Newsinternational Freitag, 04.09.2009 |  Drucken

Bundeswehr-Luftangriff: 50 Zivilisten getötet

Deutschland bald mitten im Krieg? Bundesregierung: „Ein robuster Stabilisierungseinsatz“ Afghanistan-Einsatz wird Wahlkampfthema

Kundus galt einst als eine der friedlicheren Provinzen Afghanistans. Vor noch etwa zwei Jahren konnte die Bundeswehr unbehelligt durch die Strassen gehen. Viele Afghanen verbanden mit ihr die Hoffnung, dass das Land dadurch befriedet wird und dies keine Besetzung nach den langen Bürgerkriegen ist. Die Befriedung setze aber nicht ein.

Seit Anfang des Jahres nahm die Gewalt in der Provinz aber erheblich zu, die dort stationierten Bundeswehrsoldaten werden fast täglich in Gefechte verwickelt. Das Verteidigungsministerium spricht trotzdem weiterhin von einem Nicht-Kriegseinsatz. „Es ist ein robuster Stabilisierungseinsatz“, bewertete ein Sprecher der Bundesregierung in Berlin. den Kriegseinsatz heute.

Heftige Kritik kam vom Netzwerk Friedenskooperative. "Sollten sich die bisher spärlichen Informationen über die Kämpfe nach der Entführung der Tanklastzüge in der Nähe von Kunduz bestätigen, hat die Bundeswehr ein Massaker zu verantworten", sagte der Geschäftsführer des Netzwerks, Manfred Stenner.

Das Kriegstreiben kommt zu einem äußerst sensiblen Zeitpunkt, und zwar zum Bundeswahlkampf. Wegen mangelnder Themen, die polarisieren, gehört der Bundeswehreinsatz zu den Themen, wo die Bürger klar erkennbare Profile erkennen: Während die LINKEN strikt gegen den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch sind, erklärten jüngst in einer Bundestagsabstimmung die übrigen Parteien ihr Ja für diesen sogenannten „Friedenseinsatz“ in Afghanistan. Doch die „Front“ bröckelt. Zuletzt hat der SPD-Bundestagskandidat und Außenminister Frank Walter Steinmeier gefordert, die Bundeswehr müsse baldigst nach Hause zurück geholt werden.

Solche Bombardements, auch wenn sie militärisch einer Logik gefolgt sind, lassen sich nicht mit dem Ziel verbinden, die Köpfe und Herzen der Afghanen zu erreichen. Der internationale Einsatz droht zu scheitern.

Reaktionen – Mindestens fünfzig tote Zivilisten

Erstmals ist die Bundeswehr in Afghanistan direkt bei einem Luftangriff beteiligt.Am Freitagmittag war noch unklar, wieviel Zivilisten ums Leben kamen. Die Nachrichtenlage ist sehr unübersichtlich, zumal die Agenturen sich weitestgehend auf die Berichte der Militärs stützen. Das Netzwerk Friedenskooperative spricht aber bereits jetzt von mindestens 40 toten Zivilisten. Ein Bewohner des betroffenen Dorf Hadschi Amanullah erklärte gegenüber der dpa, dass mehr als 150 Menschen getötet oder verletzt wurden.

Die Vereinten Nationen wie auch der afghanische Präsident Karsei forderten von der Nato eine eingehende Untersuchung des Luftangriffs. Er sei angesichts der Berichte über zivile Opfer "sehr besorgt", sagte der stellvertretende Uno-Gesandte für Afghanistan, Peter Galbraith. Es müsse geklärt werden, warum ein Luftangriff angeordnet worden sei, obwohl die Situation vor Ort unübersichtlich gewesen sei. Galbraith kündigte zudem an, dass auch die Uno-Mission in Afghanistan ermitteln werde.

EU-Chefdiplomat Javier Solana wird deutlich: Ich denke, das war sehr dramatisch. Und es tut mir für die Familien der Menschen, die bei der Explosion der Benzintankwagen getötet wurden, sehr leid", sagte Solana am Freitag am Rande eines EU-Außenministertreffens in Stockholm. "Ich bin darüber sehr traurig."

Ein Taliban-Sprecher bestätigte, dass sie die Tanklastzüge kaperten und im Fluss stecken geblieben sind. Daraufhin seien die Ventile geöffnet und Treibstoff abgelassen worden, um die Lkw wieder flott zu bekommen. Aus dem nahegelegenen Dorf seien rund 500 Einwohner herbeigeströmt, um den ausfließenden Treibstoff aufzusammeln. Sie seien vor einem eventuell bevorstehenden Luftangriff gewarnt worden, hätten sich aber nicht wegschicken lassen. Danach erfolgte wahrscheinlich die Katastrophe.

Zahlen und Fakten – Tote – Kosten und Hilfen (Quelle: tagesschau.de)

An der ISAF-Mission unter Leitung der NATO beteiligen sich momentan 42 Länder mit rund 66.000 Soldaten. Die Bundeswehr hat derzeit knapp 4200 Soldaten in Afghanistan im Einsatz. Sie sind hauptsächlich im Norden des Landes stationiert: Mit 2600 ist der größte Teil in Masar-i-Scharif, 650 sind in Kundus und 450 in Feysabad. Weitere 340 Soldaten leisten ihren Dienst in der Hauptstadt Kabul, gut 100 auf dem usbekischen Stützpunkt Termes.

Der Militäreinsatz der Bundeswehr hat bis Ende 2008 exklusive der auch in Deutschland anfallenden Personalkosten rund 2,9 Milliarden Euro gekostet. Für 2009 sind weitere 498 Millionen Euro veranschlagt.

Für Projekte der Entwicklungshilfe und des Wiederaufbaus sind von der Bundesregierung von 2002 bis 2010 mehr als 1,2 Milliarden Euro Hilfsgelder zugesagt. Bis August 2009 sind davon 830 Millionen Euro ausgezahlt worden.

Im laufenden Jahr soll Afghanistan mit 170 Millionen Euro unterstützt werden. Damit ist es das größte Empfängerland deutscher Entwicklungshilfe. 2008 lag es mit 140 Millionen Euro klar vor den nächstgrößeren Empfängern Indien (84 Millionen Euro) oder Mali (53 Millionen Euro).

In Afghanistan kamen bislang 35 Bundeswehrsoldaten ums Leben (wie viel Tote Afghanistan zu beklagen hat, weist die Statistik nicht auf, Anm. Redaktion)



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