Folgen der Terroranschläge für Muslime
Ahmad von Denffer schrieb:
Moscheerazzia in München - was ist der eigentliche Skandal?
Dies ist ein etwas längerer Beitrag. Wer die Wahrheit wissen und nachvollziehen will, muß sich die Mühe machen, sorgfältig zu sein und in Ruhe zu lesen. Die folgenden Zeilen handeln von mehr als einem Skandal.
„Sie kamen um sechs Uhr morgens …“. So oder so ähnlich begannen die Meldungen über die Polizeiaktion, von der am Donnerstag den 14. April 2005 auch das Islamische Zentrum München betroffen war. Was man im Anschluß daran bundesweit auf allen Fernsehkanälen zu sehen, in den Rundfunknachrichten zu hören und in der Presse zu lesen bekam, ist skandalös.
Die Tatsache, daß die Polizei unsere Moschee durchsuchte, ist nicht der Skandal. Skandalös ist die Begründung, mit der dies geschah, und skandalös ist die Darstellung der Medien. Nur knapp zwei Stunden nach der Aktion hieß es bei „Spiegel online“: „Zwei mutmaßliche Terrorfinanziers gefaßt“, dazu ein Bild von Polizeiwagen und Polizisten vor unserer Moschee und die Bilderläuterung: „Razzia in einem Islamischen Zentrum bei München: Zwei Festnahmen.“
Anders gesagt: Im Islamischen Zentrum wurden zwei Terrorfinanziers festgenommen. Das qualifizierende Wörtchen „mutmaßliche“ steht zwar aus Sicherheitsgründen da. Im Vergleich zu dem Ausdruck „Terrorfinanziers“ ist es aber kaum Einfluß darauf, welches Bild im Kopf des Lesers entsteht. Die Folge aus dieser Verknüpfung von Informationsfragmenten, Halbwahrheiten und Bildern ist die Meinung: Das Islamische Zentrum hat mit Terroristen zu tun …
Wäre dies der Fauxpas eines einzelnen Journalisten gewesen, könnte man die ganze Angelegenheit stillschweigend hinnehmen. Aber das war nicht der Fall. In ganz ähnlicher Weise bedienten sich die Medien bundesweit dieser Verknüpfung von Informationsbruchstücken, Halbwahrheiten, unbewiesenen Behauptungen und Bildern. Auf diese Weise verbreiteten sie dann in alle Wohnzimmer eine Botschaft, deren Inhalt wir zwar schon lange kennen, die aber, um wirksam zu bleiben, ständig wiederholt werden muß: Irgend etwas hat der Islam am Ende wohl doch mit dem Terrorismus zu tun, denn sonst würde man in den Moscheen ja keine Terrorfinanziers festnehmen können. Und so bleibt schließlich in den Köpfen das Fazit übrig: „Islam = Terrorismus.“ Ja, das ist ein Skandal, aber es ist nicht der einzige Skandal.
Zunächst hätte man annehmen können, hier wird ein Fernsehkrimi gedreht. Am 14. April gegen sechs Uhr morgens stiegen mehr als vierzig Polizisten aus zahlreichen Einsatzfahrzeugen und umstellten das Moscheegelände. Die Beamten waren schwarz gekleidet, mit schußsicheren Westen und bewaffnet mit großkalibrigen Pistolen. Ein Staatsanwalt begleitete die Aktion und legte einen Beschluß des Amtsgerichts München vor. Demzufolge handelte es sich überhaupt nicht um eine Maßnahme gegen die Moschee, sondern um ein Ermittlungsverfahren gegen einen ägyptischen Geschäftsmann wegen Geldwäsche. Die schriftliche Begründung für den richterlichen Beschluß legte mit einzelnen Beispielen dar, wie es zu dem Verdacht der Geldwäsche gekommen ist. Dieser Mann habe hohe Geldbeträge bewegt, darunter viele Ein- und Auszahlungen in bar. Aber das war nicht alles: „Vielmehr konnten zwischenzeitlich mehrere Bargeldtransfers, die mit Hilfe von Kurieren getätigt wurden, nachgewiesen werden.“
An dieser Stelle der schriftlichen Begründung stößt man beim aufmerksamen Lesen nun auf eine Merkwürdigkeit. Der unmittelbar folgende Satz lautet: „Die Verantwortlichen der einzelnen Moscheen sind aber nicht nur bloße Geschäftspartner des Beschuldigten, sondern stehen mit diesem in persönlicher und auch enger ideologischer Verbindung.“
Nirgendwo vorher ist in dem richterlichen Beschluß eine Moschee erwähnt, jetzt plötzlich ist davon gleich in der Mehrzahl die Rede. Nirgendwo vorher ist in dem richterlichen Beschluß von Geschäftspartnern des Beschuldigten die Rede, jetzt plötzlich sind es „die Verantwortlichen der einzelnen Moscheen.“ Hier diente offenbar ein anderes Dokument als Vorlage, um diese Begründung zusammenzustellen. „Daher“, so heißt es dann weiter, „besteht aufgrund des Vertrauensverhältnisses der begründete Verdacht, daß X. in den genannten Räumlichkeiten auch Geschäftsunterlagen lagert, um sie auf diese Weise etwa dem Zugriff der Behörden (insbesondere natürlich der Finanzbehörden) zu entziehen. Dies ist durch die umfangreiche Observation sowie die Auswertung der Telefonüberwachung belegt.“
Nur am Rande bemerkt: Wer bislang noch so naiv war und meinte, das Telefon des Islamischen Zentrums werde nicht überwacht, hat hier eine amtliche Bestätigung des Gegenteils vor sich.
