Artikel Donnerstag, 23.09.2010 |  Drucken

Holocaustüberlebender fordert 65 Jahre nach Holocaust "Abschiebungen" von Andersgläubigen

Gilt nach Ralph Giordano mit seinen Thesen für alle Meinungsfreiheit außer für Muslime?

In einer großen deutschen Tageszeitung durfte Ralph Giordano seinen Beitrag zur Integrationsdebatte in Form von 10 Thesen unter der Überschrift "Die Gutmenschen und die dunklen Seiten des Islam" veröffentlichen.

Bereits in seiner ersten These redet Giordano mögliche, gelungene Beispiele der Integration als nicht-exemplarisch nieder. Gleich zu Beginn erreicht er somit die Denunziation von positiven Vorbildern, an denen man sich um voran zu kommen zumindest orientieren könnte. Als Ausgangslage ist somit alles Positive von Vornherein erstickt.

In seiner zweiten These schiebt Giordano eine Reihe von Schlagwörtern hinterher wie „Zwangsehe“ und „Ehrenmord“, mit denen sich die „Vorzeige-Muslime“ schwer tun würden. Damit werden einerseits diese Probleme islamisiert und gleichzeitig werden vorhandene Anstrengungen diese Probleme zu lösen, torpediert. Auf das Mittel der propagandaartigen Wiederholung von Reizwörtern im Zusammenhang mit Islam und Muslimen basieren im Übrigen die meisten seiner Thesen, wie man im Verlauf sehen wird.

Im folgenden prangert er an, dass „widerstandslos“ Moscheen in Deutschland nach „Eroberern der türkisch-osmanischen Geschichte benannt werden“. Der Leser wird gefüttert mit den Kampfbegriffen „Widerstand“, (gegen) „Moschee“, „osmanisch“, Eroberer“ - eine Sprachwahl die normalerweise nur Extremisten nutzen.

Muslime ausweisen

Höchst befremdend ist auch die darauffolgende Aufforderung, man müsse Muslime wie Aiman Mazyek ausweisen. Giordano schreibt, Sarrazin hätte Recht, solange nicht „Verbandsfunktionäre“ „sofort des Landes verwiesen werden“, wenn sie wie Mazyek erklärten „Scharia und Grundgesetz seien miteinander vereinbar“. Selbst wenn man nach demokratischer Streitkultur nicht Mazyeks Meinung sein muss – die Meinungsfreiheit gilt anscheinend nicht für Muslime und letztere sollten sofort ausgewiesen werden. Dass Giordano 65 Jahre nach der Deportation von Juden aus Deutschland, selbst Holocaustüberlebender, wieder die Deportation von Muslimen fordert, ist erschreckend. Und dass er dafür teilweise auch noch Beifall erntet – am wenigsten übrigens von Juden selbst – ist ebenso erschreckend. Die lachenden Dritten sind hierbei unter anderem Radikale und Rechtspopulisten.

In den folgenden Thesen wiederholt er die inzwischen immer populärere Parole, dass der Islam alles andere als friedlich ist und zur Tötung Ungläubiger aufruft, um anschließend zu betonen, dass die „Furcht“ vor der Islamisierung berechtigt sei. Er verfestigt und wiederholt somit die Vorurteile und Ressentiments gegenüber Muslimen - nicht nur George Orwell wusste, dass man eine Lüge nur oft genug wiederholen muss bis die Menschen schließlich daran glauben.

Anschließend kommt von Giordano der übliche Verweis auf die fehlende Religionsfreiheit in der Türkei. Abgesehen von der Ausklammerung von den Fortschritten in der Türkei werden Muslime für jegliche Missstände weltweit zum Sündenbock gemacht – Sarrazin beschränkte sich mit seinen Zuweisungen immerhin noch auf Deutschland. Mit besonderer Beliebtheit werden gebetsmühlenartig die Türkei oder Saudi-Arabien als Beispiele genannt. Wenn man sich auf diese Gesprächsebene begäbe, müsste man den Otto-Normal-Deutschen beschuldigen, sich nicht ausreichend für Moscheen und Synagogen im Vatikan einzusetzen.
Übrigens: wenn deutsche Minister in besagte Länder reisen und dort Milliardengeschäfte für die deutsche Wirtschaft einheimsen und entscheidend Einfluss nehmen könnten, sind diese Kritikpunkte plötzlich nicht mehr auf der Agenda.

Handschellen anlegen

Es folgen in den Thesen erneute Wiederholungen von Parolen wie die Unvereinbarkeit von Islam(ischen Sitten) mit Demokratie, Menschenrechte etc., gefolgt von Wiederholungen von Schlagwörtern wie „Gewaltkultur“, „Nationalismus“, „Siegergebaren“. Schaut man sich Sarazins „Prototyp-Muslim“ an, den „Gemüsehändler“, passt dieser zwar so garnicht in das Bild desjenigen mit „Siegergebaren“ – aber man muss es ja bekanntlich nur oft genug wiederholen um es glaubhaft zu machen.

Alle die anderer Meinung als die genannten Ansichten sind, versteht man nach Giordanos letzter These als „Sozialromantiker“ und „Gutmenschen“, er ohrfeigt per se alle die auf einen positiven, konstruktiven Ansatz setzen. Solche Stempel kommen offensichtlich nicht mehr ausschließlich aus dem rechten Lager, sondern sollen scheinbar immer weiter Mainstream-tauglich gemacht werden. Dass sich Giordano hierbei vor den Karren spannen lässt, ist sehr traurig.

Einen Lösungsvorschlag für die Integration bietet Giordano in all seinen Anschuldingstiraden dann doch: man solle den Männern „Handschellen anlegen“, anstatt den „Frauen das Kopftuch zu verordnen“. Wenn das das geistige Nivau der Debatte ist, dann hat Sarrazin tatsächlich Recht mit seiner These „Deutschland schafft sich ab“ (Oliver Bauer).



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