Newsnational Donnerstag, 22.12.2011 |  Drucken

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Islam als Unterrichtsfach

Als erstes Bundesland überhaupt wird NRW islamischen Religionsunterricht anbieten – nach über 20 Jahren Dauerkonflikt ist ein Ende des politischen Streites in Sicht

Als erstes Bundesland führt Nordrhein-Westfalen zum kommenden Schuljahr schrittweise islamischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach ein. Die Regierungsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit der oppositionellen CDU beschlossen im Düsseldorfer Landtag gestern eine entsprechende Ergänzung des Schulgesetzes. Die FDP enthielt sich, die Linken stimmten dagegen. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, die Einführung des bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts sei ein wichtiges Zeichen für mehr Integration und Teilhabe der Muslime.

Jahrzehnte lange Konflikte und Hinhaltetaktiken gingen voraus. Immer wieder haben die islamischen Religionsgemeinschaften auf die Umsetzung gepocht und sind, wie z.B. der Zentralrat der Muslime, durch die Entwicklung von Lehrplänen in Vorleistung getreten und haben sich so trotz allem immer gesprächsbereit gezeigt.

Nun doch ein Durchbruch. Auch weil die muslimischen Vertreter in ihren Anstrengungen nie nachließen, eines Tages für die etwa 320.000 muslimischen Schüler in NRW ihre Religion den Islam als reguläres Unterrichtsfach zu etablieren.Die Muslime wollten ursprünglich, so wie dies für die anderen Religionsgemeinschaften der Fall ist, den Unterricht über den Artikel 7.3 des Grundgesetzes geregelt wissen.

Nun hat man sich übergangsweise bis 2019 auf eine Schulgesetzänderung, die sich aber in vielen Teilen an dem Artikel 7.3 des Grundgesetzes orientiert, geeinigt. Wohl auch, weil es für die volle Umsetzung derzeit keinen politischen Willen gibt. Manche Muslime nennen diese Reglung eine Festsetzung unterhalb des Religionsverfassungsrechtes und damit die Installierung einer Religion 2. Klasse, andere wiederum sprechen von einer Sternstunde, weil Politik den Muslimen gegenüber verantwortungsbewusst und integrationspolitisch klug gehandelt hat.

Die Politik argumentiert u.a., dass die Übergangsreglung nur notwendig sei, da die muslimischen Verbände strukturell noch nicht so weit sind, dass sie wie eine Religionsgemeinschaft behandelt werden können. Muslime verweisen auf ihr Selbstverständnis und maßgebende Verfassungsrechtler, die in den muslimischen Verbänden sehr wohl Organisationen im religionsgemeinschaftlichen Sinne festgestellt haben.

Die SPD-Grüne-Landesregierung hat es in der Hand, bestehende Ängste und Zweifel zu beseitigen

Die rechtliche Zulässigkeit eines Beiratsmodells wurde in einer großen Anhörung zuvor breit diskutiert und ergibt sich u.a. auch dadurch, dass das Beiratsmodell zeitlich befristet ist. Bevor das Gesetz 2019 außer Kraft tritt, will das Land NRW gemeinsam mit dem KRM einen Prozess abschließen, der eine staatskirchenrechtliche Gleichstellung mit den anderen Religionsgemeinschaften erlaubt. Die Gespräche werden hierfür in der Staatskanzlei geführt und sind Teil der Vereinbarung zwischen dem KRM und der Schulministerin Anfang 2011.

Die Zukunft wird zeigen, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist. Die muslimischen Organisationen haben nun erstmalig die Möglichkeit, aktiv und konstruktiv einen Dialogprozess – insbesondere mit dem Schulministerium - in Gang zu setzen, um am Ende zum gewünschten Ziel im Jahre 2019 zu gelangen, einen ganz regulären Unterricht flächendeckend und nach Artikel 7.3 zu erhalten.

Die SPD-Grüne-Landesregierung hat es in der Hand, bestehende Ängste und Zweifel zu beseitigen. Einige Muslime fürchten nämlich, dass mit diesem Schritt letztlich die Souveränität der Glaubensgemeinschaft beschnitten und so etwas wie eine parallele religionspolitische Instanz in NRW installieren wird.

Durchaus konnte man in den Rededebatten des Landtages erkennen, dass alle Seiten eine vertrauensvolle und zielführende Arbeit mit den Muslimen anstreben. Vertrauen ist ohnehin derzeit das wichtigste Bindemittel, welches die Grundvoraussetzung für den begonnenen Prozess ist – darin sind sich alle einig.

Wie soll die Zusammensetzung des Beirates aussehen?

Der islamische Religionsunterricht wird in deutscher Sprache, unter deutscher Schulaufsicht und von hierzulande ausgebildeten Lehrkräften erteilt. Die Inhalte bestimmen die Religionsgemeinschaften – hier der Koordinationsrat der Muslime (KRM), der sich aus den Verbänden VIKZ, IR, ZMD und DITIB zusammensetzt. Der KRM benennt vier Beiratsmitglieder, die anderen vier Sachverständigen werden vom Ministerium und im Einvernehmen mit dem KRM eingesetzt (siehe auch unterer Link im Gesetzestext).

Derzeit wird an 130 Schulen in NRW im Rahmen eines Schulversuches einigen tausend Schülern in einer Art Wissensvermittlung die Religion angeboten.

Beim bekenntnisorientierten Unterrichtsfach steht dagegen der Glaube im Mittelpunkt, vergleichbar dem katholischen oder evangelischen Religionsunterricht. Mit letzterem soll nun nach über 20 Jahren anstrengenden Streites in NRW endlich begonnen werden.



Lesen Sie dazu auch:
Schulgesetzänderung für den islamischen Religionsunterricht

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