Im Klartext und bezogen auf unsere Moschee bedeutet das Ganze: Man geht davon aus, daß der beschuldigte Geschäftsmann mit Verantwortlichen in unserer Moschee Geschäfte getätigt hat und ihnen zudem noch persönlich und „ideologisch“ eng verbunden ist. Schließlich heißt es in der Begründung noch: „Der Beschuldigte such (sic!) häufig das IZM auf und hat Kontakte zu führenden Verantwortlichen dieser Organisation, mit welchen er auch in ständiger Geschäftsbeziehung steht.“
Mit dem Kürzel „IZM“ ist „Islamisches Zentrum München“ gemeint. Allerdings kommt auch dieses Kürzel in dem richterlichen Beschluß vorher nicht vor und dürfte deshalb ebenfalls aus einem anderen Dokument stammen. Der Hinweis auf die behauptete „enge ideologische Verbindung“ zwischen dem Beschuldigten und den „Verantwortlichen“ des IZM läßt nur den Schluß zu, daß hier eine Stelle zugearbeitet hat, die sich mit der Beobachtung „ideologischer“ Einstellungen von Menschen beschäftigt. Denn das ist ja keine eigentliche Polizeiaufgabe und hat mit einem schlicht kriminellen Delikt wie Geldwäsche an sich nichts zu tun.
Fassen wir also zunächst zusammen: Die Polizei ermittelt gegen einen Geschäftsmann wegen Geldwäsche. Dieser Geschäftsmann soll einen Verantwortlichen im Islamischen Zentrum München zum Geschäftspartner haben. Dieser „Verantwortliche“ wird darum als „Zeuge“ in dem Ermittlungsverfahren bezeichnet. Mit diesem „Zeugen“ soll der Geschäftsmann ein so enges persönliches und „ideologisches“ Vertrauensverhältnis haben, daß „der begründete Verdacht“ besteht, der besagte Geschäftsmann benutze das Islamische Zentrum München, um dort Geschäftsunterlagen zu verstecken. Folglich muß das Islamische Zentrum München durchsucht und müssen diese Unterlagen dort gefunden und beschlagnahmt werden. Darum genehmigt der zuständige Richter „ohne vorherige Anhörung - die Durchsuchung der Wohnung, einschließlich sämtlicher Neben-, Geschäfts- und Gebetsräume“ des „Zeugen“ im Islamischen Zentrum München. Am Rande gesagt: Weder wohnt er dort, noch wurde seine Wohnung durchsucht. Es ging ganz also offensichtlich allein um das Islamische Zentrum. Gesucht und beschlagnahmt werden sollen: „Sämtliche Unterlagen – auch EDV-mäßig gespeichert, - die Aufschluß über - die von dem Beschuldigten X. zum Transfer von Geldmitteln benutzten Wege und Stationen - sowie dessen Geschäftskontakte geben können (insbesondere EDV-Anlagen, Mobiltelefone, Telefonverzeichnisse, Geschäftsunterlagen, Kontounterlagen).“
Den Wahrheitsgehalt all dieser Anschuldigungen kann kein Außenstehender überprüfen. Verhalten wir uns aber - im Gegensatz zu dem, was mit uns geschieht - , nach dem Grundsatz: Wir gehen davon aus, das alles, was ein anderer sagt, die Wahrheit ist, es sei denn, wir haben Beweise für das Gegenteil.
