Der Bundesrat
Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit. Mit diesen Worten beschreibt Artikel 50 des Grundgesetzes sehr nüchtern die Aufgaben der Länder im Bundesrat.
Die Bedeutung dieser Verfassungsbestimmung erschließt sich am besten, wenn man zunächst den föderalen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland betrachtet. Der Begriff des Föderalismus geht auf das lateinische Wort foedus zurück, es bedeutet Bündnis. Deutschland gliedert sich als Gesamtstaat - als Bund - in 16 Gliedstaaten. Das sind unsere Länder. Das Entscheidende daran: die Länder sind - wie der Bund - Staaten. Sie haben also eigene Zuständigkeiten, eigene Parlamente, Regierungen und Verwaltungen, sogar eigene Verfassungen.
Lange Geschichte des Föderalismus
Der föderative Staatsaufbau Deutschlands ist historisch gewachsen. Seine Ursprünge lassen sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Landkarten der damaligen Zeit gleichen "Flickenteppichen", zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Königreichen, Fürstentümern und Städten. Von so etwas wie "Deutschland" konnte seinerzeit kaum die Rede sein.
So dauerte es bis 1866, ehe sich aus der Kleinstaaterei der Fürstentümer der erste deutsche Bundesstaat, der Norddeutsche Bund, konstituierte, dem 1871 das Deutsche Reich folgte. Es war ein aus 25 Staaten bestehender Bundesstaat. Die Gliedstaaten behielten zwar eine starke Stellung und hatten eine eigene Vertretung im Reich, den Bundesrat. Die Entscheidung über Fortdauer und Entwicklung des Reichs lag aber jetzt bei den Organen des Gesamtstaates.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Monarchie wurde 1919 die "Weimarer Republik" gegründet. Aus den alten Gliedstaaten wurden Länder, die ihre Interessen gegenüber dem Reich im Reichsrat geltend machen konnten. In der Folge der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 und ihrer Gewaltherrschaft wurde die bundesstaatliche Struktur Deutschlands zerschlagen.
Neuanfang und Wiedervereinigung
Als der zweite Weltkrieg 1945 mit der Niederlage Deutschlands und dem Untergang des nationalsozialistischen Schreckensregimes sein Ende gefunden hatte, war das staatliche Leben in Deutschland praktisch zusammengebrochen. Es lag nahe, beim Wiederaufbau an bewährte deutsche Verfassungstradition anzuknüpfen und zu einer föderalen Gliederung zurückzukehren. Lange vor der Wiederherstellung einer zentralen deutschen Verwaltung gingen die Besatzungsmächte daran, in ihren Besatzungszonen Länder entweder wiederzubeleben oder neu zu gründen.
Als dann in den westlichen Besatzungszonen der Parlamentarische Rat 1948/1949 das Grundgesetz ausarbeitete, waren die Länder bereits existent. Ihre Vertreter errichteten die bundesstaatliche Ordnung. Dies geschah unter der Aufsicht der drei westlichen Besatzungsmächte, die ebenfalls daran interessiert waren, die Stärke der Gliedstaaten gegenüber dem Bund zu erhalten.
Im östlichen Teil Deutschlands dagegen verschwanden die Länder mit dem kommunistischen System des "demokratischen Zentralismus", in dem für autonome Länder kein Platz war. Erst mit dem Ende der DDR und der Wiedervereinigung im Jahre 1990 entstanden hier die fünf Länder neu. Seitdem gelten das Grundgesetz und seine föderale Ordnung in allen Teilen Deutschlands.
Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern
Das Grundgesetz sieht die Grundregel vor, dass immer dann, wenn nichts anderes ausdrücklich bestimmt ist, eine staatliche Funktion von den Ländern wahrzunehmen ist. Allerdings liegt im Bereich der Gesetzgebung der Schwerpunkt der Zuständigkeit eindeutig beim Bund. Die Länder haben hier zwar nur begrenzt Kompetenzen, aber inhaltlich bedeutende wie etwa in der Kultur- und Bildungspolitik, bei den Gemeinden und für die Polizei. Auch entscheidende Themen der Religionspolitik - von der Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts über die Ausgestaltung des Religionsunterrichtes bis hin zu Feiertags-, Bildungs-, Medien- und Bestattungsfragen - weist die deutsche Verfassungsordnung bewusst den Ländern zu. Auch Verwaltung ist im Allgemeinen eher Sache der Länder.
Der Bundesrat stellt nun das Bindeglied zwischen dem Bund und den Ländern dar. Er ist neben dem Deutschen Bundestag die zweite gesetzgebende Körperschaft auf Bundesebene. Durch ihn haben die Länder Gelegenheit, ihre Interessen gegenüber dem Bund deutlich zu machen, was den Bundesrat gleichzeitig zu einem Gegengewicht zu Bundestag und Bundesregierung macht.
