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Montag, 08.05.2017 | Drucken |
Terror - ein Synonym für muslimische Gewalt?
Ein Kommentar von Mohammed Khallouk, stellvertretender Vorsitzender des ZMD.
Die europäische Gesellschaft ist verunsichert. Gewalttaten auf offener Straße bestimmen die Nachrichten und befürchtete Anschläge die politischen Debatten. Während eine Schießerei auf der Champs-Elysées den französischen Präsidentschaftswahlkampf zum Wettlauf um die strengsten Sicherheitsmaßnahmen degradieren lässt, erregen sich auch kaum sportinteressierte Deutsche über einen Sprengstoffanschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund.
Hier wie dort sind die Verursacher für die Öffentlichkeit sogleich gefunden. Die Frage, wie „islamisch gerechtfertigtem Terror“ angemessen begegnet werden könne, bestimmt die Talkshows und Leitartikel. Gesucht wird allerorts nach den Folgen derartiger Taten und wie sich die Täter ausschalten lassen. Der Ursache der einzelnen Gewaltausübung und dem Umfeld, in dem bislang unauffällige, rechtschaffende Mitbürger zu mutmaßlichen Terroristen mutieren, entzieht sich die Diskussion.
Schließlich findet sich dafür bereits ein einfaches Erklärungsmuster: Die Gewalt wurzele in „radikaler Praxis des Islam“, der ohnehin den Terror - und mit Peter Sloterdijk gesprochen „die Phobokratie“ begünstige. Staatliche Aufgabe sei dementsprechend, Moscheen zu überwachen, Imame zu kontrollieren und Muslime zu einer „bewussten Abschwörung der Scharia“ zu drängen.
Sofern sich herausstellt, dass Gewalttäter wie im Fall Dortmund überhaupt nicht muslimischen Glaubens sind, oder wie der Axtangreifer im Düsseldorfer Hauptbahnhof Anfang März, zumindest eindeutig nicht aus politisch-religiösem Motiv heraus zur Gewalt gegriffen haben, verschwindet sogleich auch der Terminus „Terrorismus“ aus dem öffentlichen Sprachgebrauch. Sloterdijk würde hier wohl auch nicht mehr von „Phobokratie“ sprechen, wenngleich seiner Definition nach Phobokratie gerade nicht ein im islamischen Kulturkreis entstandenes Phänomen darstelle, bei Muslimen jedoch derzeit am weitesten verbreitet sei.
Das Ziel, kollektive Angst und Verunsicherung zu erzeugen, muss aber bei dem Attentäter von Dortmund mindestens in gleichem Maße vorrangig gewesen sein, wie bei den „IS-Rekruten“ von Paris. Schließlich sind plötzliche Ausschläge am Aktienmarkt ohnehin im Wesentlichen psychologisch begründet. Selbst wenn bei dem Anschlag „nur“ Sachschaden entstanden wäre, hätte eine Verunsicherung der Anleger fallende Aktienkurse bewirkt. Habgier aber auch psychologische Spielchen geistig Verwirrter passen jedoch nicht ins Bild, das bestimmte Medien- und Politikvertreter vom „Terroristen“ ihren Rezipienten zu zeichnen beabsichtigen.
Für eine Debatte über Abschiebehaft und Grenzsicherung sind sie ohnehin nicht dienlich. Sie wären vielmehr ein Anlass, sich mit dem Werteverfall in der westlichen Mehrheitsgesellschaft auseinanderzusetzen. Indem man einen „gewaltaffin und demokratiefeindlich“ konstruierten Islam zum Hauptbedrohungsszenario deklariert, benötigt man hingegen keine Erklärungsmuster für die Schattenseiten eines zur Bindungslosigkeit ausgearteten Liberalismus. Dieser verträgt sich nämlich nicht mit wertkonservativ verstandener Religion – mit dem Islam ebenso wenig wie mit Juden- oder Christentum, begünstigt aber durchaus individuelle Raffgier und psychische Verrohung.
Muslime und der Islam als allgemeines Gefahrenbild haben sich so sehr im öffentlichen Diskurs festgesetzt, dass in Deutschland lebenden Türken, die für ein von islamisch konservativen Kräften initiiertes Präsidialsystem in ihrem Herkunftsland votieren, attestiert wird, nicht in die deutsche Gesellschaft integriert zu sein. Bisweilen wird in einem Atemzug säkularistischen Kurden, die mit der von deutschen Behörden offiziell als „Terrororganisation“ eingestuften PKK sympathisieren, das türkische Präsidialsystem jedoch zurückweisen, „demokratische Reife“ bescheinigt. In dieser Argumentationslinie ist es nicht mehr weit, Muslime generell zur „Bedrohung“ für die westliche Gesellschaft zu erklären und nach Vorbild des US-Präsidenten einen sogenannten „Muslim-Bann“ zu propagieren. Eine durchaus vorhandene Terrorgefahr wird auf diese Weise allerdings ebensowenig verringert wie die nicht als „terroristisch“ deklarierte Gewalt. Noch weniger lässt sich die Identifikation der Muslime mit einem demokratischen Rechtsstaat, der ihnen Sicherheit gewährt, erreichen. Von den islamfeindlichen Demagogen ist dies jedoch nicht beabsichtigt. Stattdessen besteht deren Ziel eindeutig in der Ausgrenzung der Muslime.
In der scheinheiligen EU-Türkei-Debatte ist dies den meisten Betroffenen bereits offensichtlich geworden. Wie lässt sich anders erklären, dass in EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Belgien weit über 60% der dort lebenden Türken für ein autoritäres Präsidialsystem in ihrem Herkunftsland die Stimme erheben, während in westlichen Nicht-EU-Staaten wie der Schweiz, den USA und Kanada, oder dem im Austritt aus der EU begriffenen Großbritannien eine ebenso deutliche Mehrheit der Türken dies zurückweist? Demokratie und Rechtsstaat kann nur derjenige als förderlich anerkennen, der sich darin selbst in seinen Rechten und Ansprüchen geachtet empfindet. Sofern die westliche Gesellschaft in jungen Muslimen tatsächlich ein Radikalisierungs- und Gewaltpotential wähnt, ist sie aufgerufen, ihre eigenen Begriffsdefinitionen zu hinterfragen. Ebenso notwendig ist aber eine mediale Diskursänderung, die anerkennt, dass Muslime mindestens in gleichem Maße Opfer wie Täter sind und die Anerkennung ihrer Religion ebenso wie der zivilgesellschaftliche Opferschutz für Verhinderung neuer Täter aus ihrem Milieu wichtiger sind als jegliche Sicherheitspakete.
Mohammed Khallouk ist stellvertretender Vorsitzender des ZMD. Sein letztes Werk „Islamischer Fundamentalismus vor den Toren Europas – Marokko zwischen Rückfall ins Mittelalter und westlicher Modernität“ (2. Auflage) erschien 2016 bei Springer VS in Wiesbaden.
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