Den Ausschlag gaben westliche Sicherheitsinteressen. Die USA wollten den politisch instabilen NATO-Partner stützen, um ein Erstarken kommunistischer Kräfte am Bosporus zu verhindern. Der deutsche Arbeitsmarkt diente als Blitzableiter im Kalten Krieg. Washington übte Druck auf den deutschen Verbündeten aus. Der deutschen Wirtschaft kam das entgegen. In den Chefetagen schätzte man die Türken als anspruchslose und zähe Arbeiter, von denen kaum gewerkschaftlicher Stress zu erwarten war. "Arbeitet fleißig, wach und umsichtig und lernt schnell dazu, was ihr noch nicht wisst", forderte eine türkische Broschüre für Ausreisewillige. "Kommt pünktlich und geht pünktlich. Lasst euch nie krankschreiben, außer wenn es gar nicht anders geht." Vor Alltagsdiskriminierung schützte sie das nicht. Bis heute fühlen sich viele Deutschtürken nicht wirklich angenommen. In Zechen und an Hochöfen, in Automobil-, Textil- und Entsorgungsbetrieben schufteten die "Gastarbeiter" für den Traum, wohlhabend in die Türkei zurückzukehren. Anfangs hatte das Abkommen nur Ledige, darunter viele Frauen, zugelassen; sie sollten das Land nach zwei Jahren wieder verlassen. Familiennachzug war untersagt - Regeln, die auf Druck der Wirtschaft immer weiter gelockert wurden. Als die Anwerbungen wegen Ölkrise und Rezession 1973 endeten, lebten schon rund eine Million Türken in Deutschland. Die anhaltende wirtschaftliche Perspektivlosigkeit in der Türkei, aber auch die Anreize des deutschen Sozialstaats sorgten dafür, dass ihre Zahl weiter wuchs. "Einmal angestoßene Wanderungsprozesse entfalten eine Eigendynamik, die sich dem Zugriff demokratischer Rechtsstaaten entzieht", analysierte der Bremer Migrationsexperte Stefan Luft. Er empfiehlt einen realistischen Blick auf die Integration. Erfolgreiche Türkischstämmige haben längst ihren Weg in Parteiämter, Medien und Unternehmen gefunden - man denke an die Biontech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci. Andererseits gibt es nach wie vor Defizite bei einer sich abkapselnden Unterschicht. Laut einer Studie der Universität Münster waren 2016 gut ein Viertel aller Türkeistämmigen ohne Schulabschluss.
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