Exportschlager Folter - Von Rupert Neudeck
ABU GHRAIB auch in Afghanistan? Zu den ersten Berichten über totgefolterte Afghanen in den Gefängnissen der US-Armee in Afghanistan
Am 2. Dezember 2002 – also ein Jahr nach der Befreiung der Afghanen von den Taliban – machte sich am Abend vor dem Muslimischen Festtag Id al- Fitr der 22jährige Taxichauffeur Dilawar aus dem kleinen Dorf Yakubi auf den Weg, um mit seinem neuen Toyota Sedan seinen Taxi Dienst zu beginnen. Er freute sich wie ein Schneekönig, denn er hatte sich den neuen Toyota mit Hilfe des gesammelten Geldes seiner Familie kaufen und nun seinen ersten wirklich profitträchtigen Arbeitsplatz einnehmen können. Nachdem er drei Passagiere aufgenommen hatte, fuhr er an der US-amerikanischen Basis Camp Salerno vorbei, die an diesem Morgen von einer Rakete beschossen worden war.
Dilawar wurde auf Anweisung eines mit den US-Streitkräften verbündeten Warlords, Jan Baz Khan, als Verdächtiger für diesen Anschlag an einem Checkpoint verhaftet und mitsamt den drei Passagieren den US-amerikanischen Soldaten in dem Camp überstellt. Dann wurde er zu der größten Basis der Amerikaner in Afghanistan gebracht, zum Flughafen Bagram in der Nähe von Kabul. Im Bagram Collection Point werden immer – ohne irgendwelche rechtsstaatliche Kontrolle - 40 bis 80 Afghanen verhört und festgehalten, manche von ihnen wurden auch nach Guantanamo Bay geflogen.
Kurz nach der Festnahme von Dilawar starb in der Zelle in Bagram der Gefangene Nr. 412 mit dem Namen Habibullah.
Habubullah wurde, so geht aus einem 2000 Seiten Bericht hervor, den erst am 21. Mai 2005 die „New York Times“ und die „International Herald Tribune“ zusammenfassend der Öffentlichkeit unterbreiten, von seinen Verhörsoldaten furchtbar misshandelt. Am 3. Dezember 2002 wurde er in eine Isolationszelle gebracht, dann mit Handschellen und mit Fesseln um seine Taille an der Decke aufgehängt. Der Grund für diese verschärfte Behandlungsmethode: Der Gefangene hatte sich, wie der US-Spezialist Willie Brand erklärte, „unkooperativ“ benommen. Ein Wächter gab ihm später fünf Schläge, weil er weiter – wie es in dem Bericht heisst – „non-compliant and combative“ war. Also auf gut-deutsch, weil er weiter nicht willfährig und nicht zur Mitarbeit mit den Untersuchungssoldaten bereit war.
Diese Crew von Untersuchungs-Soldaten wurde übrigens später im Juli 2003 unter Leitung der Frau Hauptmann Captain Carolyn Wood nach Abu Ghraib in Bagdad versetzt. Wood hatte dann dort das weiter fortgeführt, was er schon in Bagram ausgeführt und ausprobiert hatte. Denn in dem Bericht werden die harschen Techniken, das Schlagen und Quälen von Gefangenen in Abu Ghraib als „bemerkenswert ähnlich“ zu denen in Bagram beschrieben. Bis hin zu der Verweigerung von Schlaf und des Benutzens von scharfen Hunden, um die Gefangenen zu verängstigen.
Im Juli 2002 war ein neues Untersuchungsteam nach Bagram gekommen, heißt es in dem Bericht. Aber alle, die die dorthin kamen, waren in keiner Weise vorbereitet, um diese Aufgabe wahrzunehmen.
Der Taxi Fahrer Dilawar, nur 22 Jahre alt, wurde ähnlich behandelt, weil auch er, wie Habibullah, als non-compliant, als nicht kooperativ eingestuft wurde. Im Gegenteil, der Soldat Corey Jones sagte aus, dass der Gefangene ihm einmal ins Gesicht gespuckt habe. Darauf habe er, Jones, ihm auf die Knie und die Beine geschlagen, wogegen der Gefangene nichts machen konnte, da er gefesselt war.
Daraufhin habe er mehrmals „Allah“ gerufen und die erste Reaktion des Verhörsoldaten war die: Der ruft wohl zu seinem Gott! Jeder in dem Bagram Collection Point konnte ihn schreien hören. Corey Jones: „Jeder dachte, das ist ja lustig. It became a kind of running joke“. Und die Leute kamen vorbei, „um ihn zu schlagen, nur um ihn dann nach Allah bitten und rufen zu hören. Fast ging in einer 24 Stunden Zeit immer wieder vor sich und ich denke, es waren insgesamt in dieser Zeit 100 Schläge.“
Am 8. Dezember 2002 gab es die vierte Untersuchungssitzung. Nach den ersten 10 Minuten, so hat der Dolmetscher Ahmad Ahmadzai berichtet, haben sie angefangen ihn zu schlagen, zu treten und ihn anzubrüllen. Das war keine gerichtliche oder polizeiliche Untersuchung mehr. Am 10. Dezember kam es zu der letzten Verhörstunde. Er wurde wieder von den Wächtern geschlagen. Sie hatten ihn an den Füßen gezogen und gefesselt gegen die Wand geschubst.
