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Mittwoch, 11.02.2015

Berlinale 2015-Bosnische Asylanten an Bord des Schiffes Flotel Europa

Bei der 65. Berlinale lief in der Filmreihe Forum der aus Bosnien stammende Film Flotel Europa. Regie führt Vladimir Tomic. Der 1980 in Sarajevo geborene Filmemacher besuchte 2002 die CPH Film- und Fotoschule Kopenhagen und von 2003 bis 2009 studierte er erfolgreich an der Königlich Dänischen Akademie der Künste.

Flotel Europa ist sein Debüt im Bereich der Langfilme. Zugleich stammt das Drehbuch auch von Vladimir Tomic. Bei seinem Werk handelt es sich um einen Found-Footage-Film. Das Filmmaterial von Amateurfilmern als auch von professionellen Kameraleuten wurden zu einem Film verarbeitet. Bei diesem Genre hat der verantwortliche Regisseur keine oder nur ganz wenige Szenen selbst gedreht. Oft verschwimmen bei dieser Filmart auch die Bereiche Fiktion und Dokumentation, was aber den besonderen künstlerischen Reiz der Found Footage-Filme ausmacht. Vladimir Tomic bekam über 100 Stunden Filmmaterial von Betroffenen überreicht, die am Ende auf gesamt 70 Minuten Filmlänge verkürzt wurden. Im Balkankonflikt fliehen tausende Menschen aus ihrem alten Heimatland, dem ehemaligen Jugoslawien. Der Filmemacher kam als Kind mit seinem älteren Bruder und der Mutter von Sarajevo nach Kopenhagen. Der Vater sah es als Ehrensache an, die Heimat zu verteidigen und blieb in Bosnien. Tomic erzählt den Zeitraum von 1992 bis 1994.

Die Großeltern verabschieden die Enkelkinder und die Tochter. Der Großvater vertraut dem ältesten Enkel das wertvollste Stück an, das er zu vergeben hat: Eine goldene Taschenuhr. Die Erwachsenen wissen nur zu genau, dass der Krieg viele Todesopfer fordern wird. Man nimmt für immer Abschied, auch wenn das niemand auszusprechen wagt. Eine Filmszene ist zu sehen, wo ein Kind die Mutter auf der Flucht fragt: „Was ist eigentlich ein Asylant?“ Nie zuvor hatten die Kinder das Wort gehört. Mutter und Söhne finden in Dänemark ein neues zu Hause auf einem Schiff. Es trägt den Namen Flotel Europa. Mit mehr als 1.000 Landsleuten teilt man sich das fest an der Kopenhagener Pier verankerte Schiff. Pro Kabine leben bis zu 4 Personen, Küchen und sanitäre Anlagen stehen als Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfugung. Die qualvolle Enge an Bord des Schiffes ist regelrecht zu fühlen beim Zuschauer. Keiner murrt, man ist Dänemark für die Hilfe sehr dankbar.

Unisono heißt es bei den Betroffenen, egal wie wir an Bord leben, hier findet kein Krieg statt, wir leben im Frieden. Die Bosnier fertigen VHS Kassetten an und senden diese an Verwandte nach Sarajevo. So bleibt man in Kontakt. An Bord des ehemaligen umgebauten Dampfers leben auch Filmexperten, Tontechniker, Schauspieler, Sänger und Reporter. Die Kinder gehen werktags in eine speziell für sie gegründete Schule, die Erwachsenen beschäftigen sich mit sich selbst.

So finden an Bord Kulturveranstaltungen von Asylanten für Asylanten statt. Auf diese Weise wird auch die Langeweile bekämpft. Da legale Arbeit ihnen untersagt ist, wird versucht, im Graubereich Geld hinzuzuverdienen. Das kann mit dem Sammeln von Pfandflaschen unternommen werden, darin sehen die dänischen Behörden keine Arbeit im klassischen Sinne. Ab Mitte 1990 erhielten die bosnischen Flüchtlinge Wohnungen nach und nach an Land, einige zogen später nach Bosnien zurück, andere verblieben in Dänemark. Flotell Europa konnte eingemottet werden. Sehr viele junge Menschen sahen das skandinavische Land als ihre neue Heimat an. Sie fanden in Dänemark Freunde und es gab zahlreiche
bosnisch-dänische Eheschließungen. Die ehemaligen Flüchtlinge haben heute, im Jahr 2015, eine andere Einstellung zu im Aquarium lebenden Fischen, teilt der Regisseur mit. In der Zeit auf dem Schiff kamen sich die Bosnier wie Fische im Aquarium vor. Dieser Film zeigt auf, zu was Krieg immer führt, egal wer ihn beginnt und warum Menschen sich bekriegen: Tod, Vertreibung und Elend gehen mit dem Krieg einher. Victor Tomic wollte aber kein Werk bei der Berlinale 2015 abliefern, dass eine bestimmte Seite im damaligen Balkankrieg als Aggressor darstellt. Im Pressegespräch betonte er, sein Werk solle ein zumindest weiterer kleiner Schritt in Richtung Aussöhnung sein. Das ist ihm auch bereits gelungen. Der ehemalige Kriegsgegner Jugoslawien wird dieses beeindruckende Werk demnächst auf einem Filmfestival in Serbien zeigen. (Volker-Taher Neef, Berlin)



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