Leserbriefe
H. Sharif: Als Mutter bin ich in doppelter Hinsicht betroffen schrieb:
An die Kultusminister der Bundesländer
An die Senatoren für Bildung
Sehr geehrte Damen und Herren,
Als Mutter einer Tochter und muslimischen Glaubens, verfolge ich mit großer Besorgnis die beschämende Kopftuchdiskussion, die in diesem Lande ausgebrochen ist und einmal mehr zeigt, wie integrationsunwillig einige Teile der deutschen Gesellschaft sind, angeführt und gelenkt von ihren leider noch zu vielen unwilligeren Politikern. Politiker, die nicht nur zuließen, dass dieses Land in vielen Bereichen des Bildungswesens zugrundegerichtet wurde, sondern auch auf dem besten Wege sind, in Fragen der Integrationspolitik, Deutschland im europäischen Vergleich weit, weit hinter seinen Möglichkeiten zu lassen.
Als beschämend bezeichne ich diesen Zustand, da angeblich in rechtstaatlicher, demokratischer Verantwortung stehende Bildungssenatoren und Kultusminister mit einer Überzeugung in die Öffentlichkeit gehen und vehement, als ginge es um die nackte Existenz des gesamten Abendlandes, hier in besonderem Maße des deutsch-christlichen Abendlandes, ein Gesetz fordern, das in klassischer Weise und unmissverständlich die Diskriminierung und Ausgrenzung der muslimisch-gläubigen Bevölkerung, insbesondere der muslimischen Frauen zum Ziel hat. Auffallend ist auch, wie viele sogenannte Islamexperten in Deutschland plötzlich aus dem Boden wachsen, wie Bettelmönche durchs Land ziehen und die Gefährlichkeit und Schlechtigkeit des bösen, bösen Islams predigen, die unmittelbar bevorstehende Gründung des Gottesstaates prophezeien, sollte muslimisch- gläubigen Lehrerinnen tatsächlich erlaubt werden, ihren erlernten Beruf auszuüben. Ich weiß ja nicht, unter welcher paranoiden Wahnvorstellung alle diese Menschen leiden aber hier sollte doch wirklich mehr Sachlichkeit angebracht sein.
Als Mutter bin ich in doppelter Hinsicht betroffen: hier aufgewachsen, meine Sozialisation genossen und hier lebend, waren und sind leider noch immer Rassismus und Diskriminierung keine unbekannten Begleiter auf meinem Lebensweg und so wie es aussieht, scheint dieses Schicksal im weiteren Lebenslauf und während der weiteren Biographie meiner Tochter eine sichere Konstante zu bleiben. Lassen Sie mich Ihnen in Erinnerung und Ermahnung rufen, die Bedeutung, den Hintergrund und die Reichweite ihrer Bemühungen um ein sog. Diskriminierungsgesetz (nichts anderes ist es) für muslimische Lehrerinnen, das ich für einen höchst bedenklichen, um nicht zu sagen, im weltweiten Bemühen um Integration in unserem Zeitalter der Globalisierung, um einen peinlichen Fehltritt halte. Eine folgenschwere Entscheidung für eine demokratisch, rechtstaatliche Gesellschaft, die über ein hochachtungsvolles Grundgesetz verfügt.
Nichts desto trotz will ich meinen Glauben an die Vernunft in diesem Lande nicht aufgeben und wende mich mit meinem Brief an Sie, die Sie verantwortlich sind für die Zukunft auch und gerade unserer Töchter. Ich will an ihrer Haltung nicht resignieren und mich weiterhin für Toleranz und Verständnis einsetzen, so wie der größte Teil der Muslime hier in Deutschland, die seit langer Zeit und mit viel Überzeugung für einen Dialog und für Toleranz zwischen den Religionen und Kulturen bemüht sind. Hierbei möchte ich den mittlerweile bundesweit, jährlich sattfindenden Tag der offenen Moscheen am 03. Oktober erwähnen, an dem die Moscheen allen Interessierten offen stehen und zum Gespräch einladen. Doch Aktionen und Haltungen wie die Ihrige, machen diese wichtige und notwendige Arbeit all derer, die mit Überzeugung und viel Einsatz für eine bessere, tolerante und friedliche Gesellschaft eintreten, zunichte und berauben sie ihrer bisher erlangten Erfolge, anstatt sie zu unterstützen.
