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Montag, 22.11.2010
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Seltsamer Fragebogen von Prof. Christian Pfeiffer (KFN) an SchülerInnen der 9. Klasse. Stellungnahme von Dr. Mohammed KhalloukDie Fragen sind größtenteils legitim, um Erkenntnisse über die Erfahrungen und Einstellungen von Jugendlichen zum Thema Gewalt, politischer Extremismus und zum Verhalten allgemein zu bekommen. Dass bei dieser Befragung nach Religion, Herkunft und Nationalität differenziert wird, ist prinzipiell angemessen, um bestimmte Einstellungs-, bzw. Erfahrungsmuster durch Korrelation mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe in Zusammenhang zu bringen. Die Einteilungen dieser Gruppen erscheinen jedoch z.T. fragwürdig und willkürlich.Indem in Fragepunkt (siehe Fragebogen im unteren Link) 3, betreffend die Vereinszugehörigkeit, „Moscheeverein“ als extra Rubrik geführt wird neben u.a. der Rubrik „kirchliche oder andere religiöse Gruppe“ wird den Befragten indirekt die unzutreffende Aussage vermittelt, die Moscheevereine seien außerhalb des religiösen Bereichs angesiedelt, woraus folgte, der Islam sei keine Religion. Bei der nichtdeutschen Nationalität/Herkunft wird durch die Rubrik „andere“ zwar prinzipiell jegliche Nationalität/Herkunft mit einbezogen, die extra Auflistung bestimmter Nationalitäten (ehemals sowjetisch bzw. russisch, ehemals jugoslawisch bzw. albanisch, türkisch, libanesisch und palästinensisch) suggeriert man bereits im Vorhinein, dass in jenen Gruppen die in den Fragen thematisierten Probleme häufiger auftreten als in anderen. Somit dürfte es nicht wundern, wenn jene Nationalitäten im Ergebnis des Fragepunktes 76, wo Deutsche um die nationale Zuordnung der Ausländer, die sie mit den zuvor genannten Problemen assoziierten, befragt werden, überproportional häufig genannt werden. Erstaunlich erscheint schließlich auch, dass in Fragepunkt 77, betreffend die Einstellung zu Ausländern als Nachbarn, erheblich mehr Nationalitäten aufgeführt sind als in den an deutsche wie nichtdeutsche Jugendliche gerichteten Fragepunkten zuvor. Palästinenser und Libanesen fehlen jedoch als Einzelgruppen, während stattdessen die Allgemeinbezeichnung „Araber“ aufgeführt ist. Hierdurch bekommt man den Eindruck vermittelt, bestimmte Probleme/Verhaltensweisen träten zwar bei Palästinensern und Libanesen überproportional häufig auf, ein daraus erwachsenes Ressentiment seitens der Deutschen würde aber undifferenziert „Arabern“ zugeschrieben. Suggestiv erscheint zudem der Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft gestellte Fragepunkt 78, denn er legt nahe, dass Kurden zumindest in der Selbstwahrnehmung bestimmte Probleme/Erfahrungen in besonderem Maße beträfen. Dieser Eindruck verstärkt sich angesichts der Tatsache, dass nach anderen Ethnien hier nicht gesondert gefragt wird und einige ethnisch und sprachlich-kulturell sehr heterogene Bevölkerungsgruppen (z.B. ehemalige Jugoslawen bzw. Albaner) in einer Rubrik zusammengefasst werden. Ist etwa der Erfahrungsunterschied zwischen Kurden und Türken notwendigerweise größer als zwischen Kroaten und Serben? Unglücklich gewählt ist schließlich auch Fragepunkt 39, in dem sowohl über die Schulnoten in bestimmten Fächern als auch über das Geschlecht der jeweiligen Lehrkraft gefragt wird. Hierbei wird von vorn herein ein potentieller Kausalzusammenhang zwischen diesen beiden Parametern unterstellt, wofür es aber keinen wissenschaftlichen Beleg gibt. Unter Fragepunkt 83, betreffend die Einstellung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu Deutschland, über die Stellung des Mannes in der Familie zu fragen, scheint nicht nur thematisch ungeeignet, sondern suggeriert zudem, dass ein mögliches Fremdgefühl im Aufnahmeland aus einem patriarchalischen Geschlechterrollenverständnis herrühre. Auffällig ist schließlich, dass die Fragepunkte ab 74, die eigentlich Ausländern gelten sollten (ab Seite 30), an Deutsche gerichtet sind und jene, die eigentlich alteingesessen Deutschen gelten sollten (ab Seite 34), an Jugendliche mit Migrationshintergrund gerichtet sind. Dies mag ein Versehen sein, unterminiert aber bei einer Befragung den wissenschaftlichen Anspruch und schadet dem Ansehen der KFN. Die Fragepunkte zur Befragung selbst (bei alteingesessenen deutschen Jugendlichen 84-86 und bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund 92-94) besitzen als Evaluation grundsätzlich Berechtigung, ob Schüler der 9. Klasse diese ehrlich und aussagekräftig zu beantworten bereit und in der Lage sind, scheint allerdings zweifelhaft. Resümierend handelt es sich um einen umfangreichen, aktuelle soziologische Themen betreffenden Fragebogen, der durch einige willkürlich erscheinende Voreinteilungen der befragten Gruppen und thematische Zuordnungen einzelner Fragen aber an einem objektiven, verwertbare wissenschaftliche Erkenntnis bringenden Ergebnis Zweifel aufkommen lässt. Der Autor ist Deutsch-Marokkaner, habilitiert zur Zeit an der Bundeswehruniversität München über das Thema Juden in Marokko, arbeitet an der Universität Marburg und ist ZMD-Beauftragter für Wissenschaftliche Expertisen Lesen Sie dazu auch:
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