Nehmen wir also einfach einmal an, alles das, was in dem Beschluß des Münch’ner Ermittlungsrichters zu lesen ist, ganz gleich, aus welcher Quelle es letztendlich stammt, ist alles wahr und richtig und zutreffend: Woher kommt dann aber die Verbindung zum Terror? Wie kommt „Spiegel online“ zu der Schlagzeile „Zwei mutmaßliche Terrorfinanziers gefaßt“? Ich habe den vierseitigen richterlichen Beschluß mehrmals sorgfältig gelesen. Es steht nichts von Terror, Terrorfinanzierung oder Verbindungen zu Terroristen oder Terrorismus darin, absolut nichts. Weder wörtlich noch indirekt ist davon die Rede. Das ist ein Skandal. Aber es ist nicht der eigentliche Skandal.
Es geht also schlicht und einfach um ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche gegen einen Geschäftsmann. Nicht weniger, aber auch nicht mehr hat der Richter genehmigt. Die Polizei, so zitiert sie indes der „Münch’ner Merkur“, macht darüber hinaus noch etwas ganz anderes. Sie erklärt im Hinblick auf einen der beiden Verhafteten: „Wir untersuchen, ob der Mann Mitglieder für den Dschihad angeworben hat.“ Und weiter: „Wir brauchen ja erst einmal ein Delikt, weswegen wir ermitteln können, denn niemand hat den Begriff ‚Terrorist’ auf die Stirn geschrieben“, sagt Jörg Beyser. Der Kriminaloberrat schließt nicht aus, daß die Kontakte des 47-Jährigen bis in die Kreise der Terroristen vom 11. September reichen.“ Entsprechend war auch in der „Süddeutschen Zeitung“ zu lesen: „Weil den Ermittlern bislang haltbare Beweise fehlten, lief die Aktion als Schlag gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung.“ Auch das ist ein Skandal, aber nicht der eigentliche Skandal.
Im Klartext: Die Polizei bedient sich eines Verdachts der Geldwäsche, der so weit begründbar ist, daß ein Ermittlungsrichter eine Durchsuchung genehmigt, um dann einem Terrorismusverdacht „bis hin in die Kreise der Terroristen vom 11. September“ nachzugehen, der eben nicht so weit begründbar ist, daß ein Ermittlungsrichter eine Durchsuchung genehmigt.
Niemand kann ungeprüft wissen, inwiefern ein derart schwerwiegender Verdacht zutreffend ist. Insofern läßt sich jetzt dazu nichts abschließend sagen. Aber wir sind mittlerweile in Deutschland so weit, daß eine solch schwere Anschuldigung, obwohl von Seiten eines Richters als unzureichend begründet abgelehnt, dazu genügt, daß die Medien und die Öffentlichkeit es der Politik und der von ihr eingesetzten Polizei durchgehen lassen, sich derart eines Vorwandes zu bedienen. Statt in den Berichten darauf hinzuweisen, daß die Justiz in keiner Weise von Verbindungen zum Terrorismus gesprochen hat, werden die unbewiesenen Anschuldigungen durch die Polizei als quasi Wahrheiten weiter verbreitet. Das ist ein weiterer Skandal, aber auch das ist nicht der eigentliche Skandal.
Woher also die ganze Terrorismusgeschichte und der Zusammenhang mit unserer Moschee? Hierüber gab die Presse am nächsten Tag noch nähere Auskunft. Selbst die als seriös geltende „Süddeutsche Zeitung“ bediente sich eines manipulierenden Satzbaus, mit dessen Hilfe im Kopf des Lesers das gewünschte Bild entsteht: „In München - hier waren auch die Moscheen in der Landwehrstraße und in Freimann betroffen - nahm die Polizei den 43-jährigen Tunesier Abdellatif T. und den 47-jährigen Ägypter Abdel-Raouf R. fest.“
Natürlich hat der Autor damit nur gesagt, daß in München zwei Personen festgenommen wurden. Aber kaum ein Leser wird sich der suggestiven Kraft des eingeschobenen Hinweises auf die beiden Moscheen entziehen können. Wer in dieser Kürze und Zusammenstellung davon liest, das zwei Moscheen durchsucht und zwei Personen verhaftet wurden, kommt unwillkürlich zu der Ansicht, daß die beiden Personen in den beiden Moscheen oder in einer der beiden festgenommen wurden. In Wahrheit wurde aber niemand in einer Moschee festgenommen, in keiner Moschee. Nur das Bild unserer Moschee wurde immer dann gezeigt, wenn von den Festnahmen die Rede war. Das ist gleichfalls ein Skandal, aber nicht der eigentliche Skandal.