Ich fordere sie auf, aufzuhören, in Stammtischmanier ihre Ämter zu missbrauchen. Fangen Sie endlich an, nach der 3. Generationen islamischer Migranten in Deutschland, ihr Amt verantwortungsvoll, weitsichtig und vor allem im Sinne aller Bürger in Deutschland (auch der muslimisch Gläubigen) auszuüben und machen Sie endlich den ersten vernünftigen Schritt in Richtung echter Integrationspolitik. Der erste Schritt, der unbedingt lauten muß „Vertrauen schaffen“!!!“
Um einen gemeinsamen Konsens für ein harmonisches Zusammenleben verschiedener Religionen und Kulturen in einer Gesellschaft zu finden, ist es wichtig, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, sich nicht an den Verschiedenheiten zu stören, ihnen überzogenen Bedeutungen beizumessen, um Angst und Hass unter den Menschen zu verbreiten. Mittlerweile haben Sie nichts Negatives ausgelassen, was Sie nicht in dieses 80 x 80 cm Stück Stoff hineininterpretiert haben.
Es liegt gerade in Ihrer Pflicht, dafür zu sorgen, dass jedes Mädchen in diesem Land (auch ein muslimisches Mädchen) das Recht auf einen eigenen Berufswunsch hat und dafür Sorge zu tragen, dass sie ihn auch verwirklichen kann, auch als Lehrerin. Hören Sie auf, per Gesetz Hass, Diskriminierung und Ausgrenzung Tür und Tor öffnen zu wollen. Heute ist es das Kopftuch der Lehrerin, morgen das der Schülerin, dann unsere Gebetsstätten....! Müssen wir uns demnächst vielleicht auch mit dem hinteren Teil im Bus begnügen, weil der vordere Bus mit den guten Plätzen für Christen vorbehalten ist ??? Wann begreifen Sie endlich, dass wir ein fester Bestandteil dieser Gesellschaft geworden sind ? Wir werden nicht aufhören, für uns und vor allem für unsere Kinder das einzufordern, was uns zusteht, nämlich unseren gleichwertigen Platz in dieser Gesellschaft, eine gemeinsame Zukunft in der wir nicht nur die selben Pflichten haben, sondern auch die selben Rechte, auch das Recht auf freie Berufsausübung.
Sie wissen sehr wohl, dass der staatliche Auftrag zur Erziehung und Bildung, gerade zur Integration und zur Befähigung zum gleichberechtigten Miteinander in einer pluralen Gesellschaft, in öffentlichen Schulen vorrangig und am erfolgreichsten eingeübt werden kann. Aber bei mir verdichtet sich immer mehr der Verdacht, dass Sie gerade das bekämpfen und zu vermeiden versuchen. Sind Sie nicht an ehrlicher, authentischer und offener Integration und am sozialem Frieden interessiert? Und glauben Sie denn tatsächlich, dass die hier lebenden islamischen Frauen und Mädchen das Kopftuch in einem anderen als in einem religiösen Sinne tragen, als Ausdruck einer religiösen und zwar ganz eigenen und individuellen Integration und nicht etwa, wie vollkommen fälschlich verkannt als Symbol eines politischen Standpunktes? Es ist kein > Emblem des Islamismus <, kein Widerspruch gegen das westliche Verständnis der Menschenrechte und der Menschenwürde und steht damit in keinerlei Widerspruch zum Erziehungsauftrag an öffentlichen Schulen.
