Wer A sagt muss auch B sagen Dienstag, 27.09.2016 |  Drucken

Wer A sagt muss auch B sagen

Im Kampf gegen Extremismus wird den Muslimen eine Schlüsselpostion zugeteilt - Dennoch erfahren sie staatliche und gesellschaftliche Unterstützung kaum - Thesenpapier zur Präventionsarbeit von Prof. Dr. Mohammed Khallouk

Die Prävention gegen Radikalisierung stellt für muslimische Gemeinden und Islamverbände ein geeignetes Aufgabenfeld dar, um einerseits den selbstauferlegten Auftrag des Jugendschutzes nachzukommen und andererseits ein modernes Islamverständnis nach außen zu vertreten.
Allerdings bedeutet sie eine Gratwanderung. Um Fördermittel hierfür zu erlangen, sind die Verbände zur Kooperation mit staatlichen Behörden verpflichtet, was sie einer deutlichen internen Kritik aussetzt, weil nicht selten man so  Gegenstand der Verfassungsschutzberichte wird, die in der Öffentlichkeit in der Regel als Vorverurteilung gewertet wird und dem ohnehin latent vorhandenen Extremismusvorbehalt gegenüber Muslime weiter Vorschub leistet.

Von Seiten islamfeindlicher Agitatoren dient ihr Engagement im Bereich Prävention zugleich deren gegen die Verbände gerichteter Propaganda, die ihnen unterstellt, hiermit von der „eigenen Radikalität“ abzulenken oder gar einen Weg gefunden zu haben, mit staatlichen Finanzmitteln Radikalität zu fördern.

Mit der zunehmenden Aufnahme von Islamverbänden in die staatlichen Präventionsförderungsprogramme demonstriert die Politik, dass sie deren Potential, muslimische Jugendliche tatsächlich von radikalem, der Gesamtgesellschaft wie ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung schadendem Gedankengut abzuhalten, mehr und mehr erkannt hat.

Die Aufnahme in staatliche Förderprogramme stellt für Islamverbände zudem ein Zeichen der öffentlichen Anerkennung ihrer Bildungsarbeit dar, die bereits seit Jahren einen entscheidenden – wenn auch nicht als solchen deklarierten – Beitrag zur Radikalisierungsprävention leistet. Es gilt, sich von den öffentlichen Widerständen von der Fortsetzung dieser zentralen Aufgabe im Sinne des gesellschaftlichen Friedens nicht abhalten zu lassen. Dauerhaft erfolgreiche Präventionsarbeit gelingt nur, wenn Staat und muslimische Verbände dabei miteinander kooperieren, sich gegenseitig ergänzen und beidseitig voneinander profitieren.

Damit die muslimischen Präventionsträger in die Lage versetzt werden, sich gegen diese Angriffe von zwei Seiten angemessen zur Wehr zu setzen und ihre Präventionsarbeit langfristige Erfolge hervorbringen kann, gilt es von Seiten der Politik ein geeignetes Umfeld zu schaffen. Die zentralen Forderungen an die Politik für eine erfolgreiche Präventionsarbeit sind hier in acht Punkten zusammengefasst.


1. Eine erfolgreiche Präventionsarbeit gegen Radikalisierung sollte über sowohl sozialpädagogische als auch islamtheologische Intervention erfolgen. In der Kombination können Islamische Verbände einen erheblichen Beitrag leisten.
Die unbefriedigenden Ergebnisse anderer in der Prävention engagierter Institutionen sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Präventionsarbeit dort nur von einer Ebene (gewöhnlich nur der sozialpädagogischen) aus durchgeführt wird.
Es fehlt die theologische Auseinandersetzung mit den Inhalten der radikalen, als attraktiv empfundenen Ideologie. Eine Aussparung der sozialpädagogischen Intervention gestaltet Präventionsarbeit aber ebenso unvollständig, da dies den Fehlschluss nahelegte, ausschließlich das Islamverständnis sei für die Radikalisierung von Muslimen verantwortlich.

