Newsnational Dienstag, 26.11.2019 |  Drucken

Der Islam ist weder konservativ noch liberal

Vorsitzender des ZMD Aiman Mazyek über die gegenwärtige Islamdebatte in Deutschland und den so genannten politischen Islam

Der AfD-Abgeordneter Albrecht Glaser behauptet, der Islam sei „keine Religion“, sondern eine „politische Ideologie“, weswegen Muslime keine Religionsfreiheit beanspruchen dürfen. Dieses Argumentationsmuster ist nicht nur islamfeindlich, sondern ebenso mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Viele sogenannte Islamkritiker folgen diesem abenteuerlichen Ansatz und diskreditieren damit 1,6 Mill. Muslime weltweit, eine 1.400 Jahre alte Weltreligion, die große Zivilisationen hervorgebracht hat und deren friedliche Kernbotschaft und Praxis, die unbestreitbar und unübersehbar ist.

Die Light-Version dieses Ansatzes, ist die folgende Formulierung: Islam ja, nicht aber der politische Islam. Was immer sich hinter diesem Begriff Politischer Islam“ verbirgt, er bleibt ebenso äußerst vage. Das ist auch Programm, denn so bleibt es in der Interpretationshoheit desjenigen, der dies ohne Beweiskraft und Herleitung behauptet. Und vom politischen Islam ist dann nicht mehr weit zum Begriff Konservativer Islam, der dann – um noch einen weiteren und äußerst vagen, inzwischen sehr strapazierten und unterschiedlich genutzten Begriff, Islamismus, einzuführen. Der Einstieg zum Politischen Islam geht also angeblich über den Weg des sogenannten konservativen Islam, der wiederum ist sozusagen die Scharniere zum Islamismus. Der Diskurs über den Islam – selten ein Diskurs mit Muslimen – ist also stark behaftet von politischen Zuschreibungen, die längst Bodenhaftung verloren haben und längst realpolitischen Gegebenheiten und Entwicklungen nicht im Ansatz wiedergeben. Oder anders ausgedrückt, dass Geschäft der Politisierung meiner Religion ist längst nicht mehr alleine das Geschäft der muslimischen Fundamentalisten und Fanatiker, sondern der Islamkritiker und Religionsskeptiker.

Meine, unserer Haltung als Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) ist dabei klar und sie bestimmt stets die Agenda unseres Handels, denen wir uns als Mitglieder, als Moscheen und als Religionsgemeinschaft verpflichtet sehen: Einsatz für das Wohl unseres Landes, den Erhalt unserer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit (was derzeit leider gar nicht mehr so selbstverständlich bei gesehen wird)  und für den Frieden und Zusammenhalt unserer Gesellschaft im Sinne des Leitspruches „Lokal handeln und global denken“. Wer das verfolgt, der ist stets bei uns willkommen. Wer jedoch sich dem Islam in Form von Ideologie nähert, sei es sektiererisch, sei es nationalistisch, sei es als Hizbel-Tahrir, Muslimbruderschaft oder sonst für eine Gruppe und Bewegung, wird bei uns keine Heimat finden. Das ist und war bekannterweise unsere Linie. Das Bekenntnis zu den demokratischen Grundprinzipien, zum staatlichen Gewaltmonopol und zur rechtsstaatlichen Ordnung gehört ebenso zum Selbstverständnis und DNA. All das würde wohl in unaufgeregten Zeiten und ohne Kontext Islam als dezidiert konservativ gelten und auch so durchgehen. Nicht aber beim Thema Islam, da lassen wir offenkundig nicht alle » Fünf gerade sein.«, und weil das so ist, sind alle Zuschreibungen derzeit für mich unanwendbar.

Bei den muslimischen Extremisten, Inquisitoren (Takfiris) gibt es übrigens, wie in allen Religionen gut zu beobachten ist, ebenso den Hang Gott zu spielen. Demnach katalogisieren sie die eigenen Muslime in gute weniger gute, in schlechte oder gar abtrünnige Muslime. Die Inquisition ist erschreckendes Beispiel, wohin das führt. Meine Haltung: Gott alleine entscheidet und kein Weltgericht, weder das von Fundamentalisten noch von Freigeistern, weder das von den sogenannten Konservativen noch von sogenannten Liberalen. Denn das ist der Moment der politische Einordung, und damit Politisierung meiner Religion, und damit für mich hinfällig. Gott sei Dank ist der Islam in seiner Religion, seiner Interpretationen und Lebensweisen plural und sehr vielfältig und das ist auch gut so, oder wie es der Prophet gesagt hat, die Vielfalt ist Ausdruck der „Barmherzigkeit“. Inquisition verurteile ich in allen Spielarten, sie ist die Pest. Jeder, der sich als Muslim bekennt und danach versucht zu handeln ist einer. Ich maße mir nicht an zu beurteilen, ob der- oder diejenige ein sogenannter konservativer, ein liberaler, ein strenggläubiger Muslim oder kein strenggläubige ist. Er oder sie ist für mich Muslimin, wenn sie sich dazu bekennt. Ich kann doch nicht in ihr Inneres sehen. Nur Gott kann dies und die Betreffende selber bisweilen.

Es ist interessant zu sehen, wie sich aus dieser Haltung heraus bestimmte Kreise - nicht die nur die Fundamentalisten übrigens - wie aufgeschreckte Hühner wehren, wenn man „den“ Islam nicht im politische Schubladen zu pressen gedenkt. Als hätte man einem Kind das Lieblingsspielzeug weggenommen, versuchten sie krampfhaft Einteilungen, damit machtpolitische Deutungshoheit zu verteidigen. Der Islam steht für Barmherzigkeit, Liebe, Frieden, für Gerechtigkeit, für den Zusammenhalt aller Menschen. Es gibt Islam und VIELE Muslime. Es gibt aber ganz bestimmt keinen konservativen Islam, so wie es keinen liberalen Islam gibt.

Autor: Aiman Mazyek

Erstveröffentlichung: Michael Kühnlein ,,konservativ?!" Dunker&Humblot Verlag
Berlin 2019, Broschur
ISBN: 978-3-428-15750-1, 24.90 Euro



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