Mitwirkung an der Gesetzgebung
Besondere Bedeutung kommt den Ländern im Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren zu. Schon vor der Behandlung im Bundestag prüft der Bundesrat alle Gesetzentwürfe der Bundesregierung. Vor allem aber sind alle Gesetze, die vom Bundestag verabschiedet werden, anschließend dem Bundesrat zuzuleiten. Eine besonders starke Stellung haben die Länder dann, wenn Bundesgesetze ihre Interessen unmittelbar berühren. Zum Beispiel, weil sie Auswirkungen auf die Länderfinanzen haben. Solche Gesetze kommen nur zustande, wenn der Bundesrat ihnen ausdrücklich zustimmt – das gilt für etwa 40 Prozent aller Bundesgesetze. Die übrigen Bundesgesetze tangieren Länderinteressen nicht unmittelbar. Hier kann der Bundesrat Einspruch einlegen, wenn eine Einigung nicht möglich ist. Allerdings kann dieser Einspruch vom Bundestag zurückgewiesen werden.
Gesamtstaatliche Verantwortung
In der Vergangenheit hat der Bundesrat recht selten Gesetzen die Zustimmung verweigert. Er ist sich stets seiner gesamtstaatlichen Verantwortung bewusst, und das Grundgesetz hat das Gesetzgebungsverfahren eher auf Konsens angelegt als auf Konfrontation. Sind sich Bundesrat und Bundestag nicht einig, kann ein Ausschuss einberufen werden, der zwischen den unterschiedlichen Auffassungen vermitteln soll. Dieser "Vermittlungsausschuss" ist oft erfolgreich, so dass bei Gesetzesvorhaben dann ein Kompromiss gefunden wird.
Neben der Mitwirkung beim Zustandekommen von Bundesgesetzen hat der Bundesrat auch ein eigenes Gesetzesinitiativrecht. Er kann also, wie Bundesregierung und Bundestag, Gesetzentwürfe in den Gesetzgebungsgang einbringen. Der Bundesrat wirkt darüber hinaus auch in zahlreichen anderen bundesstaatlichen und auch in europäischen Angelegenheiten mit.
Vertretung der Länder
Die Länder werden im Bundesrat durch Mitglieder der Landesregierungen vertreten, also vor allem durch die Regierungschefs der Länder und ihre Minister oder Senatoren. Abhängig von der Einwohnerzahl der Länder haben diese drei, vier, fünf oder sechs Mitglieder im Bundesrat. Insgesamt hat der Bundesrat derzeit 69 ordentliche Mitglieder.
Der Bundesrat kommt jährlich zu etwa elf öffentlichen Plenarsitzungen zusammen, die von Ausschüssen vorbereitet werden. Da im Bundesrat nicht der Wille des einzelnen Mitglieds zum Ausdruck kommen soll, sondern der des jeweiligen Landes, können die Länder ihre Stimmen nur einheitlich abgeben. Wenn also etwa der Vertreter des Landes Baden-Württemberg die Hand zur Abstimmung hebt, gibt er alle sechs Stimmen Baden-Württembergs zugleich ab.
Der Bundesratspräsident
Der Präsident des Bundesrates wird aus dem Kreis der Regierungschefs der Länder in einer festgelegten Reihenfolge für ein Jahr gewählt. Dies hat den Vorteil, dass die Besetzung dieses Amtes nicht wechselnden Mehrheitsverhältnissen und parteipolitischen Erwägungen unterworfen ist. Im Falle der Verhinderung des Bundespräsidenten nimmt der Bundesratspräsident dessen Befugnisse wahr.
Einheit in Vielfalt
Der Bundesrat steht für die Einheit in der Vielfalt unseres Bundesstaates. Als unabänderliches Verfassungsprinzip und Markenzeichen Deutschlands trägt der Föderalismus zur Machtkontrolle bei, bringt mehr Demokratie, Bürgernähe und Wettbewerb. Zugleich unterstützt das föderale System auch politische und kulturelle Vielfalt. Gerade durch den föderativen Staatsaufbau werden politische Entscheidungen den regionalen Verhältnissen eher gerecht und können angepasstere und somit bessere Lösungen bieten. Der Föderalismus ist zudem Garant für die innenpolitische Stabilität Deutschlands. Ich kann heute feststellen: Bundesrat und Bundesstaat haben sich in ihrer inzwischen über 60-jährigen Geschichte bestens bewährt!
Winfried Kretschmann ist seit 12. März 2011 Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg und seit 1. November 2012 Präsident des Bundesrates. 1979/80 war er Mitbegründer der Grünen Baden-Württemberg und wurde 1980 in den Landtag gewählt, wo er 1983 Fraktionsvorsitzender seiner Partei wurde. 1986 und 1987 war er als Ministerialrat Grundsatzreferent im ersten grünen Umweltministerium in Hessen bei Minister Joschka Fischer. Schließlich wurde er 1988 wieder in den Landtag Baden-Württembergs gewählt. Von 2002 bis 2011 war er Fraktionsvorsitzenden der Grünen. Weiter ist Kretschmann Mitglied des Parteirates von Bündnis 90/Die Grünen auf Landesebene. |
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