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Dienstag, 28.04.2015

"Ihre Renten zahlen Zuwanderer"

Gutachten zeigt Fortschritte und Mängel der Migrationspolitik- Bei der europäischen Asylpolitik gibt es aus Sicht der Wissenschaftler den größten Nachbesserungsbedarf

Berlin (KNA) Acht Wissenschaftler sitzen bei der Vorstellung des
Jahresgutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für
Integration und Migration (SVR) auf dem Podium. Unter ihnen sind
Juristen, Soziologen, Ökonomen, Geografen und Migrationsforscher. Sie
alle haben sich für das sechste Gutachten der Frage gewidmet, wie
Deutschlands Migrations- und Integrationspolitik im internationalen
Vergleich abschneidet. Das Ergebnis ist anders als die öffentliche
Selbstwahrnehmung durchaus positiv: Deutschland habe in den
vergangenen Jahren aufgeholt und halte mit klassischen
Einwanderungsländern mit, bekräftigt die Vorsitzende Christine
Langenfeld. Erfreulich, aber kein Grund, sich auszuruhen. Die
To-Do-Liste bleibe lang, betont die Rechtswissenschaftlerin.

Fakt ist, so der Rat, dass Deutschlands Bevölkerung auch mit einer
jährlichen Netto-Zuwanderung von 200.000 Erwerbsfähigen bis 2050 um
zehn Millionen schrumpft. Der Wiener Geograf Heinz Faßmann erklärt:
Mit einer Geburtenrate von 1,4 Kindern pro Frau reproduziere sich
aktuell eine Generation nur zu zwei Dritteln. Der Dortmunder
Bildungsforscher Wilfried Bos ergänzt mit Blick in die Runde: «Ihre
Renten zahlen Zuwanderer.» Das gelte auch für die Demonstranten der
«Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes»
(Pegida). Die Ratsvorsitzende Langenfeld fügt hinzu, dass die
Attraktivität für Zuwanderer auch vom Klima in der Gesellschaft
abhänge. «Deutschland muss sich international, aber auch nach innen
noch sehr viel stärker und glaubwürdiger als Einwanderungsland
definieren und positionieren.»

In seinem Jahresgutachten vergleicht der Sachverständigenrat
Deutschland mit Ländern wie Kanada, USA und Schweden, die oft als
Vorbilder bei der Einwanderungspolitik gelten. Dabei schneidet die
Bundesrepublik vor allem bei der Arbeitsmigration gut ab. So gebe es
mittlerweile Visa zur Arbeitssuche für Akademiker aus Drittstaaten,
ohne dass ein Arbeitsvertrag vorliegen müsse. Eine ähnliche Regelung
sei für nicht-akademische Fachkräfte geplant. Die Ratsvorsitzende
Langenfeld fügt hinzu, dass Deutschland von anderen Staaten nur
bedingt lernen könne. Die «schlichte Übertragung von Rezepten» aus
anderen Staaten sei oft nicht möglich. Kanada etwa sei längst von
einem rein auf die Qualifikation ausgerichteten Punktesystem
abgekommen. Und die an die EU gebundene Asylpolitik Deutschlands
macht das Ganze komplexer.

Genau bei der europäischen Asylpolitik gibt es aus Sicht der
Wissenschaftler den größten Nachbesserungsbedarf. «Die
Flüchtlingspolitik ist ein Prüfstein für die Handlungsfähigkeit der
EU und ihrer Mitgliedsstaaten», bekräftigt Langenfeld. Noch
beteiligten sich zu wenige Staaten an der Aufnahme. Es brauche vor
allem für die Bootsflüchtlinge aus Krisengebieten eine schnelle
kollektive Aufnahme und Verteilung auf alle EU-Länder. Zugleich müsse
die Seenotrettung noch stärker ausgebaut werden und die Bekämpfung
der Fluchtursachen müsse endlich ernsthaft betrieben werden. Sie
dürfe nicht wie in den vorherigen Jahren und Jahrzehnten so oft
binnen weniger Monaten wieder von der Agenda verschwinden.

Parallel zu diesem Sofortprogramm spricht sich der
Sachverständigenrat für eine neue Struktur des Dublin-Verfahrens aus.
Derzeit entzögen sich viele Flüchtlinge dem Antrag im
Ersteinreiseland und die Länder ließen sie gewähren. Das bringe aber
das System zum Erliegen, sagte Langenfeld. Der EU-Staat, in dem ein
Flüchtling einreist, solle zwar weiterhin für die Aufnahme, das
Asylverfahren und die Rückführung nicht anerkannter Flüchtlinge,
zuständig sein. Ein anerkannter Flüchtling sollte jedoch die
Möglichkeit erhalten, in das gewünschte EU-Land weiterzureisen.
Voraussetzung seien finanzielle Hilfen für die EU-Länder, in denen
die meisten Flüchtlinge ankämen, und ein EU-weites Einhalten der
Standards bei der Unterbringung von Flüchtlingen.

Das Asyl-System greift jedoch nicht für den Wirtschaftsflüchtlinge
aus Afrika oder dem Kosovo. «Hier sind andere Maßnahmen notwendig»,
sagt Langenfeld. Vor allem die Bekämpfung der Fluchtursachen stehe
ganz weit oben.



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