Newsnational Sonntag, 28.01.2007 |  Drucken

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Warum schrumpfen säkulare Gesellschaften?

Neue Erkenntnisse von Glaube und Evolutionstheorie. islam.de sprach mit dem Wissenschaftler Michael Blume

„Evolutionsforscher entdecken: Warum Glaube nützt“. Mit diesem Thema titelt die Ausgabe 02/2007 von "Bild der Wissenschaft" und stellt eine neue Wendung in der Debatte um Religionen und Evolution dar. Ausführlicher werden dabei auch Forschungsergebnisse des Heidelberger Religionswissenschaftlers Michael Blume dargestellt, der lange Jahre auch als Gründungsvorsitzender der Christlich-Islamischen Gesellschaft Region Stuttgart aktiv war. Blume bereitet sich derzeit die Habilitation in Heidelberg vor und arbeitet in der Grundsatzabteilung des Staatsministeriums Baden-Württemberg. islam.de befragte Blume nach den neuen Entwicklungen.

islam.de: Was haben Evolutionsforscher da neues entdeckt?

Blume: Vielleicht ist es erst einmal wichtig zu sagen, was Wissenschaft insgesamt nicht leisten kann: sie kann über die Wahrheit religiöser Aussagen oder gar über die Existenz Gottes keine letzten Aussagen treffen. Aber sie kann das Leben beobachten und auf dieser Basis Theorien bilden und überprüfen. Und da ist in letzter Zeit einiges Erstaunliche zum Thema Religion hinzugekommen...

islam.de: …Und das wäre?

Blume: Nun, gerade wenn man von der Evolution des Lebens ausgeht, dann gehört dazu die Annahme, dass sich Eigenschaften und Fähigkeiten entwickeln, die der Weitergabe der Gene auch erfolgreich dienen. Eigenschaften und Fähigkeiten, die schaden, werden dagegen schließlich verschwinden. Und während mancher noch glaubt, die Evolutionstheorie tauge als Beweis gegen die Religion, finden wir jetzt zunehmend auf Basis ganz harter Fakten heraus, dass Religiosität sogar verblüffend deutlichen, biologischen Erfolg mit sich bringt. Sie ist kein Unfall, sondern in der Entwicklung des Menschen bereits angelegt.

islam.de: Wollen Sie das auch wissenschaftlich beweisen?

Blume: Ja. Mein Schwerpunktgebiet ist der Zusammenhang von Religion und Demografie. „Seid fruchtbar und mehret euch“, lauten ja die ersten Worte Gottes an den Menschen in der Bibel und der Koran gibt es Beispiele, wo die Partnerschaftsbildung eine von Gott empfohlene gute Tat angesehen wird. Demografen beobachten seit Jahren, dass überall auf der Welt religiöse Menschen durchschnittlich mehr Kinder bekommen als säkulare. Dem wollte ich wissenschaftlich auf den Grund gehen – und bin von der Deutlichkeit der Ergebnisse mehr als überrascht. Ob in globaler Perspektive, in Deutschland, Frankreich oder aufgrund der besonders exakten Daten der Schweizer Volkszählung, es besteht aufgrund der Datenlage eigentlich kein Zweifel mehr: religiöse Menschen entscheiden sich im Kontext ihrer Gesellschaft überdurchschnittlich öfter und stabiler zur Eheschließung und deutlich häufiger für Kinder als ihren säkularen Alters- und Schichtgenossen.

islam.de: Aber das könnte das nicht auch am Wohlstand oder an der Bildung liegen?

Blume: Das haben Carsten Ramsel, Sven Graupner und ich zuerst auch gedacht und an der Universität Tübingen auch überprüft. Denn bekannt ist, dass gebildete und reiche Leute zu weniger Kindern neigen. Wir fanden aber anhand deutscher und dann Schweizer Daten auch heraus: der relative Unterschied in der Kinderzahl zwischen Religiösen und Nichtreligiösen nimmt mit steigender Bildung und Einkommen sogar zu! Umso reicher, gebildeter und auch freier die Menschen sind, umso mehr hängt es statistisch von ihrer religiösen Praxis ab, wie oft sie sich noch für feste Bindungen, für Familie oder gar mehrere Kinder entscheiden. Umgekehrt schrumpfen säkulare Gesellschaften mangels Geburten auch dann, wenn sie arm sind, wie aktuell beispielsweise in fast allen osteuropäischen Staaten. Eine gute Familienförderung wie in Schweden oder Frankreich kann das allgemeine Geburtenniveau heben, beseitigt aber den relativen Unterschied zwischen religiösen und säkularen Menschen nicht.

islam.de: Woran liegt diese Wirkung Ihrer Meinung nach?

