen läuft Dubai TV, Französisch mit arabischen Untertiteln, ein Beitrag über Berlin nach dem Fall der Mauer. Horst Schattner kommt ins Bild, eine Kiezgröße aus der Hausbesetzerzeit. Er klagt über die Armut in Kreuzberg. Die Szene ist an Skurrilität nicht zu überbieten. Das arabische Viertel endet an der Kendzie Street, hier liegt das "Arab American Cultural Center". Das Center hat geschlossen, offenbar schon seit einiger Zeit, Bauarbeiter weißeln die Wände. Nach dem 11. September gab es hier einen Brandanschlag.
"Nach dem Anschlag auf das World Trade Center wurden in vielen arabischen Geschäften die Scheiben eingeworfen, arabische Angestellte wurden entlassen, weil die Inhaber Angst hatten, dass die Kunden wegbleiben", sagt Hanania. 14 Menschen wurden umgebracht, darunter auch mehrere Sikhs aus Indien. "In Chicago hat es sieben arabisch-amerikanische Zeitungen gegeben, davon mussten sechs schließen, weil die Anzeigenkunden und die Kioske bedroht wurden." Dazu kämen Gesetze wie der Patriot Act. "Ich kenne ein Dutzend Araber, die interniert wurden, darunter waren mehrere kritische Journalisten. Die galten plötzlich als Terroristen." Er habe eine tägliche Kolumne in der Chicago Daily News gehabt, preisgekrönt, nun erscheine sie nur noch zweimal pro Woche. "Dabei ist mein Arbeitgeber noch sehr solidarisch. Sie sollten mal die Hassmails sehen, die ich bekomme." Wer als Araber nach dem 11. September seinen Job verloren habe, finde nun keinen mehr.
Hanania spricht sehr schnell, redet sich alles von der Seele. "In dem Vorort, wo wir wohnen, gibt es 16 Highschools mit 7000 Schülern, davon sind 600 arabischer Herkunft. Aber 90 Prozent der Kinder, die von der Schule fliegen, sind Araber." Er und andere Eltern hatten eine Kampagne initiiert, einen Araber in die Schulaufsicht zu wählen, aber vergebens. "Wenn das System dich nicht will, kannst du nicht Teil des Systems sein." Hananias 15-jährige Tochter ist in der Schule so lange verprügelt worden, bis sie versucht hatte, sich umzubringen. "Als ich mich beschwert habe, sagte der Direktor, sie sei selber schuld." Dabei ist Hanania Amerikaner. Er kommt aus einer christlichen palästinensischen Familie und ist mit einer jüdischen Frau verheiratet. Der jüngste Sohn ist ein jüdisches Waisenkind aus Russland, das sie vor wenigen Monaten adoptiert haben. "Muslimische Einwanderer haben überhaupt keinen Schutz", sagt er.
Das Kontrastprogramm findet bei "Borders", einer Buchladenfiliale in Downtown, statt, nahe der Kreuzung, wo der "Loop", die Hochbahn, zirkelt. Michael Moore signiert sein neues Werk. Eine tausendköpfige Schlange windet sich über drei Stockwerke an Bücherregalen, CD-Ständern und Kalenderwänden vorbei. Fast alle sind jung und weiß, einige tragen T-Shirts, auf denen beispielsweise steht: "Bush - International Terrorist". Dabei liest Moore, wie immer unrasiert und mit Baseball-Mütze, nicht einmal. Er hält nur einen kurzen Vortrag, der den Zusammenhang zwischen Bushs Ölreichtum, den Bin Ladens und dem Konzern Halliburton umreißt. Es ist die gleiche Rede, die Moore zuvor in New York gehalten hat. Auch Moore mag die Araber nicht besonders. Bei ihm sind es allerdings die Saudis.
Wahrheit und Wahrnehmung
Warum sind all diese Menschen hier? "Michael ist ein Wahrheitssucher und eine wichtige Informationsquelle", sagt David, ein Student. "Moore ist die Stimme der Leute, die keine Stimme haben", sagt Sam, ein Schüler. Jeff ist hier, weil er Moore einen Deal vorschlagen will. Er besitze die Internetadresse "impeachgeorgewbush.org" (das heißt so viel wie: klagt Bush an), die will er gegen ein Vorwort von Moore für ein geplantes Buch eintauschen. Darin will er den Europäern erklären, warum alle Amerikaner verrückt sind. Chris, der an der University of Chicago Philosophie studiert, hat seine eigene Theorie. "Typisch für Amerika ist, dass es hier nicht gefragt ist, schlau zu sein. Mehr noch: Klug zu sein gilt nicht als Teil der Persönlichkeit, sondern als etwas Abgetrenntes, Erlerntes, Künstliches und als nicht besonders erstrebenswert. Klug zu sein gilt als feminin." Deswegen dürften in den US-Fernsehserien nur Schwule schlau sein.
Auch Ray Hanania hadert mit dem Fernsehen, mit den Medien. "Es gibt in den USA nur 140 arabischstämmige Journalisten, und davon arbeitet die Hälfte für ethnische Nachbarschaftsblätter. Die andere Hälfte schreibt bunte Stücke, so dass sich Weiße nicht bedroht fühlten." Die Schwarzen würden zwar auch mies behandelt, aber für die existiere wenigstens ein positives Gegenbild, Martin Luther King, Jackie Robinson, Will Smith. Und die Lateinamerikaner hätten ihre eigenen Sender und Zeitungen. "Für uns ist das Internet der einzige Platz, wo wir Redefreiheit haben." Hanania hat sich in Rage geredet. "Warum schreiben wir Araber Gedichte, anstatt dass wir Film oder TV-Serien produzieren? Wir begreifen nicht, dass in Amerika Filme die Realität darstellen. In diesem Land geht es nicht um die Wahrheit, sondern um Wahrnehmung von Wahrheit. Amerikaner glauben, die Welt, die ihnen von ihrer eigenen Unterhaltungsindustrie vorgegaukelt wird, sei die wirkliche Welt."
Seit neuestem gibt es auf NBC tatsächlich eine Serie, in der ein arabischstämmiger Schauspieler eine Hauptrolle hat, neben Whoopy Goldberg. Allerdings spielt er einen Iraner, der sich dazu noch dauernd von den Arabern distanziert. "Aber einen echten Araber, der womöglich noch symphatisch ist, den würde das Publikum nicht akzeptieren", sagt Hanania. Er lehnt sich zurück, erschöpft und traurig. "Ich fühle mich in diesem Land wie ein Vampir: Ich habe kein Bild im Spiegel. Wir Menschen brauchen Beweise, Reflexionen, dass wir existieren, aber wenn ich in den Spiegel der amerikanischen Gesellschaft blicke, sehe ich mich nicht."
Frankfurter Rundschau 2004
Dokument erstellt am 28.01.2004
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