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Sonntag, 06.04.2014
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Zum NSA-Untersuchungsausschuss: Mit Feigheit lässt ich das Grundgesetz nicht verteidigenWenn Grundrechte sich in einem prekären Zustand befinden, dann ist nicht Zeit für weihräuchernde Worte, sondern für schützende Taten, fordert Heribert Prantl in einem aufsehenerregenden Leitartikel der Süddeutschen ZeitungZu Ostern verzehrt man gefärbte Eier; zu Weihnachten Stollen und Lebkuchen. Das passende Gebäck zum bevorstehenden 65. Jubiläum des Grundgesetzes ist der Donut. Es handelt sich um einen handtellergroßen amerikanischen Krapfen, um ein rundes Ding aus Hefe- oder Rührteig, das in der Mitte ein Loch hat. Dieser amerikanische Lochkrapfen ist ein Symbol für die deutsche Verfassung in den Zeiten von NSA: Das Grundgesetz, auf das so viele Deutsche so stolz sind, ist nämlich in der Mitte hohl; der US-Geheimdienst NSA hat es ausgehöhlt.In dieser hohlen Mitte sitzt die National Security Agency der USA und greift auf sämtliche Kommunikationsdaten zu; die NSA forscht Bürger, Behörden, Unternehmen und Organisationen aus; und die NSA gedenkt nicht, damit aufzuhören. In der hohlen Mitte des Grundgesetzes arbeitet auch der US-Militärstützpunkt Ramstein, über den der weltweite Drohnenkrieg der Amerikaner gesteuert wird. Ramstein Air Base am Rande des Pfälzerwalds ist (wie in dieser SZ-Ausgabe detailliert nachzulesen ist) ein Zentrum der US-Exekutionslogistik. Der drohnengesteuerte Tod in Afghanistan, Somalia oder Jemen hat also auch einen deutschen Absender. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, heißt es im Grundgesetz – die US-Gewalt in und aus Deutschland ganz offensichtlich nicht; sie ist auch nicht an Recht , Gesetz und Verfassung gebunden. Von der deutschen Justiz wird dieses Tun nicht gebremst und nicht gehindert. Die Bundesanwaltschaft ermittelt nicht, weil ein Ermittlungsverfahren mit US-Interessen kollidieren würde – und angeblich „die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen würde“; und weil einer Strafverfolgung „sonstige überwiegende öffentliche Interessen entgegen stehen“, wie es heißt. Gibt es Interessen, die wichtiger sind als der Schutz der Grundrechte? Wichtiger als der Schutz der Verfassung? Die Bundesanwaltschaft versteht sich im Jahr des Grundgesetz-Jubiläums offenbar nicht als Justizorgan zum Schutz der Verfassung und ihrer Grundrechte, sondern als Donut-Bäckerei. Es ist die einzige Bäckerei in Deutschland, an deren Spitze ein Staatsanwalt steht – ja, der Generalbundesanwalt. Zum 65. Grundgesetz-Jubiläum am 23. Mai werden schöne Reden gehalten werden; der Bundespräsident wird die Verfassung rühmen, der Bundestagspräsident wird sie preisen, die Ministerpräsidenten werden sie feiern. Das alles ist schön, aber nicht ausreichend, also nicht gut. Es reicht nicht, die vergangenen 65 Jahre zu besingen und den Mut der Mütter und Väter des Grundgesetzes zu loben, die auf dem zitternden Boden der Nachkriegsjahre, in unsicherster Zeit also, Grundrechte ohne Wenn und Aber formuliert haben. Diese Grundrechte müssen immer wieder, immer neu verteidigt werden, ohne Wenn und Aber. Der Mut der Politiker in den Jahren 1948/49 fordert auch den Mut von heute. Wenn Grundrechte sich in einem prekären Zustand befinden, dann ist nicht Zeit für weihräuchernde Worte, sondern für schützende Taten. Die einzige wirklich wichtige Veranstaltung zum Grundgesetz-Jubiläum hat soeben begonnen. Sie ist nicht als Jubiläumsveranstaltung deklariert. Es handelt sich um den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages, der sich am Donnerstag konstituiert hat. Es ist dieses einer der wichtigsten Untersuchungsausschüsse in der Geschichte der Bundesrepublik: Er soll aufklären, wie es zum Loch im Grundgesetz kommen konnte, wie groß es ist und was dagegen getan werden kann. Dieser Untersuchungsausschuss ist nun, weil andere Staatsgewalten offensichtlich versagen, der Hüter der Verfassung. Die Mitglieder dieses Ausschusses müssen sich mit dem Ernst, mit dem Mut und dem Verantwortungsbewusstsein an die Arbeit machen, der einst die Grundgesetz-Arbeit von 1948/49 ausgezeichnet hat. Dazu gehört es natürlich, Edward Snowden als Zeugen zu laden und ihm dafür freies Geleit und den Schutz zu geben, den er braucht. Die Politiker, die erklären, Snowden habe doch schon alles gesagt, was er weiß, betreiben nicht nur unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung; sie sind vor allem feige. Mit Feigheit lässt sich das Grundgesetz nicht verteidigen. Vertrauen ist das Kapital der Demokratie und die Währung des Rechtsstaats. Um dieses Vertrauen geht es im NSA-Untersuchungsausschuss. Kann dieses Vertrauen nicht wieder gefestigt werden, dann verspielt der Staat des Grundgesetzes das Vertrauen der Menschen so, wie es die Großbanken schon verspielt haben. Dann wird der Verfassungspatriotismus, der schönste Patriotismus der deutschen Geschichte, schon bald Geschichte sein. Erstveröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vor 2 Tagen mit freundlicher Genehmigung des Autors Prof. Dr. Heribert Prantl, Richter a.D., Journalist und Innenchef der SZ |