Solingen 2.0: Rassismus und Muslimfeindlichkeit im Schatten Hass und Messerattentäter
Während der Amoklauf von Solingen bundesweit Debatten auslöst, bleibt der inzwischen als rechtsextrem bekannte Brandanschlag mit mehreren Todesopfern in Soligen im letzten Jahr nahezu unbeachtet – Zudem: Neue Hinweise auf ein rassistisches Motiv bei drei erneuten Brandanschlägen in diesen Monaten
Während ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag sowie zahlreiche Medien seit Monaten die tödliche Messerattacke in Solingen im letzten Jahr durch einen Flüchtling mit drei Todesopfern thematisieren und politische Verantwortung einfordern, geschehen in derselben Region Ereignisse, die kaum öffentliche Aufmerksamkeit erhalten – dabei sind sie mindestens ebenso alarmierend. Allgemein bekannt ist der rassistisch motivierte Brandanschlag von 1993 auf die Familie Genç in Solingen, bei dem fünf Angehörige ums Leben kamen. Der 32. Jahrestag dieses Verbrechens wurde erst vor wenigen Tagen begangen.
Weit weniger bekannt ist ein weiterer rassistisch motivierter Anschlag, bei dem im März 2024 eine ganze Familie mit kleinen Kindern bei einem verheerenden Brand in einem Mehrfamilienhaus in Solingen getötet wurde. Erst nach langwierigen Ermittlungen verdichteten sich Hinweise, dass auch diese Tat einen rechtsradikalen Hintergrund hat. Im Prozess um diesen Vierfachmord sind nun neue Beweise aufgetaucht, die auf eine rechtsextreme Gesinnung des deutschen Angeklagten hinweisen. Laut einer Nebenklagevertreterin wurden in seiner Wohnung Datenträger mit eindeutig rassistischem Inhalt sichergestellt. Auf einer Festplatte fanden Ermittler 166 Bilder und Chatverläufe mit rechtsextremen Botschaften. In einem Chat äußerte sich der Angeklagte offen rassistisch. Einige der gefundenen Bilder zeigen Gasflaschen mit dem Konterfei Adolf Hitlers und dem Satz: „Dafür stehe ich mit meinem Namen“. Andere zeigen Gefangene in Konzentrationslagern mit der zynischen Aufschrift: „Bitte konzentriert euch“. Auf einem weiteren Bild ist Hitler mit dem Kommentar „Ohne dich ist alles doof“ abgebildet. Auch ein Foto eines Schlauchboots mit Geflüchteten war zu finden – Bildunterschrift: „Mein Humor ist wie ein afrikanischer Flüchtling. Er kommt manchmal nicht gut an.“ Zudem legte der Angeklagte im Prozess nicht nur ein Geständnis zur tödlichen Brandstiftung in Solingen ab, sondern auch zu weiteren Brandanschlägen. Die betroffenen Häuser waren allesamt von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnt. Einer der Brände ereignete sich am Jahrestag der Novemberpogrome von 1938 – ein Umstand, der die Sorge um ein gezieltes, ideologisch motiviertes Vorgehen verstärkt. Der mutmaßliche Täter hat bereits gestanden. Bei dem Brand am 25. März 2024 starb in Solingen eine vierköpfige bulgarische Familie mit türkischen Wurzeln: die Eltern im Alter von 28 und 29 Jahren sowie ihre beiden kleinen Töchter, drei Jahre alt und wenige Monate alt. Als Motiv gab der Angeklagte „Stress mit der Vermieterin“ an – ihm war aufgrund von Mietrückständen gekündigt worden.
Dennoch wollten die Ermittlungsbehörden zunächst keine Hinweise auf ein rechtsradikales Motiv erkennen. Warum die brisanten Inhalte der sichergestellten Festplatten nicht öffentlich gemacht wurden, ist bislang ungeklärt.
Der damalige Bundesbeauftragte der Sinti und Roma, Mehmet Daimagüler (die Stelle ja heute leider mit der neuen Bundesregierung eingestampft worden) und eine Reihe politischer Beobachter (ich eingeschlossen, damals noch in der Funktion als ZMD-Vorsitzender) hatten unmittelbar nach der Tat eine gründliche Prüfung möglicher rechtsextremer Hintergründe gefordert.
Die schleppende Aufklärung erinnert an die mangelhafte Datensicherung im Fall von Alexander W., der die Ägypterin Marwa El-Sherbini im Gerichtssaal aus islamfeindlichen Motiven erstach – vor den Augen ihrer Familie und des Richters, der ihn gerade wegen rassistischer Beleidigungen gegenüber El-Sherbini verurteilte. Die Tat in Solingen weckt zudem Erinnerungen an den Anschlag von 1993, bei den fünf türkischstämmigen Frauen und Mädchen von rechtsextremen Tätern getötet wurden. Der Anschlag markierte damals den Tiefpunkt einer Welle rassistischer Anschläge auf Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland, die bis heute andauerte.
Doch damit nicht genug: im Bergisches Land ermittelt derzeit eine Mordkommission wegen neuer Brände: Öffentliches Desinteresse und politische Fragen
Aktuell ermittelt im benachbarten Wermelskirchen – nur wenige Kilometer von Solingen entfernt – eine Mordkommission wegen Bränden in drei Mehrfamilienhäusern. Auch hier steht der Verdacht rassistisch motivierter Brandstiftung im Raum. Mehr als 220 Rettungskräfte waren bei den Bränden im Einsatz, 40 Menschen mussten gerettet werden, zehn wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Viele Familien konnten nichts mehr aus ihren Wohnungen retten. »So etwas habe ich noch nie erlebt«, sagte der stellvertretende Feuerwehrchef Ingo Müller gegenüber dem Spiegel. Für Polizei und Staatsanwaltschaft besteht ein Zusammenhang zwischen den drei Bränden, die innerhalb kürzester Zeit und in enger geografischer Nähe zueinander verübt wurden. Der zweite Brandort liegt nur etwa 500 Meter vom ersten entfernt, der dritte etwa 600 Meter weiter. In allen Fällen gehen die Ermittler von vorsätzlicher Brandstiftung aus. Aufgrund des Verdachts auf versuchten Mord wurde eine Mordkommission sowie eine besondere Aufbauorganisation (BAO) eingerichtet. Mehr als 60 Ermittlerinnen und Ermittler sind derzeit im Einsatz, auch der Staatsschutz ist involviert. In sämtlichen betroffenen Häusern lebten vorwiegend Menschen ohne deutschen Pass.
Der Verdacht, dass es sich erneut um rassistisch motivierte Anschläge handeln könnte, ist in der Stadt längst ein Gesprächsthema. Umso unverständlicher erscheint es vielen, dass bislang weder die Generalbundesanwaltschaft noch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Vorgänge übernommen haben. Während die Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit dem Amoklauf, an dem drei Menschen durch den Attentäter getötet wurden, schenkt, bleiben die rechtsextremen Mordserien an Migrantenfamilien kaum beachtet. Dieser eklatante Unterschied in der Wahrnehmung ist kein Zufall – er zeigt, wie sehr rassistische Gewalt gegen Muslime und Menschen mit Migrationshintergrund inzwischen oft stillschweigend hingenommen wird; Leider ist das inzwischen Alltag in Deutschland geworden. (Aiman A. Mazyek)