2. Gleichzeitig braucht es – dringender denn je – professionale Angebote muslimischer Jugendarbeit. Der im Rahmen der DIK angestoßene Prozess zur Implementierung Islamischer Wohlfahrtspflege muss intensiviert und beschleunigt werden. Wenn die Jugendlichen in der Mitwirkung an wohlfahrtspflegerisch gestalteter muslimischer Gemeindearbeit gesellschaftliche Anerkennung erfahren, sinkt ihre Motivation, sich Ersatzidentität in der radikalen Ideologie der Neosalafisten zu suchen.

3. Prävention darf sich nicht auf geförderte Pilotprojekte beschränken, sondern ist von der Politik als gesellschaftliche Daueraufgabe zu begreifen. Es besteht die Notwendigkeit zur Einrichtung einer „Clearingsstelle“ der muslimischen Träger von Präventionsmaßnahmen, um die von der Politik angestrebte nationale Präventionsstrategie zu unterstützen und bewährte Präventionskonzepte zu transferieren.
 
4. Bei der Förderung sollten Islamverbände mit Bezug zur muslimischen Basis Vorrang besitzen. Ihre Authentizität, Zugangsmöglichkeiten und eine Reihe von Zusatzqualifikationen bleiben unabdingbar. Es gilt den Verantwortlichen in den muslimischen Gemeinden, die theologisch und seelsorgerisch ohnehin schon gewisse Kompetenzen besitzen, die Möglichkeit zu gewähren, ihre Kompetenzen auf die sozialarbeiterische, erzieherische Ebene auszuweiten, um so allumfassende Präventionsarbeit anzubieten.
 
5. Die Politik sollte sich zu ihrer Unterstützung der Präventionsarbeit von Islamverbänden öffentlich und medienwirksam bekennen. Dies würde den Stigmatisierungsversuchen gegenüber den muslimischen Trägern von Präventionsmaßnahmen die Resonanz entziehen und erheblich gegen Islamfeindlichkeit wirken. Auch sollte ein politischer Konsens gefunden werden, um die Instrumentalisierung dieses Themas für Wahlkampfzwecke zu verhindern.
 
6. Eine erfolgreiche Präventionsarbeit gegen Radikalisierung ist primär zivilgesellschaftlich ausgerichtet. Sicherheitspolitische Aspekte können eine Rolle spielen und denen wird durch entsprechende Kooperationen mit freien Trägern Rechnung getragen. Eine „Versicherheitlichung“ der Präventionsarbeit ist jedoch nicht erstrebenswert und tangiert die spezifischen Lösungsstrategien freier Träger nicht. Sie erreicht auch schwerer die Zielgruppe, deren Misstrauen in staatliche Sicherheitsorgane nicht zuletzt eine Ursache für ihre Radikalisierungstendenz darstellt.
 
7. Eine sachliche und sachdienliche Medienberichterstattung ist vonnöten. Rundfunkräte und andere Medien-Kontrollinstanzen sind aufgefordert, entschiedener gegen islamfeindliche Berichterstattung und Kolportage vorzugehen. Die Partizipationsrechte muslimischer Zivilgesellschaft müssen hier stärker berücksichtigt werden. Erfolgreiche Präventionsarbeit muslimischer Verbände ist nur zu erwarten, wenn ihr die entsprechende Resonanz in der Öffentlichkeit zuteil wird.
 
8. Erfolgreiche Prävention geht mit Aufklärungsarbeit im allgemeinen Bildungswesen einher und wird als eine ganzheitliche Querschnittsaufgabe verstanden, die unterschiedliche gesellschaftliche Handlungsfelder einbindet. Dies betrifft gesellschaftliche Verantwortungsträger für die verschiedensten Altersgruppen, fängt bereits in Kita und Vorschule an und hört im beruflichen Bildungswesen noch längst nicht auf.
(Prof. Mohammed Khallouk, Politologe und Islamwissenschaftler)



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