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Sonntag, 18.04.2010 | Drucken |
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„Ein interreligiöser Scherbehaufen“
Der bekannte jüdische Historiker Michael Wolffsohn zu fünf Jahre deutscher Papst - Besonderer Blick auf sein Verhältnis zu Judentum und Islam
"Wir sind Papst", jubelte die Nation vor fünf Jahren. Bei seinem Deutschlandbesuch lag sie ihm zu Füßen. "Zum Teufel mit dem Papst", flucht Joseph Ratzingers Heimatland heute. Eigentlich spräche das für Benedikt XVI. Erinnert dieses Wechselbad der Gefühle nicht an das Neue Testament? Erst "Hosianna!", dann "Kreuziget ihn!"
Wohlfeil sind heute die Anti-Benedikt-Bekenntnisse. Gerade wer die Kenntnisse und das Wissen dieses Papstes kennt und schätzt, wird - unabhängig von der laufenden Missbrauchs- und Bloß-nicht-Benedikt-Konjunktur - umso enttäuschter von ihm sein. Als Jude richte ich meinen Blick besonders auf sein Verhältnis zu Judentum und Islam.
Benedikt XVI. ist der intellektuell und besonders theologisch bedeutendste Papst seit langem. Dieses gottgegebene Reservoir sowie die persönlich erworbenen religiösen Potenzen hat er nicht genutzt. Wie kein zweiter hätte der deutsche Papst zu Judentum und Islam Brücken schlagen können - und müssen. Stattdessen: Ein interreligiöser Scherbenhaufen.
Manche sagen, bei seinem Auschwitzbesuch, im Mai 2006, hätte Papst Benedikt erstmals jüdische Gefühle tief verletzt: Die Deutschen seien, so Benedikt, von den Nationalsozialisten verführt und verblendet worden. Das sei, so die Papstkritik, die Verwandlung deutscher Täter in Opfer. Nach fast allem, was Benedikt judentheologisch jenem Besuch folgen ließ, klingt diese Kritik plausibel. Vom Blickwinkel des Jahres 2006 aus sind jedoch Zweifel angebracht an dieser Interpretation.
Bis zu seinem Besuch im Vernichtungslager hatte sich Ratzinger als katholisch-jüdischer Brückenbauer hervorgetan. Was Benedikt in Auschwitz sagen wollte, war dies: Gottlosigkeit - und die Nationalsozialisten waren Gottlose - führe zu Gewalt und Menschenverachtung und also zu Menschenmord. Gottesfurcht bedeute dagegen auch Ehrfurcht vor Menschenleben.
Genau hier wird das Problem des Papstes erkennbar: Immer wieder fragt man sich: "Was hat er gemeint?" Seinen Analysen und Aussagen fehlt die Präzision, und seine Beispiele sagen meistens das Gegenteil des Gemeinten. Er selbst provoziert die Missverständnisse, indem er so verquast formuliert wie der sprichwörtliche deutsche Professor - der er bis 1977 auch war, bevor er Erzbischof, dann Kardinal und Papst wurde. (…)
Mindestens so missverständlich war dann die Regensburger Rede des Papstes am 12. September 2006: Zur Rolle der Gewalt bei der Verbreitung der Religion und als Kritiker des Islam zitierte er ausgerechnet einen byzantinischen, also christlichen Kaiser, den kaum jemand kannte. Ein Christ als Kronzeuge zu diesem Thema: absurd.
Ein byzantinischer Christ: noch absurder, denn die byzantinischen Kaiser verkörperten noch weniger als die Katholische Kirche die Gewaltlosigkeit. Wollte Benedikt über den Kaiser Manuel II. eine Brücke zur orthodoxen Christenheit schlagen? Dagegen ist nichts zu sagen - doch nicht mit diesem Zitat, zu diesem Thema, in dieser Zeit.
Es kam, wie es kommen musste: Die islamische Welt war mehrheitlich empört. Dabei hatte es Benedikt gut gemeint - unterstellen wir das einmal. Und doch so schlecht gemacht.
Ein Papst seines theologischen Kalibers hätte zum Thema "Gewalt im Islam" den Begriff des Heiligen Krieges in vergleichender christlich-muslimischer und auch jüdischer Sicht aufgreifen und ebenso gelehrt wie verständnisvoll islamistische Fundamentalisten darauf hinweisen können, dass sie mit Selbstmordattentaten an den Fundamenten des Islam rütteln.
Er hätte ergänzen können, dass Juden und Christen im Koran nicht als "Ungläubige" gelten, sondern Schutz genießen. Er hätte fragen können, ob "Jihad" tatsächlich Krieg oder, wie von Islam-Apologeten behauptet, "große geistige Anstrengung" bedeutet. "Lassen Sie uns das gemeinsam klären", hätte er sagen können, um hinzuzufügen: "Ebenso sind wir Christen bereit, selbstkritisch zu fragen, ob die Kirche stets die jesuanische Friedensbotschaft der Bergpredigt befolgt hat." Benedikt hätte, hätte, hätte. Er hat nicht. Er hat meistens gesprochen, ohne die Folgen zu bedenken, und sich anschließend zum Reparateur seiner selbst gemacht. (…)
Danach hat Benedikt viele Juden direkt provoziert. Anfang 2008 formulierte er persönlich für die Lateinische Messe eine neue Fassung der Juden-Fürbitte im Karfreitagsgebet: Die Juden sollten Jesus als ihren Heiland anerkennen, so wird nun wieder - auf Latein - gebetet, nachdem die Kirche in den Landessprachen von diesem Wunsch Abstand genommen hatte. Wieder fühlte er sich missverstanden. Wieder hatte er - unterstellen wir - alles gut gemeint und, ja, den traditionellen Text entschärft. Doch nicht allein der Text war die Provokation, das Thema war es. Muss der Papst, müssen die Katholiken, für die Juden bitten, weil sie eben nicht an Jesus als Christus glauben? Das dürfen sich die Juden verbitten, wenn ihnen der Papst auf Augenhöhe begegnen will. (…)
Mit freundlicher Genehmigung des Autors Michael Wolffsohn; Der Historiker zählt zu den führenden jüdischen Intellektuellen in Deutschland. Erstveröffentlichung am 16. April in der WELT vollständig nachzulesen.
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