Newsnational Freitag, 21.10.2011 |  Drucken

Tunesien: Wahlen im „Mutterland des Arabischen Frühlings“

Wer hat ein Interesse das Schreckensgespenst des radikalen Islam zu malen und warum? Nach dem Tod von Gaddafi ist die Aufarbeitung aller Gräuel gefragt, auch die Rolle mach ökonomischer Flirts westlicher Staaten mit diesen Mächten

Während bei dem Bürger und beim Volk muslimische Gruppen und Parteien eine immer größerer Beliebtheit bei den anstehenden Wahlen erfahren, werden Teile westlicher Institutionen (Think Tanks oder auch Medien) und im Land befindliche Laizisten nicht müde, die Angst vor einem radikalen Islam zu zeichen.

Eine Taktik, die jahrelang erfolgreich von den arabischen Diktatoren angewandt wurde, um an die Macht zu bleiben und die vom Westen viel zu lange stillschweigend geduldet wurde.

Im Schatten des Kampfes gegen einen angeblichen Terror, konnten so die Despoten systematisch Menschenrechte, Religionsfreiheit und der demokratische Wille der Völker unterdrücken.

Neben der Aufarbeitung dieser Gräuel, wird es auch Zeit den Teil der Geschichte, wo manch demokratischer Staat den ökomoschen Flirt mit diesen Mächten antrat, aufzuarbeiten (siehe auch Artikel über die Studie von Amnesty, die Rüstungslieferungen nach Ägypten, Bahrain, Jemen, Libyen und Syrien untersuchte). In Libyen, nach dem Tod von Diktator Gaddafi, ist jetzt der Zeitpunkt dafür gekommen.

Hier nun ein Kommentar von Abderrahim Bouzaidi aktuell zu den bevorstehenden Wahlen in Tunesien an diesem Wochenende:

Laizisten schüchtern die Bürger ein: Wählt keine Religiösen

Seit dem Beginn des Jahres 2011 erweckt die arabische Welt durch die sozialen Revolutionen ein hohes Interesse bei der Berichterstattung der Medien. Der sog. arabische Frühling stürzte bis jetzt drei autoritäre Regimes – und die Liste ist noch offen. Nach dem Start des Demokratisierungsprozesses in Tunesien, wird die alte und neue tunesisch islamisch orientierte Renaissance-Partei ins Visier genommen. Sie hat die islamische Bewegung im politischen Geschehen seit Anfang der 80er Jahre ausgeprägt. Neben anderen kleinen Gruppierungen war sie die stärkste und populärste in der islamischen Szene Tunesiens gewesen.

Im Zuge des Agierens der Islampolitik Tunesiens stellte die tunesische Renaissance-Partei zum ersten Mal im Juni 1981 den Antrag zur Teilhabe an dem politischen Geschehen Tunesiens. Dennoch wurde dieser Antrag abgelehnt. Seitdem wird diese Partei und ihre Anhänger gehindert, an der politischen Gesellschaft teilzuhaben. Als der Ex-Präsident Zin El Abidin Ben Ali im Jahre 1987 an die Macht kam, wurden sie verfolgt und beschuldigt, dass sie sein Regime stürzen wollten. Viele von denen flüchteten ins Exil, u.a. der Vorsitzende dieser Partei Rashid Ghannouchi. Er verließ Tunesien im Jahre 1988 ins britische Exil. Nach der 14. Dez. 2010 Revolution, die ein Monat danach zum Wegfall des despotischen Präsidenten Ben-Ali führte, kehrte Ghannouchi aus dem Exil zurück in seine Heimat und beantragte wiederum die Genehmigung, die Partei zu zulassen. Dies wurde neben der Gründung vieler anderer Parteien Anfang März 2011 bewilligt. Gleichwohl verfolgten die Revolten ihre Bestimmungen mit dem Ende des Ben Ali Regimes. Genau am 09.03.11 beschloss das Amtsgericht die Auflösung der „Demokratisch-konstitutionalistischen Versammlungspartei“ und es gingen im Innenministerium zahlreiche Anträge ein, mit dem Zweck, eine Genehmigung für die Gründung neuer Parteien zu erhalten. Eine davon ist die alte und wieder neue Renaissance-Partei. Sein Vorsitzender will versuchen, nochmals eine rege Partizipation für seine Partei zu schaffen.

Aufgrund der neuen Situation und im Rahmen dieses Umbruchs, den das Land Tunesien erlebt, wurde über die Bildung und Funktion eines Nationalrates diskutiert. Diese heftige Auseinandersetzung wurde von den Akteuren des politischen Geschehens der im März gegründeten Körperschaft zum Schutz der Revolution geführt. Umstritten war ebenfalls der Zeitraum der Wahlen dieses Nationalrates, bis das Datum am 23. Oktober 2011 festgelegt wurde, mit der Beteiligung von 150 Wahllisten und 11000 Kandidaten aus einem Spektrum von Parteien und Unabhängigen. Nun wird von den Laizisten und Liberalen befürchtet, dass die Renaissance-Partei wahrscheinlich gute Chancen hat, die Wahlen zu gewinnen.

Angesichts dieser politischen Bewegung, welche das Land zur Gründung und Etablierung von demokratisch- und konstitutionellen Institutionen durch diesen Nationalrat führen könnte, wird von vielen Richtungen versucht, die populäre Ausdehnung der Renaissance-Partei oder auch anderer islamisch orientierten Bewegungen zu verhindern, sei es von Innen oder auch von Außen. Insbesondere von Frankreich. Obwohl die führenden Mitglieder dieser Partei durch Reisen im In- und Ausland versucht haben, sich als gemäßigte und moderne Partei zu zeigen, bleiben jedoch die Befürchtungen bestehen. Während dieser Wahlkampagne wird ungeachtet der tunesischen Identität von einigen Medieneinrichtungen und auch im Internet eine Mobilisierung gegen derartige Parteien geführt, um die Bürger vor den Konsequenzen der Wahl dieser Parteien einzuschüchtern.

Zum Autor:Der Gebürtiger Marokkaner Abderrahim Bouzaidi lebt seit 2000 wegen Studium in Deutschland und verfasst momentan seine Doktorarbeit im Münster zum Thema: "Das Phänomen der islamisch-politischen Parteien und ihre Rolle für den Demokratisierungsprozess in den Maghreb-Staaten, Analyse und Vergleich"



Lesen Sie dazu auch:
Westliche Waffen und Munition gegen friedliche Demonstranten in der arabischen Welt?

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