Was den anderen Verhafteten betrifft, weiß die Presse, ebenfalls nicht aufgrund eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses sondern aufgrund von Polizeiinformationen, zu berichten: „Der zweite Festgenommene, der 43-jährige Tunesier, war von einem Gericht in seiner Heimat zu elf Jahren Haft verurteilt worden, weil er in Tunesien Terroranschläge verübt hat.“
Auch in diesem Fall kann niemand ungeprüft wissen, inwiefern eine derart schwerwiegende Anschuldigung zutreffend ist. Insofern läßt sich auch dazu jetzt nichts abschließend sagen. Aber wie ist es möglich, daß dieser Mann, statt seine Strafe abzusitzen, nach Deutschland gekommen ist, hier geschäftlich tätig werden konnte und „einen hohen sechsstelligen Betrag“ an Steuern hinterzogen haben soll? Handelt es sich dabei am Ende um eine der zahlreichen Personen, die in Tunesien des Terrorismus beschuldigt wurden, deren Fälle vor Militärgerichte kamen, die in Abwesenheit verurteilt wurden und die in Deutschland politisches Asyl erhielten, weil die tunesische Militärgerichtsbarkeit den deutschen Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit nicht entspricht? Das wäre ein Skandal, aber nicht der eigentliche Skandal.
Dafür, daß diese Version zunächst einmal aber nicht auszuschließen ist, spricht zumindest der Hinweis:„Der Mann soll mit dem Geld die Organisation Al-Nahda unterstützt haben.“ In der „Süddeutschen Zeitung“ heißt es noch konkreter: „Insbesondere sollen, so Staatsschutz-Ermittler Jörg Beyser, Angehörige von inhaftierten Terroristen finanziert worden sein.“ Hat der Mann vielleicht Geld nach Tunesien gebracht, dann natürlich heimlich, für Frauen und Kinder, die hilflos und mittellos sind, weil ihre Männer, von den Machthabern des Terrorismus beschuldigt, gefoltert wurden und von Militärgerichten verurteilt in Gefängnissen umgekommen sind oder dort noch immer einsitzen? Ein guter Journalist dürfte keine Schwierigkeiten haben dies zu überprüfen, sofern er daran interessiert ist, die Wahrheit herauszufinden und zu berichten, und falls er einen Tip benötigt, wo er mit seiner Recherche anfangen soll: Möglicherweise kann ja „amnesty international“ zu dem Fall Al-Nahda in Tunesien ein bißchen mehr sagen als die Münch’ner Polizei.
Und am Rande bemerkt: Offenbar war der am Morgen verhaftete Tunesier am Abend schon wieder auf freiem Fuß und hat am nächsten Tag in aller Ruhe sein Freitagsgebet in einer Moschee verrichtet. Warum haben die Medien das nicht aufgegriffen sondern verschwiegen? Auch das ist ein Skandal, aber nicht der eigentliche Skandal.
Wer die im allgemeinen seltene Gelegenheit hat, bei einer polizeilichen Durchsuchung anwesend zu sein, darf beobachten. Im Falle der Aktion in unserer Moschee war das nicht immer und überall möglich. Denn die Durchsuchung fand gleichzeitig in verschiedenen Räumlichkeiten statt, und die wenigen anwesenden Mitarbeiter des Islamischen Zentrums konnten nicht gleichzeitig in allen Räumen sein. Immerhin aber gewann man einen Eindruck davon, wie in diesem Fall vorgegangen wurde. Die ungewöhnlichen Moscheebesucher hatten offensichtlich drei verschiedene Aufgaben, die an ihrem Auftreten und ihrer Vorgehensweise erkennbar wurden.
Die uniformierten, bewaffneten Polizisten dienten allein zur Machtdemonstration und zur Einschüchterung der wenigen anwesenden Muslime, denn um sechs Uhr morgens war die Moschee nahezu leer. Es gab keine Menschenmassen, die man mit bewaffneten Sondereinsatzkräften hätte unter Kontrolle halten müssen. Für eine Steuerfahndungsmaßnahme hätte es genügt, zwei Beamte zu schicken, die sich zur Prüfung unserer Unterlagen in unser Büro hätten setzen können. Die Polizisten haben sich indes korrekt verhalten. Sie sorgten auch dafür, daß sich die vor der Moschee ansammelnden Journalisten nicht auf das Moscheegelände kamen. Natürlich liefen sie mit Schuhen auch durch den Gebetsraum, aber zumindest Hunde hatten sie nicht dabei.
