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Donnerstag, 10.11.2011 | Drucken |
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Und immer wieder Zwangsheirat: Zur neuen Studie der Bundesfamilienministerin
Warum bisher nicht die Wurzel dieses Phänomens bekämpft wird und die Poltik wenig Interesse zeigt zu erfahren, was der Islam wirklich dazu sagt – Kritik der ZMD-Generalsekretärin Nurhan Soykan
Zu den Grundwerten unserer Gesellschaft und Verfassung zählt die uneingeschränkte freie Partnerwahl. Dies ist ebenso eindeutig im Koran und deutlich durch viele Aussprüche des Propheten im Islam verankert. Deswegen haben Muslime auch ein existentielles Interesse, dass Zwangsverheiratungen gänzlich abgeschafft werden. Die vorliegende Studie (unten mehr) selber spricht zwar nicht explizit über Muslime, der Diskurs wird aber bedauerlicherweise in Deutschland seit Jahren beinahe ausnahmslos im Kontext des Islams geführt. Man möge einfach mal den Selbstversuch machen und das Stichwort in google-Bild eingeben, Ergebnis: Ein Kopftuchbild nach dem anderen.
Wie gesagt, diese Form der Ehe kann sich also nicht auf den Islam berufen, er verbietet zudem häusliche Gewalt und Unterdrückung und er verbietet ausdrücklich die Zwangsverheiratung. (siehe auch im unteren Link: Muslimische Position zu "Zwangsheirat" von Abdurahman Reidegeld).
Die größte Anstrengung gilt dem Schutz des Opfers. Deswegen bleibt es für den Zentralrat der Muslime in Deutschland unverständlich, „warum bisher kaum Anstrengungen unternommen wurden, gemeinsam mit den Muslimen über Beratungs- und Aufklärungsformen nachzudenken und wie man beispielsweise unsere Imame, die ja vor Ort mit solchen Herausforderungen direkt konfrontiert sind, nicht mit in die Maßnahmenprogramme einbezieht“, kritisierte heute in Köln die Generalsekretärin Nurhan Soykan die bisherige Politik. „Dies würde effektiv mehr bringen, als Strafgesetzverordnungen und eine Politik des erhobenen Zeigefingers“, so Soykan weiter.
Um was geht es eigentlich? Und wie wir Zwangheirat tatsächlich bekämpfen können
Das Thema Zwangsehe führt immer wieder zu hitzigen Debatten, schon die Definition ist umstritten. Die vorliegende Studie spricht nur dann von einer Zwangsheirat, wenn mindestens einer der Ehepartner durch Gewalt oder Drohungen zum Heiraten gezwungen wird. Davon zu unterscheiden sind sogenannte arrangierte Ehen, bei denen der Partner ebenfalls von Verwandten oder Dritten ausgesucht wird, die Eheleute damit aber einverstanden sind. Die Gesetze gegen Zwangsverheiratungen wurden mehrmals verschärft, seit 2005 werden sie als besonders schwerer Fall der Nötigung mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft, seit 2010 sind sie ein eigener Straftatbestand.
Diese fast 160 Seiten umfassende Studie war im Auftrag der Bundesfamilienministerin Christina Schröder und federführend von der Hamburger Lawaetz-Stiftung und der Frauenorganisation Terre des Femmes erstellt worden. Sie fußt auf Angaben aus bundesweit 830 Beratungseinrichtungen, die im Jahr 2008 etwa 3400 Menschen betreut hatten, aus Dokumentationen von Einzelfällen sowie Informationen von Schulen und Migrantenorganisationen. Der Untersuchung liegt somit keine repräsentative Befragung von Betroffenen zugrunde, sondern erfasst die Daten mit Hilfe von Opfer-Beratern und Lehrern.
Es gibt knapp 10 (9.7) Mio Ehen in Deutschland. Ministerin Schröder befragte 800 Beratungsstellen (ordentliches Netzwerk), die 3443 Fälle registrierten. Das sind im Verhältnis 0,035% - selbst wenn die Dunkelziffer doppelt so hoch wäre oder man nur bi-nationale Ehen in Deutschland (ca. 660.000) zu Grunde liegen würde, sind 3443 von 660.000 = 0,52%. Natürlich sind es dabei 0,52% zuviel. Aber angesichts der Mittelverwendung für Studie und Öffentlichkeitsarbeit und angesichts der Tatsache, dass Bildung immer noch das probateste Mittel ist, tradierte Vorstellungen jenseits der eigenen Religion und der Kultur unseres Landes zu bekämpfen, fragt man sich, ob nicht zukünftig Bundesmittel effektiver eingesetzt werden können im Kampf gegen Zwangsheirat. Viel schlimmer ist die tägliche Gewalt gegen Frauen im Haus - dazu siehe nächstes Kapitel). Was macht das Familienministerium dagegen?
Der tägliche Horror zu Hause und unserer Gesellschaft guckt weg
Ende September 2004 wurden die Ergebnisse der ersten repräsentativen Untersuchung zur Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von in Deutschland lebenden Frauen vorgestellt. Die Ergebnisse sind erschreckend und gleichzeitig seit langem bekannt. Danach haben 37 % aller befragten Frauen seit dem 16. Lebensjahr körperliche, 13 % sexualisierte und 40 % eine oder beide Gewaltformen erlebt. 25 % der Befragten haben Formen körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch aktuelle oder frühere Beziehungspartner erlebt. Bei 64 % der betroffenen Frauen hatte die Gewalt körperliche Verletzungen zur Folge.
Mehr als ein Vierteljahrhundert nach Eröffnung des 1. Frauenhauses in Berlin hat sich ganz offensichtlich an dem Ausmaß der Gewalt nichts verändert.
Die gesellschaftlichen Strukturen, die die Gewalt gegen Frauen erzeugen und dulden wurden nicht verändert. Gewalt ist unabhängig von Zufluchts- und Beratungseinrichtungen ein ungelöstes Problem, welches die Lebenssituation und das Lebensgefühl von unzähligen Frauen und Kinder prägt und unermesslichen physischen und psychischen Schaden anrichtet.
Wie viele Frauen und auch Kinder jährlich in der Bundesrepublik Deutschland an den Folgen von Gewalteinwirkungen sterben oder sich selber in Folge von Traumatisierungen töten, wie viele Frauen jährlich umgebracht und damit Opfer sogenannter Beziehungsdramen werden, darüber existieren bis heute keine aussagekräftigen Statistiken. So viel wissen wir: Weltweit rangiert die Gewalt gegen Frauen auf Platz 1 der Menschenrechtsverletzungen.
Wir wissen auch, dass die fast 400 Frauenhäuser in Deutschland durchgängig belegt sind und einige hunderttausend Frauen und Kinder nur allein im letzten Jahrzehnt dort Zuflucht suchten.
Und es gehört zum unspektakulären Alltagshorror, dass wir fast täglich in den Tageszeitungen über sogenannte Beziehungsdramen mit tödlichem Ende für die Frauen und auch Kinder lesen.
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