Das Grundgesetz im (Migrations)-Vordergrund - Artikel 13: Unverletzlichkeit der Wohnung  Drucken



Die Unverletzlichkeit der Wohnung


Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat, der mit dem Grundgesetz die demokratisch verfasste Grundlage des Zusammenlebens aller Bürgerinnen und Bürger und deren garantierte Rechte festgeschrieben hat.

Der totale Abbau der Grundrechte im Dritten Reich, aber auch in den 40 Jahren des DDR-Regimes haben die Urheber des Grundgesetzes vor enormen Herausforderungen gestellt. Es galt die Fehlentwicklungen der Geschichte zu beheben und ein Wiederholen von Geschichte auszuschließen.

Durch das Aufkommen verschiedener Formen des nationalen und internationalen Terrorismus in der jüngeren Vergangenheit und der grenzüberschreitenden Kriminalität nach dem Wegfall der Grenzkontrollen in Europa, wird es jedoch zunehmend schwieriger, die garantierten Bürgerrechte in der weitest gehenden Form aufrecht zu erhalten. Die Abwägung zwischen der Sicherheit im Staat und der individuellen Freiheit wird dabei zunehmend zu einer Gratwanderung und zum Zankapfel der aktuellen Politik.

Die in Artikel 13 GG garantierte „Unverletzlichkeit der Wohnung“ ist dabei in den letzten Jahren in Deutschland immer wieder in den Fokus geraten. Der Beginn des Gesetzes besagt folgendes:

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.
(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.
(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. (…)

Zuerst einmal soll das Eindringen in die Privatsphäre durch den Staat durch die richterlichen Instanzen als äußerstes Mittel entschieden werden. Interessanterweise wird in diesem Zusammenhang in vielen Literaturquellen dabei das Beispiel der Kriminalitätsbekämpfung verwendet.

Das Anbringen von technischen Hilfsmitteln im eigentlich geschützten Privatraum zwecks Überwachung von verdächtigen Personen ist seit Mitte der 90er-Jahre auch als „Großer Lauschangriff“ berühmt geworden, der u.a. zum Rücktritt der damaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) von der Regierung Kohls (CDU) geführt hat. Schnarrenberger sah in dem Eindringen in die Privatsphäre von Bürgern die Grundrechte des Einzelnen eklatant verletzt, während über 60% der FDP-Mitglieder damals in einer Urabstimmung dies nicht so eng sahen. Proteste gab es v.a. von Journalisten, die durch diesen Eingriff in die Privatsphäre auch ihre eigene investigative Arbeit in Gefahr sahen, was wiederum erhebliche Folgen für die andere Grundfreiheit, der Meinungsfreiheit, haben könnte.

Verschiedene Revisionen des Lauschangriffs vor dem Bundesverfassungsgerichtes führten dazu, dass nur noch bestimmte Informationen, die der Klärung des Falles dienen, aufgezeichnet werden dürfen, während private Informationen (z.B. persönliche Gespräche) der Betroffenen rechtlich gesehen nicht gesammelt werden dürfen.

Interessant wird es aber in den folgenden Abschnitten von Art. 13 GG:

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

Hier kommt die viel zitierte „öffentliche Sicherheit“ ins Spiel, zu dessen Wahrung zuerst einmal auch richterliche Beschlüsse eingeholt werden müssen, in akuten Bedrohungsfällen jedoch die Behörden diese auch „nachholen“ können.

Im Zuge der weltweiten 9/11- Hysterie, die auch in Deutschland zu einer ganzen Reihe von Verschärfungen in den Grundrechten im Rahmen der Anti-Terrorbekämpfung geführt haben, beklagen sich insbesondere Bürger muslimischen Glaubens über einen zunehmenden Generalverdacht und über Wohnungs- und Moscheedurchsuchungen , die sich in den meisten Fällen als unbegründet erwiesen haben. Auch die vor einigen Jahren durchgeführte „Rasterfahndung“ stellte ausländische Männer muslimischen Glaubens zuerst einmal für die Dauer der Untersuchung unter Verdacht, von dem die Betroffenen erst nach dem Abschluss des Verfahrens durch einen offiziellen Brief der Behörden erfahren haben.

Der Eindruck, dass die „Gefahr im Verzug“ plötzlich von jedem Bürger muslimischen Glaubens ausgehen könnte, ist ein Trauma, welches sich bis heute in großen Teilen der muslimischen Community gehalten hat und das durch die wachsende Ablehnung von Muslimen durch Teile der Mehrheitsgesellschaft und der Politik generell weiter verstärkt wird. Dieses gestörte Vertrauen wieder herzustellen wird eine große Herausforderung für die politischen Akteure in diesem Land sein und das bekommt man nicht dadurch hin, in dem man Integrations- und Islamdebatten ausschließlich vor dem Hintergrund der inneren Sicherheit führt.

Gespannt darf man in den kommenden Wochen nach Berlin schauen, wenn sich die schwarz-gelbe Koalition darüber verständigen muss, die im Jahr 2012 auslaufenden Anti-Terrorgesetze auslaufen zu lassen oder diese „unbefristet“ zu verlängern. Gut möglich, dass sich die Hardliner v.a. aus der CSU unter Führung von Innenminister Friedrich in der Regierung Merkel durchsetzen und die derzeit ohnehin schon geschwächten Liberalen das Nachsehen haben. Auch Teile der SPD würden einer solchen Verlängerung unter Bedingungen zustimmen.
Wünschen kann man sich das als Verfechter der Bürgerrechte nicht. Wahrscheinlich kann sich die heute wieder tätige Bundesjustizministerin Leutheuser-Schnarrenberger schon bald mit dem zweiten Rücktritt in ihrer Karriere befassen. Konsequent und nachvollziehbar wäre es.



Ali Baş stammt gebürtig aus Ahlen/Westfalen und arbeitet als Lehrer für Englisch und Sozialwissenschaften an einem Berufskolleg in Dortmund. In Münster promoviert Baş in Erziehungswissenschaft.
Baş engagiert sich seit vielen Jahren bei Bündnis 90/Die Grünen, wo er seit 2004 Sprecher des Kreisverbandes Warendorf ist und als Kreistagsmitglied für Schul- und Integrationspolitik zuständig ist.
Der Ahlener hat 2007 zusammen mit anderen muslimischen grünen Politikerinnen und Politikern den „Arbeitskreis Grüne MuslimInnen NRW“ gegründet, der sich auf politischer Ebene mit Themen rund um Muslime in der deutschen Gesellschaft auseinandersetzt. Der Arbeitskreis ist bisher der einzige seiner Art in einer der deutschen Partei.

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