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Montag, 11.04.2016 | Drucken |
„Und täglich grüßt das Murmeltier“
Noch nicht verstanden, dass im Kampf gegen den Terror, Muslime unsere Partner sind – Profitieren von diesem Missverständnis werden alleine die Terroristen und die Rechten – Von Aiman Mazyek
Terroristen begehen Betrug am Islam. Die mediale Überschrift "Terror im Namen des Islam" bestraft dann noch die Betrogenen, anstatt zu helfen den Betrüger zu fassen. Oft wird vermutet, mit solchen und ähnliche Attitüden in Interviews verstärkt die Muslime herausfordern zu müssen. Dabei entblößt der Vorgang mehr den Fragesteller als den Befragten, macht er am Ende doch deutlich, dass dieser nicht gewillt ist, die erforderliche Trennschärfe zwischen Extremismus und Islam einzuhalten.
Anstatt nun also die gemäßigte und absolute Mehrheit der Muslime - allesamt übrigens genauso potentielle Opfer von Terroranschlägen (die meisten Opfer von Terror weltweit sind mit Abstand Muslime selber) in die Allianz gegen Extremismus und Terror zumindest in Gedanken zu nehmen, marginalisiert man die wichtigste Gruppe. Denn, wenn jemand überhaupt noch an der Peripherie einen gewissen Einfluss auf irregeleitete junge Muslime hat, dann sind es deren Familien und Gemeinden. Die werden aber zunehmend in diesen Tagen wieder einmal einem Generalverdacht ausgesetzt. Wem nutzt das am Ende? Der Terrorbekämpfung ganz bestimmt nicht. Es nutzt vor allem den extremen Rändern von Rechts bis Links und natürlich den mutmaßlich muslimischen Terroristen, denn sie haben es ja gerade mit ihrer Gewalt darauf abgesehen, eine Spaltung in der Gesellschaft zwischen Muslimen und Nichtmuslimen herbeizuführen“, pardon „zu bomben“.
Dass Pegida, AfD und die einschlägig bekannten Islamhasser der Nation sich dabei zum Komplizen der Terroristen machen, indem reflexartig rufen: Islam ist an allem Schuld und ein Bann über muslimisches Leben zu verhängen versuchen, war zu erwarten. Aber warum können nicht Teile der sogenannten freien Presse und Politik endlich auf die stets monokausale Zusammenhangs-Ideologie verzichten, die da heißt: die Religion des Islam ist an allem Schuld? Haben wir nach 9/11 bis heute, also 16 Jahre lang, es zu keinem weiteren Baustein im analytischen Rüstzeug gebracht, als ständig monokausal die Religion für die asozialen, ins bandenartige Milieu abgeglittenen Kriminellen in Haftung zu nehmen?
Ist es uns nicht mal die Erwähnung wert, dass die Attentäter von Brüssel und Paris z.B. zuvor Haschischbars führten und mit leichten Mädchen rumhingen, was augenscheinlich mit islamischen Vorstellungen aber auch nichts gemein hat? Und nehmen wir an, dass hätten sie nur zur Tarnung gemacht, welche Rechtfertigung gibt es dafür im Islam? Richtig. Keine. Und wenn sie schon Tarnungen aufnehmen, warum dann nicht gleich als orthodoxe Juden oder Priester durch die Lande gehen? Man sieht also, all diese Unterstellungen sind ebenso lächerlich wie Hirngespinste, dennoch schwirren sie hartnäckig als Pseudo-Argumentationen im Netz seit Jahren herum, zumal sich viele Menschen daran festhalten, die ohnehin Vorurteile und Hass gegen alles Muslimische damit rechtfertigen können. Und nach solchen Anschlägen bekommen sie stets Oberwasser und die Hemmschwellen fallen. Der bisweilen einseitige Islamdiskurs in der sogenannten „Lügenpresse“ – siehe alleine Art und Themen der Talkshows der letzten Jahre - scheint ihnen da recht zu geben.
Endlich können sie ihrem lang gehegten Wunsch, die Muslime zu Paria der Gesellschaft zu machen und sie ganz offen zu Sündenböcke erklären, freien Lauf lassen. Perfide und ohne jeden Skrupel werden so die Toten und Verletzten der Terroranschläge für die eigene Häme und Generalabrechnung gegen DEN Islam instrumentalisiert. Vor lauter Schaum vorm Mund vergessen viele dabei sogar die standardisierten Kondolenzbekundungen, wie jüngst bei einigen AfD-Führerinnen passiert.
Was alleine an Hassmails und mehr noch Hassbotschaften über Telefonate wieder in den letzten Tagen in unsere Geschäftsstelle und auch in einige Moscheegemeinden „abgeliefert“ wurde, treibt jedem besorgten und anständigen Bürger dieses Landes die Schamröte ins Gesicht. Dazu zählen solche und ähnliche Verlautbarungen – hier einmal exemplarisch dargestellt: Stimme von einem jungen Mannes: „Hier eine Warnung an alle Muslime: Ihr seid die neuen Juden. Wir sind die neue NSDAP. Wir werden ab sofort Anschläge in allen deutschen Moscheen verüben…. Sieg Heil und schönen Tag noch.“ Weil solche Botschaften teilweise im Minutentakt kamen, haben wir erneut unsere Telefonanlage in der Geschäftsstelle runtergefahren. Dennoch, für viele sind diese extremen Warnungen nicht mal eine Meldung wert, geschweige denn Gegenstand von Gesprächen oder Talkrunden. Lieber geht man weiter der stereotypen Frage nach, was hat der Islam mit den Attentat zu tun.
Bei all dem wird schnell übersehen, es sind in erster Linie Menschen, die getötet worden sind, ob in Brüssel, in Istanbul, Paris, Bagdad oder Lahore. Dabei macht der Terror keinen Halt vor keinem oder unterscheidet nicht etwa zwischen Religion oder Herkunft. In Brüssel ist ein Vorstandsmitglied eines uns befreundeten islamischen Verbandes durch die Bomben der Attentäter ums Leben gekommen. Die Mutter hinterlässt drei halbwaise Kinder und einen Witwer. Gott möge ihrer Seele Barmherzigkeit erweisen.
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