Den Frauen in Deutschland ihr Recht auf ihr Kopftuch zuzusprechen, bedeutet gesellschaftspolitisch, dem Islam als einer der größten und humanistischen Religionen (neben dem Judentum und Christentum) die nötige Achtung entgegenzubringen. Und das ist und sollte doch einer der wichtigsten Grundsätze sein, die man in der Schulerziehung dem Menschen, dem Kind beibringen sollte: Toleranz, gelebt und manifestiert in jedem Einzelnen, im täglichen Umgang miteinander und ist die Schule dafür nicht gerade ein gut geeigneter Rahmen?
In der Diskussion um das Kopftuchverbot brüsten Sie sich immer gern mit Frankreich als Paradebeispiel. Frankreich rechtfertigt sein Kopftuchverbot zwar mit seiner laizistischen Staatsform aber wenn Sie Laizismus im Brockhaus nachschlagen, werden Sie feststellen, das Laizismus zwar Kirche und Staat trennt aber nicht notwendigerweise auch antireligiös ist. Warum schauen Sie nicht mal rüber nach Schweden, Spanien, oder England? Sie würden sehen, dass es auch ganz anders und zugleich im demokratischen Sinne geht.
Es würde mich interessieren, ob Sie ihren Gedanken einmal zuende gedacht haben? Haben Sie sich mal gefragt, was für Folgen es haben könnte, sollten Sie mit ihrem Kopftuchverbot tatsächlich erfolg haben, was ich Ihnen von ganzem Herzen nicht wünsche? Nun, ich kann zwar nicht hellsehen, aber glauben sie nicht, Sie könnten durch dieses Diskriminierungsgesetz rechtsradikalem, braunem Gedankengut einen willkommenen Nährboden bieten? Dafür verantwortlich sein, wenn muslimische Mädchen und Frauen wegen ihres Kopftuches permanent Repressalien ausgesetzt sein werden.? Meinen Sie nicht, dass Sie das Vertrauen von 3,5 Millionen Muslime in Deutschland verspielen? Glauben Sie die Muslime würden dieses einfach sang- und klanglos schlucken? Glauben Sie, muslimische Eltern würden es widerstandslos hinnehmen, dass Sie per Gesetz Ihre Kinder zu Ausgegrenzten, zu Bürgern 2. oder gar 3. Klasse erklären und so negativ in ihre Zukunft eingreifen?
Vielleicht fällt ihnen die Einsicht leichter, wenn Sie sich daran erinnern, dass Deutschland damals nach dem Krieg unsere Väter als Gastarbeiter angeworben hat. Unsere Väter haben schwerst gearbeitet, um Deutschland mit aufzubauen und in den Wohlstand zu führen. Wir, die Gastarbeiterkinder wurden nicht gefragt. Das Schicksal hat uns einfach in diese Gesellschaft hineingeboren. Damals waren Sie nur an Arbeitskräfte interessiert, gekommen sind aber keine Roboter, sondern Menschen., Väter und Mütter. Es dürfte wohl das Mindeste sein, dass Sie –wenn auch um Jahrzehnte verspätet- Ihrer Verantwortung uns und unseren Kindern gegenüber gerecht werden und jedem in dieser Gesellschaft die gleichen Chancen und Möglichkeiten geben, sein Leben und seine Zukunft ohne staatlich verordnete Diskriminierung zu gestallten.
Bitte machen Sie es sich nicht zu einfach, simplifizieren Sie nicht an unpassender Stelle und bedenken Sie, dass das Kopftuch nicht zu assoziieren ist mit Islamismus und Absage an westlich orientierte, demokratische Werte und Normen. Damit beginnen Sie einen unverzeihlichen und in seiner weltweiten Auswirkung derzeit vielleicht noch nicht überschaubaren Fauxpas, denke ich.
Ich wünsche mir durch meinen Brief, wenigstens die Vernunft einiger Kultusminister und Senatoren zu erreichen, in der Hoffnung, in ihnen doch noch den Geist der freiheitlichen Demokratie wiederzufinden und zur Besinnung und Kurskorrektur bewegen zu können, denn ich bin fest davon überzeugt, eine bessere Welt ist möglich, Sie müssen sie nur wollen. In diesem Sinne verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
H. Sharif
Niedersachsen, den 21.01.2004
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