Ein zweiter Dolmetscher bei diesem Verhör sagte: Es sei ihm vorgekommen, dass Dilawar kooperieren wollte, aber nicht mehr die physische Kraft hatte es zu tun. Wenige Stunden später war er tot. Der 22jährige Taxifahrer hatte starke Wunden an den unteren Extremitäten, was nach dem Untersuchungsbericht zu einem Trauma führte.
Nach diesem zweiten Todesfall, der aber sicher nicht der letzte war, wurden einige der Soldaten aus dem Bagram Collection Point an andere Plätze verlegt. Der Afghanische Warlord und ex-Kriegs-Kommandant, mit dem die US Armee dort zusammenarbeitet und der Dilawar und die drei Passagiere nach Bagram gebracht hatte, wurde später verhaftet. Im Februar 2003 wurde er verdächtigt, das CAMP Salerno angegriffen zu haben. Die drei Passagiere in dem Taxi von Dilawar wurden im Dezember 2002 nach Guantanamo Bay geflogen. Im März 2004 wurden sie freigelassen: Unschuldig, es gab keinen Grund, sie weiter dort auf Kuba zu belassen. 15 Monate musste sie auf diesem von keiner Rechtsinstanz dieser Erde kontrollierten Zentrum in Guantanamo verbringen, um dann zu erfahren: Sie würden freigelassen. In Briefen, die ihnen ausgehändigt wurden, wurde ihnen bestätigt: Sie würden „keine Gefahr mehr darstellen für die amerikanischen Soldaten“.
Keine Entschuldigung, keine Entschädigung, keine Einladung zum Präsidenten George W. Bush, der ihnen zerknirscht gesagt hätte: Sorry Afghans, wir haben uns verdammt noch mal geirrt! Nein, den Afghanen wird nur offiziell mitgeteilt, sie stellten keine Bedrohung mehr für die US-Soldaten in Afghanistan mehr dar. Dafür mussten sie in Guantanamo 15 Monate ohne jede Rechtsgrundlage einsitzen. Ein schöner Rechtsstaat, diese USA.
Ich hatte dem Bundesaußenminister Joschka Fischer (genau: am 3. März 2005) geschrieben, dass alle Deutschen, die in Afghanistan arbeiten, sich immer noch des großen geschichtlich gewachsenen Wohlwissens und der Sympathie der Afghanen erfreuen. Ich hatte dem Außenminister aber von unseren Sorgen – den Sorgen der „Grünhelme“, die in Afghanistan auf mehreren Schulbaustellen arbeiten - geschrieben, die durch die zu enge Bündnispartnerschaft mit den USA diese Freundschaftsbasis angetastet werden kann.
Der Minister hat mir am 7. April 2005 zurückgeschrieben, dass er unsere Sorgen teile. „Folter und Misshandlungen von Gefangenen sind mit den Grundwerten demokratischer und rechtsstaatlicher Gesellschaften unter keinen Umständen vereinbar.“ Der deutsche Außenminister schrieb, er habe dieses wichtige Thema seit Bekanntwerden der Misshandlungen in dem Gefängnis von Abu Ghraib auch gegenüber amerikanischen Regierungsvertretern immer wieder angesprochen.
Joschka Fischer: „Meine Gesprächspartner haben dabei stehst betont, dass Vorwürfe aufgeklärt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden und dass alles dafür getan werden, damit sich Vorfälle wie in Abu Ghraib nicht wiederholen“
Was sagt der Außenminister zu diesem ersten erschütternden Bericht in der New York Times vom 21. Mai 2005?
Das Furchtbare besteht ja in der Erkenntnis, dass diese beiden Morde an Afghanen nicht etwa zwei Ausrutscher sind, sondern dass Folter und Misshandlung ein System geworden sind, das gerade in Afghanistan wächst. Die Züricher „Weltwoche“ schrieb schon vor diesen Berichten am 31. März 2005: „Was der amerikanische Geheimdienst im eigenen Land nicht darf, lässt er anderswo erledigen“. Es soll bereits zwanzig solcher US-Detention Centers in Afghanistan geben, also Gefängnissen, die allein von Militärs und CIA Leuten ohne jede rechtsstaatliche Kontrolle geführt werden.
Wir sind besorgt, dass die anti-amerikanischen Demonstrationen sich auch mal gegen deutsche Soldaten und Helfer richten können. Dabei ist unser Bundestag ja immer um diese eine Frage vor allen anderen Sorgen immer interessiert: Wie werden unsere Soldaten geschützt, in Kabuls Camp Warehouse, in Kunduz, in Fayzabad?
Ganz einfach: in dem man sich in aller Schärfe und nicht diplomatisch verklausuliert von diesen schrecklichen und beleidigenden, ja demütigenden Machenschaften und Praktiken der US-Armee in Afghanistan distanziert. Da auch der afghanische Präsident Hamid Karzai das jetzt klar und deutlich getan hat, dürfte für die deutsche Bundesregierung und den Außenminister es höchste Zeit sein, sich klar, unmissverständlich und – heute zu Wort zu melden. Zugunsten der Afghanen! Rupert Neudeck ist Vortsitzender von Grünhelme e.V., siehe weiter Infos über unterer link)
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