Blume: Der Mensch ist das einzige Wesen, das aktiv Fragen der Bindung oder Kinder entscheiden kann. Umgangssprachlich spricht man ja inzwischen sogar von einem „Unfall“, wenn ein Kind ungeplant gezeugt wird. Und der Punkt ist: Menschen können also abschätzen, dass Familiengründungen andere Lebensoptionen ausschließen, dass ihnen Kinder auch Sorgen und Kosten bereiten werden und dass vor allem Mütter auf verlässliche Partner und gemeinschaftliche Unterstützung angewiesen sind. In der freien Entscheidung für mehrere Kinder geht es also immer auch um das Überwinden des eigenen Egos, um freiwilligen Verzicht und auch die Bereitschaft zur Einordnung in eine Gemeinschaft. Und das sind mithin genau die Werte, die erfolgreiche Religionsgemeinschaften transzendent begründen und auf einer Vielzahl von Wegen vermitteln, offenbar erfolgreicher, als wir dachten.

islam.de: Kann sich „Religion“ auch negativ auswirken?

Blume: Ja, wenn die Menschen über ihr Leben gar nicht frei entscheiden können, sondern die religiösen Gebote aus Zwang befolgen, bekommen sie weit mehr Kinder, als gut für alle ist. Dann haben wir Bevölkerungsexplosionen, Armut, fehlende Perspektiven und schließlich Gewalt nach innen und außen. Natürlich muss man in dem Bereich noch weiterforschen, aber mein vorläufiges Fazit sieht so aus, dass Religiosität und eine ausgewogene Bevölkerungsentwicklung nur bei Religionsfreiheit gedeihen können, zu der auch der Respekt vor den Rechten der Frauen und die Möglichkeit der Abkehr von Religion gehört. Zwang führt dagegen die Menschen und die Religionsgemeinschaften in die Katastrophe.

islam.de: Das kommt Muslimen aus dem Koran sehr bekannt vor!

Blume: Ja, Sure 2,256 („Es gibt keinen Zwang im Glauben“, Anm, Red.). Ich denke schon, dass die Wissenschaft immer wieder auf faszinierende Aussagen der Heiligen Schriften stoßen wird, wenn sie sich mit den Grundlagen des menschlichen Lebens beschäftigt. Religiöse Menschen dürfte das eher freuen als überraschen. Wir bleiben Kinder, die versuchen, einen Ozean auszulöffeln. Aber Wissenschaft kann auch für Menschen interessant sein, um sich selbst und ihre Situation besser zu verstehen und mit mehr Wissen zu handeln. Nehmen wir ein Beispiel: Zur seriösen Erklärung des Aufstiegs des Islam in der Türkei braucht man keine wilden, islamophoben Verschwörungstheorien. Ein ganz wichtiger Faktor ist, dass auch die säkularen Oberschichten dort mangels Kindern seit langem schrumpfen und nun zunehmend verzweifelt versuchen, ihre Pfründe zu verteidigen. Gleichzeitig steigen die religiösen Familien der Vorstädte demografisch, wirtschaftlich und politisch auf. Auch da gilt: Diskriminierung und Zwang verschärfen die politische und auch demografische Differenz nur, mehr Demokratie, Religionsfreiheit und Respekt voreinander wären für alle Seiten besser!

islam.de: Wie werden Sie weiterforschen?

Blume: Derzeit werte ich mit Hilfe des Schweizer Bundesamtes für Statistik Daten der Schweizer Volkszählungen von 1970 bis 2000 aus, um auch Aussagen über Trends machen zu können. Wie haben sich beispielsweise die Familienstrukturen der Schweizer Christen, Muslime und Konfessionslosen in den letzten Jahrzehnten entwickelt? Mich würde in diesem Zusammenhang auch die Meinung der Muslime interessieren und über einen Austausch mit Ihnen würde ich mich freuen

islam.de: Herr Dr. Blume, wir danken für das Gespräch.

(Das Gespräch führte Hany Jung. Siehe dazu auch den weblog von Dr. Michael Blume, Verlinkung s.u.)



Lesen Sie dazu auch:
www.blume-religionswissenschaft.de

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