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Mit Koran und Bibel am Bosporus

In der Türkei werden junge deutsche Muslime mit Hilfe von Stipendien zu Islam-Vermittlern ausgebildet. Die Stipendiaten sind überzeugt: Viele Probleme zwischen Christen und Muslimen beruhen auf gegenseitigen Missverständnissen.

Man sieht es Emine Erol aus Berlin nicht an, dass sie schon bald bei der Entschärfung eines Hauptkonfliktes des 21. Jahrhundert helfen soll. Mit ihren großen braunen Augen unter ihrem weißen Kopftuch wirkt die Studentin zierlich und fast zerbrechlich. Aber die 22-jährige hat Großes vor. Als deutsche Muslimin will sie zur besseren Verständigung zwischen der deutschen Mehrheitsgesellschaft und dem Islam beitragen. „Die Hauptprobleme, die wir haben, sind eigentlich soziale und politische Probleme und entstehen nicht speziell wegen der Religion“, sagt sie. Derzeit bereitet sie sich darauf vor, in Deutschland zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu vermitteln.

Und diese Vorbereitung läuft nicht etwa in der Bundesrepublik, sondern in der Türkei.

Erol gehört zu einer Gruppe türkischstämmiger Deutscher, die mit Stipendien der türkischen Religionsbehörde in Istanbul und Ankara internationale Theologie studieren. Seit dem vergangenen Oktober nehmen 30 von ihnen an einem Projekt unter Leitung des deutschen Goethe-Instituts teil, das sie fit machen soll für den „interreligiösen Dialog“ in der Bundesrepublik. „Diese jungen Leute haben wirklich das Potenzial, zu vermitteln“, sagt Heidi Trappmann-Klönne, die Leiterin der Sprachkurse beim Goethe-Institut in Ankara. Denn die jungen Deutschtürken kennen sich auf beiden Seiten des Grabens zwischen dem Westen und dem Islam bestens aus.

Neben ihrem normalen Studium erhalten die jungen Islam-Vermittler in dem Spezialkurs erst einmal das sprachliche Rüstzeug für den Dialog der Religionen: Nicht jeder weiß auf Anhieb, was „Dreifaltigkeit“ auf Türkisch heißt. Hinzu kommt eine Einführung in die Grundlagen des Christentums, bei der ein Religionswissenschaftler aus Bayreuth die jungen muslimischen Theologen in die Lage versetzen soll, auch inhaltlich zwischen Christentum und Islam zu vermitteln. In einem dritten Modul werden Erol und die anderen Kursteilnehmer mit Rollenspielen auf die Praxis der Vermittlungstätigkeit vorbereitet.

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland könnten Erol und ihre Kommilitonen dann in Kommunalverwaltungen, Migrationsberatungen, anderen sozialen Einrichtungen sowie Moscheevereinen eingesetzt werden. Die Hamburgerin Reyyan Özen sieht ihre Aufgabe darin, „beim Dialog mitzuwirken“ und „Aufklärungsarbeit zu leisten“, wie sie sagt. Bedarf dazu sieht sie bei allen Seiten: „Es gibt Vorurteile gegen Muslime, aber auch gegen die Mehrheitsgesellschaft von den Migranten.“ Die deutschtürkischen Studenten sehen sich selbst als geborene Vermittler, weil sie von ihren Biographien her sowohl die deutsche als auch die islamische Seite verkörpern.

Was Erol, Özen und die anderen einhellig beklagen, ist eine Tendenz in Deutschland, den Islam „falsch darzustellen“, wie die Berlinerin Erol es formuliert. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sei die „Islamophobie aufgeblüht“.

Mit Beispielen dieses Misstrauens wurden alle Studenten in ihrer deutschen Heimat konfrontiert. Ibrahim Kocyigit aus Tauber-Bischofsheim etwa berichtet von den Missverständnissen, die bei vielen Deutschen mit Blick auf den islamischen Dschihad, den Heiligen Krieg, bestünden. Landläufig werde darunter Gewalt verstanden, doch dem Propheten Mohammed sei es um etwas Anderes gegangen: „Dass man mit den Menschen gut umgeht - das ist der eigentliche Dschihad.“

Wenn der neue Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich sagt, historisch gehöre der Islam nicht zu Deutschland, liefert er aus Sicht der jungen Islam-Vermittler in Istanbul ein weiteres Beispiel für die Aufgabe, die vor ihnen liegt. „Eine Diskussion dieser Art durch den Innenminister ist ein falsches Signal sowohl an die Muslime als auch an die Gesamtgesellschaft“, kommentiert Reyyan Özen die Äußerungen von Friedrich. „Sie stößt Muslime vor den Kopf, die sich tagtäglich um die Integration bemühen. Eine Integration, die scheinbar die Muslime einschließt und ihre Religion ausschließt, kann nicht funktionieren. Denn Integration ist das Gegenteil von Ausgrenzung.“

Abschrecken lassen sich die Studenten aber nicht. Viele von ihnen haben bereits Erfahrung mit der Wirklichkeit des Islam in Deutschland; etliche arbeiteten vor ihrem Umzug in die Türkei in ihrer deutschen Heimat in Moscheen. Deshalb ging der Impuls für den Zusatzkurs in Sachen Islam-Vermittlung ging auch von ihnen selbst aus. Inzwischen bemüht sich das Goethe-Institut um berufliche Anschlussperspektiven für die Vermittler in Deutschland und sucht nach Finanzierungsmöglichkeiten für eine Fortsetzung des Projekts über das laufende Jahr hinaus.

Einige Studenten berichten von ersten kleinen Erfolgen. Emine Erol nahm vor kurzem in Berlin an der so genannten Jungen Islam-Konferenz teil, bei der sich junge Muslime und Nicht-Muslime zusammensetzten. „Ziemlich erfolgreich“ sei das Projekt gewesen. „Wir hatten keine Probleme, offen zu reden, und dort, wo die Probleme sind, auch zu zeigen: ‚Hey, es geht eigentlich, man kann Lösungen finden.’“

Auch der Tauber-Bischofsheimer Kocyigit lässt sich von den erwarteten Schwierigkeiten beim Versuch, zwischen der deutschen Gesellschaft und den Islam zu vermitteln, nicht erschüttern. Natürlich sei er zuversichtlich, sagt er auf die Frage nach den Erfolgschancen seiner künftigen Arbeit in Deutschland. „Wenn ich nicht zuversichtlich wäre, dann würde ich doch da nicht hingehen, dann würde ich hier bleiben.“
(tagesspiegel, 18.03.2011 / von Thomas Seibert)


Redaktionell berarbeitet wird der Bereich von Dr. Ismail H. Yavuzcan. Yavuzcan ist Islamwissenschaftler und z.Z. Lehrer an einer Schule.

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