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Samstag, 31.08.2013 | Drucken |
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Mubarakismus ist auch ohne Mubarak ein Stabilitätsrisiko - Von Mohammed Khallouk
Wenn der sogenannte „Arabische Frühling“ überhaupt etwas bewirkt hat, so ist dies zweifellos das Bewusstsein westlicher Eliten, dass diktatorische Unterdrückung weder in der Civil Society verankerten islamistischen Bewegungen noch in restaurative Dikataturen Stabilität im arabischen Raum schafft
Der Abtritt Mubaraks im Frühjahr 2011 schien von Ägypten aus das Signal in die Welt hinaus zu senden, das Bestreben und der Anspruch zu politischer Freiheit und demokratischer Willensbildung habe mittlerweile auch die arabischen Staaten erfasst und ausgehend vom Nil werde sich die arabische Gesellschaft in Kürze jeglicher autoritären Obrigkeitssysteme ihrer Region entledigen. Die militärische Absetzung des hernach erstmals demokratisch gewählten, allerdings des islamistischen (Der Begriff Islamismus wird zu einem späteren Zeitpunkt an dieser Stelle eingehend untersucht und aufbereitet. Anm. der Redaktion) Lagers entstammenden Präsidenten Muhammad Mursi nach nur einjähriger Amtsführung und mehr noch das aktuell unter demonstrierenden Sympathisanten des gestürzten Staatschefs angerichtete Blutbad belehren jedoch eines Besseren. Die ägyptischen Volksmassen besitzen zwar durchaus Courage und Ausdauer, einen verhassten Langzeitherrscher zum Aufgeben zu drängen, gegenwärtig verfügen jedoch weder Eliten noch Civil Society majoritär über Bewusstsein und Reife für die Beachtung demokratischer Spielregeln. Mit der gewaltsamen Niederschlagung der jüngsten Proteste kehrt der Mubarakismus nun ohne Mubarak, diesmal aber ins demokratische Verbalkorsett gepresst, zurück.
Da Islamisten generell mit demokratischen Idealen nichts gemein hätten, so die Lesart der Militärführung und ihrer zivilen Unterstützer, seien auch Gewalt und autoritäre Methoden zu ihrer Entfernung von politischer Verantwortung legitim. Mit der Argumentation, Islamisten behinderten eine politökonomische Fortschrittsentwicklung, rechtfertigte bereits Mubarak seine Inkriminierung und Repression von Mursis Muslimbrüdern, die offenbar von Militär und Sicherheitsdiensten angeordnet war. Gerade hieraus zogen jene Muslimbrüder nach dem Ende der Ära Mubarak ihre Aura der „Unbescholtenen“, die ihnen die wahlentscheidende Popularität verlieh. Die Bereitschaft der gemäßigten Islamisten, sich pluralistischen Wahlen mit Gegenkandidaten anderer politischer Ausrichtung zu stellen, brachte auch manchen, ihnen gegenüber grundsätzlich skeptisch eingestellten Westler zu der Erkenntnis, dass eine Demokratisierung des Landes nur unter Beteiligung, nicht aber gegen die Islamisten zu erreichen ist.
In der ägyptischen Militärführung und großen Teilen der Ministerialbürokratie bestand jedoch an Demokratisierung von Anfang an geringes Interesse. Offenbar hatten sie nur die einhellige Parteinahme der lange Zeit Mubarak gegenüber gewogenen westlichen Auslandspresse für die zivilen Proteste gegen ihn und den anschließenden Elektionsprozess davon abgehalten, sich diesem Streben nach Erneuerung der politischen Kultur öffentlich entgegen zu stellen. Es galt, die neuen zivilen Repräsentanten so weit wie möglich in ihrem Aktionsradius einzuengen und anschließend den Augenblick ihres zu erwartenden Popularitätsverlustes in In- und Ausland für die Wiederherstellung der bisherigen Machstrukturen zur Absicherung bedrohter Privilegien zu nutzen.
Griff man bereits mit der gewaltsamen Absetzung eines gewählten Staatschefs erkennbar auf stalinistische Methoden zurück, vermochte man bei der prowestlich gesinnten Elite des Landes in der Tat auf Beifall zu treffen. Auch im euroamerikanischen Ausland wurde eine öffentliche Verurteilung des Vorgehens seiner Zeit vermieden, erachtete man das ägyptische Militär doch bereits während der Ära Mubaraks als „Garanten von Stabilität“ im Nahen Osten. Diese „Stabilität“ mit diplomatischem Druck und konsequenterweise folgenden ökonomischen Sanktionen aufs Spiel zu setzen, erschien zu riskant. Das Blutbad der vergangenen Tage, das mit der erneuten Gewalt gegen friedliche Demonstranten nach den Freitagsgebeten einen weiteren Höhepunkt erreicht hat, müsste in den westlichen Führungsetagen jedoch mittlerweile die Erkenntnis zutage gefördert haben, dass das System des Mubarakismus und jegliche dieses stützenden Militärs – mit und auch ohne Mubarak – selbst das größte Risiko für Stabilität darstellen.
Wenn der sogenannte „Arabische Frühling“ überhaupt etwas bewirkt hat, so ist dies zweifellos das Bewusstsein westlicher Eliten, dass diktatorische Unterdrückung der in der Civil Society verankerten islamistischen Bewegungen weder Stabilität im arabischen Raum schafft noch den Islamismus dort verringert oder gar beseitigt. Dieser radikalisiert sich lediglich und richtet sich nun erst recht auch gegen den Westen, der mit Unterstützung der ungerecht und inhuman erfahrenen militärisch getragenen eigenen Machtsysteme assoziiert wird. Sollten Amerikaner und Europäer ihre bisherige diplomatische Zurückhaltung und teilweise sogar offene Sympathie mit den sich „demokratisch“ einkleidenden Putschisten in Kairo beibehalten, werden sie in absehbarer Zeit genau jene Radikalisierung der ägyptischen Islamisten erreichen. Eine kollektive Verurteilung mit der umgehenden Durchsetzung wirkungsvoller Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die jüngsten Massaker, die bereits Gegengewalt nach sich ziehen, vermag jedoch auch die tendenziell säkularistisch gesinnten Ägypter davon zu überzeugen, dass weniger die Islamisten als mehr die permanenten und zuletzt extrem brutalen Interventionen des Militärs in den zivilen staatlichen Alltag für den Eintritt der Arabischen Welt in die gesellschaftspolitische Moderne als Hindernis im Weg stehen.
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