Die Beamten in Zivil führten die eigentliche Durchsuchung aus. Zu diesem Zweck begaben sie sich mit jeweils mehreren Personen in alle Räume, die Büros, den Vortragsraum, den Gebetsraum, die Kellerräume und das Wohnheim, und nahmen dort praktisch jeden Gegenstand in die Hand. Dabei befaßten sie sich erkennbar mit zweierlei. Eine Anzahl von ihnen waren offensichtlich Kriminalpolizisten, die zielstrebig nach Geschäftsunterlagen Ausschau hielten. Sie suchten nach Kontoauszügen, Bestellungen, Rechnungen, Buch-führungsunterlagen u.ä. Einige andere interessierten sich dafür in keinster Weise, sondern waren allein damit beschäftigt, zu sichten, was an Büchern, Zeitschriften, Veranstaltungsprogrammen, Briefen anderer muslimischer Einrichtungen usw. vorhanden war. Einmal konnte man hören, daß sie einander fragten: Is nix von Al-Aqsa dabei? Al-Aqsa ist bekanntlich der Name der mittlerweile verbotenen palästinensischen Hilfsorganisation, und offenbar hätte es als Erfolg gegolten, wenn im Islamischen Zentrum ein Hinweis darauf zu finden gewesen wäre, daß es, wenn auch nur in der Vergangenheit, vielleicht einmal Kontakte gegeben hätte. Aber scheinbar war „nix“ von Al-Aqsa dabei.
Auch die Schulbücher, die bei unserem Kinderunterricht am Wochenende Verwendung finden, wollten diese Herrschaften gern mitnehmen, und man kann sich vorstellen, weshalb. Dazu kam es dann aber am Ende nicht, wie auch bei einem ganzen Stoß anderen Materials, das sie sich schon zurechtgelegt hatten. Denn eine deutsche Polizei-Mitarbeiterin mit Arabischkenntnissen, die Dolmetscherin und auch Islamwissenschaftlerin genannt wurde, mußte dem anwesenden Staatsanwalt die einzelnen Stücke erläutern, und der Staatsanwalt verhielt sich korrekt. Er wies alles ab, bei dem offensichtlich kein Bezug zur Ermittlung des Geldwäschefalls bestehen konnte. Selbst der betonte Hinweis der Islamwissenschaftlerin, auf einem Blatt stehe doch der Name von Scheich al-Qardawi, beeindruckte ihn nicht. Auch dieses Blatt blieb unbeschlagnahmt zurück.
Gegen Ende der Aktion bewirteten wir unsere Besucher mit Kaffee und erhielten schließlich den „Durchsuchungs- und Sicherstellungsbericht.“ Demnach hatte die ganze Maßnahme über fünf Stunden gedauert, von 06.00 bis 11.15 Uhr. Beschlagnahmt wurden nach diesem Bericht: Vier Aktenordner, zwei Seiten Notizen, eine Diskette, eine CD, drei Videokassetten „arab. Aufschrift“, zwei Quittungsblöcke, zwei „Bestandslisten“ (was immer das sein soll), zwei Kontoauszüge, drei Computer und 380 MB auf polizeilichen Datenträger gespeichert.
Zumindest auf den ersten Blick scheint das Ergebnis also eher etwas mager für einen fünfstündigen Einsatz von über vierzig Beamten. Aber es ist verständlich, daß man ohne genauere Prüfung nicht beurteilen kann, was im Einzelnen diese Aktenordner und Computer aus unserem Islamischen Zentrum beinhalten. Deshalb hat die Polizei diese zur genaueren Untersuchung mitgenommen.
Woher aber stammen die „stapelweise CDs, Goldschmuck, ein Laptop, und jede Menge Bücher und Schriften“ die beschlagnahmt wurden, von denen in der Zeitung zu lesen war? Woher die „Kassetten und CDs mit Hassbriefen“, von denen „Spiegel online“ berichtete? Woher die „fast eine Million Tonträger“? Woher die „€ 50 000 Bargeld“? (So viel haben wir nicht einmal auf unserem Bankkonto, geschweige denn in der Barkasse!) Und vor allem, wo wurde jemand verhaftet, ganz gleich ob mutmaßlicher Terror-Finanzier oder nicht, wo?
