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Mittwoch, 12.10.2011 | Drucken |
Chaos ist der beste Verbündete der Gewaltherrscher
Die Gewalt in Ägypten hilft nur den Gegner der Demokratie –und Freiheitsbewegung - Hat das Militär Schläger gegen die Kopten eingesetzt, um einen Konflikt zu schüren und dann Wahlen zu verschieben?
Der stellvertretende Ministerpräsident und Finanzminister Ägyptens, Hasem El Beblaui, hat nach den Unruhen im Land sein Amt aufgegeben. Als Grund für den Rückzug nannte er den mangelhaften Umgang der Übergangs-Militär-Regierung mit den tödlichen Protesten. Die Uno fordert eine unabhängige Untersuchung.
Am Morgen nach dem schlimmsten Gewaltausbruch seit dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak vor acht Monaten ist Kairo verängstigt, fassungslos und wieder einmal in Alarmbereitschaft mit Soldaten vor öffentlichen Gebäuden, in der ganzen Stadt. Das Blutbad am Sonntagabend, so kommentierte Premierminister Essam Scharaf präzise, sei 'kein Zusammenstoß zwischen Christen und Muslimen' gewesen, sondern der Versuch, 'Chaos und Zwietracht zu säen'. Die Angst vor Chaos und Zwietracht aber ist eine Verbündete aller Gewaltherrscher, ob sie Uniform tragen oder nicht.
Als am Sonntag die Kopten und einige Muslime aus Schobra ihren Protest vor das runde Fernsehgebäude trugen, da fielen nicht sogenannte Islamisten über sie her, sondern die Armee, gedungene Schläger und die staatlichen Medien. Wie die Situation eskalierte, ist kaum noch zu rekonstruieren. Irgendwann flogen Steine, ein Schuss fiel, ein Soldat starb. Die Armee, aber auch die Schläger, die 'baltageja', schienen auf diesen Moment gewartet zu haben, so ein Augenzeuge aus dem Rundfunkgebäude: 'Sie schlugen auf die Kopten mit denselben Holzknüppeln ein, sie waren fast nicht zu unterscheiden. Es sah orchestriert aus'. Die Web-Zeitung Youm Sabaa verteidigte die Schläger: Sie hätten versucht, die Armee gegen eine christliche 'Invasion' zu verteidigen. Der Oberste Militärrat veröffentlichte auf seiner Seite den Eintrag von Mohamed Bahaa, der den Christen 'Verrat' vorwarf und vorgab im Sinne der „Nationalen Sicherheit“ gehandelt zu haben.
Der Westen sollte sich für die Rechte aller Ägypter einsetzen, nicht nur für die der Christen - gerade im Interesse der Kopten
Die Süddeutsche Zeitung schreibt heute dazu in einem Leitartikel: „Für das Blutbad am Nil aber ist der religiöse Zwist nur der Hintergrund, der Anlass ist politisch, die Angreifer waren keine Islamisten, sie schickte wahrscheinlich der Staat. Ägyptens Militärherrscher drucksen bei der Machtübergabe herum, suchen Komplizen, um ihre Privilegien in die Demokratie zu retten und möchten sich so lange den Zugriff auf die rustikalen Herrschaftsinstrumente - Notstandsgesetze, Militärjustiz, vielleicht Kriegsrecht - offenhalten. Die Kopten als neues Feindbild kommen ihnen da gerade recht - so wie zuvor der Freund-Feind Israel, wie Blogger, Journalisten und die Revolutionäre selbst.
Gewiss, in Ägypten geht es in den nächsten Jahren auch um Religionsfreiheit, aber nicht nur. Und wenn sich Bundesaußenminister Guido Westerwelle und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton alarmiert äußern, weil in Ägypten Christen bedroht sind, dann greift dies viel zu kurz. Ägyptens Christen sind politisch zwischen alle Stühle geraten, und die Klügeren unter den Kopten wissen das. Der Westen sollte sich für die Rechte aller Ägypter einsetzen, nicht nur für die der Christen - gerade im Interesse der Kopten.“
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