All das hat im Islamischen Zentrum München, in unserer Moschee, nicht stattgefunden. Aber die Medien zeigten bei nahezu allen Meldungen das Bild unserer Moschee dazu, die Fernsehkameras schwenkten auf das Schild an der Bushaltestelle, auf dem groß „Islamisches Zentrum München“ steht und dann auf die zahlreichen schwarzgekleideten bewaffneten Polizisten, die rund um die Moschee zu sehen waren. Das ist ein Skandal, aber nicht der eigentliche Skandal.
Und dann meldete sich Bayerns Innenminister stolz zu Wort, dahingehend zitiert, er werte die Aktion als „weiteren Beleg für die Entschlossenheit im Vorgehen gegen islamistische Extremisten.“ Der Druck auf sie werde erhöht. Man werde alle Mittel des Ausländerrechts nutzen, „um Top-Gefährder und Hassprediger so schnell wie möglich außer Landes zu bringen.“
Er läßt damit erkennen, daß die ganze Aktion, wenn nicht allein, dann doch auch mit Sicherheit ein Signal sein sollte. Einerseits ein Signal an die Öffentlichkeit: Wir, die Regierenden, haben alles unter Kontrolle. Und wir werden alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um unsere Sicht der Dinge durchzusetzen. Wer Terrorist ist, bestimmen wir! Wer Extremist ist, bestimmen wir! Und wer Islamist ist, bestimmen auch wir! Und andererseits ein Signal an die Muslime: Wagt euch nicht, in die Moscheen zu gehen, denn wir betreten jede Moschee, wann immer wir wollen, und beschlagnahmen dort, was immer wir wollen und beschaffen uns dort jedwede Information, die wir wollen! Auch das ist ein Skandal, aber noch immer nicht der eigentliche Skandal.
Und wir Muslime? Die Aktion in München vom 14. April 2005 ist nicht das erste Signal dieser Art. Schon fast routinemäßig finden ja praktisch monatlich irgendwo in Deutschland derartige Überfälle auf Moscheen statt. In diesem Sinn hieß auch die Schlagzeile in „Die Welt“: „Weiter Anti-Terror-Kampf in Deutschland: Großrazzia gegen mutmaßliche Geldgeber.“ Und jedesmal verkünden die Politiker, die das zu verantworten haben, es handele sich dabei um ein Signal. Dabei haben wir es doch schon längst verstanden, dieses Signal. Es lautet: Mißbrauch von Teilen der Justiz und der Polizei durch die Staatsgewalt ist praktisch und möglich! Auch das ist ein Skandal, aber was ist der eigentliche Skandal?
Als gläubige, praktizierende Muslime haben wir keine Einwände gegen gerechtfertigte, notwendige Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung oder Wahrung der Sicherheit. Den Pressemeldungen zufolge ging aber die Polizei zur selben Zeit an insgesamt 30 Orten, davon fünf Moscheen, „gegen Islamisten“ vor. Damit ist ein ganz anderes Stichwort gegeben, nämlich das der politischen Auseinandersetzung mit dem Islam. Als gläubige, praktizierende Muslime protestieren wir dagegen, daß polizeiliche Maßnahmen instrumentalisiert werden. Wer sich berufen fühlt, von den Muslimen in Deutschland Gesetzestreue und Integrationsbereitschaft zu fordern, muß glaubwürdig sein. Glaubwürdig ist nicht, wer sich mittels eines Vorwandes Zutritt zu Räumen, Dokumenten und Informationen verschafft, die ihm nicht offenstehen, und glaubwürdig ist nicht, wer derart die Privatsphäre von zahlreichen Menschen verletzt, die weder unmittelbar noch mittelbar mit dem hier vorgegebenen Ermittlungsfall in Verbindung stehen.
Wer so handelt, sägt an dem Ast, auf dem er sitzt, und Hochmut, so heißt es in dem alten Sprichwort, Hochmut kommt vor dem Fall. Eine Gesellschaft, die so etwas hinnimmt und dagegen nicht einschreitet, eine Gesellschaft, die einen solchen Machtmißbrauch duldet und sich derartiger Medienmanipulation nicht widersetzt, eine solche Gesellschaft muß unweigerlich mit in den Abgrund fallen.
Daß niemand dem entgegentritt, das ist der eigentliche Skandal.
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